Theben
Theben (altgriech. Thēbai, latein. Thebae, neugriech. Thīva, Thīvai)
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1 Geographie
T. liegt 87 km nordwestlich von Athen in einer fruchtbaren Ebene der mittelgriechischen Präfektur (Nomos) Böotien. 2001 betrug die Einwohnerzahl: 21.211. T. ist orthodoxer Bischofssitz. Wichtige Wirtschaftszweige sind die Nahrungsmittel- und Textilindustrie, die chemische Industrie sowie die Porzellanerzeugung.
Vom antiken T., dessen Beschreibung durch Pausanias überliefert ist, sind nur spärliche Reste erhalten. In den Überresten des fränkischen Kastells findet sich ein archäologisches Museum. Weitere Sehenswürdigkeiten sind die Ruinen des Tempels des Apollon Ismenios, der Kabirentempel, die mykenischen Grabanlagen, die Quelle des Ödipus (Agioi Theodoroi), die Quelle der Dirke, die byzantinische Kirche Agia Fotini, die unterirdische frühchristliche Kirche Agia Aikaterini sowie die Kirche des Evangelisten Lukas.
2 Kulturgeschichte
Älteste Siedlungsspuren reichen bis in das 3. Jt. v. Chr. zurück. Um 1400 v. Chr. wurde die Burg (Akropolis) Kadmeia errichtet, die Sitz eines bedeutenden mykenischen Fürstengeschlechts war. Ausgrabungen förderten einen mykenischen Palast aus dem 14./13. Jh. v. Chr. sowie Elfenbeinschnitzereien, in Linear B beschriftete Tontäfelchen und -gefäße sowie mykenische Gräber zutage. Die Verbindungen T.s reichten bis nach Mykene, Tiryns, Kreta und wohl sogar bis nach Assyrien. T. ist Schauplatz der Sagen von Ödipus, Antigone und „Sieben gegen T.“ sowie der Geburtsort von Herakles und Dionysos. Die Stadtmauer aus dem 4. Jh., die einen Umfang von rd. 7 km besaß und von sieben Toren („siebentoriges T.“) unterbrochen wurde, ist in wenigen Resten erhalten.
Im 8. Jh. v. Chr. wurde die königliche Macht zugunsten einer oligarchischen Adelsverfassung zurückgedrängt. T. war Mitglied und später politisches Zentrum des Böotischen Bundes (nach 447 v. Chr.); aus dieser Zeit sind fast keine Überreste erhalten. Um 500–440 v. Chr. wirkte in T. der griechische Dichter Pindar. In den Perserkriegen war T. Verbündeter des Persischen Reiches. 479 v. Chr. unterlagen Perser und Thebaner bei Plataiai den Griechen. Im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) unterstützte T. Sparta. 431 v. Chr. versuchte T., Plataiai zu zerstören, was den Thebanern erst 427 v. Chr. gelang. 410 v. Chr. schloss T. ein neues Bündnis mit Sparta.
Im Korinthischen Krieg (395–387 v. Chr.) war T. aus Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung seiner Interessen durch Sparta u. a. mit Athen, Argos, Euboia sowie Korinth verbündet. 387 v. Chr. erfolgte durch die Thebaner die Anerkennung des Königsfriedens (Antalkidasfrieden), der wegen der territorialen Verluste eine Schwächung T.s in Böotien bedeutete. Zudem musste T. Sparta Heeresfolge leisten.
Nach den gescheiterten Friedensverhandlungen von 371 v. Chr. führe Sparta erneut einen Feldzug gegen T. Der Sieg des Epameinōndas bei Leuktra (Anwendung der „Schiefen Schlachtordnung“ – ein Zusammenprall der Gegner auf breiter Front wird vermieden) über Sparta und seine Feldzüge in die Peloponnes begründeten die kurzlebige thebanische Hegemonie über Griechenland. 364 v. Chr. besiegte Pelopidas bei Kynoskephalai den Alexander von Pherai, fiel aber in der Schlacht. Den Niedergang T.s konnte auch der Sieg über Athen und Sparta bei Mantineia 362 v. Chr. (Tod des Epameinōndas) nicht verhindern. 356 v. Chr. ging T. gegen Phokis vor, was den 3. Heiligen Krieg auslöste, in dessen Verlauf T. seine Vorherrschaft über Mittelgriechenland weitgehend verlor. Der endgültige Zusammenbruch T.s erfolgte nach dem Sieg Philipps II. von Makedonien in der Schlacht bei Chairōneia 338 v. Chr.
T. wurde 337 v. Chr. Mitglied des Korinthischen Bundes mit makedonischer Garnison auf der Burg Kadmeia. Wegen der Teilnahme am Aufstand gegen die makedonische Vorherrschaft 335 v. Chr. wurde T. von Alexander dem Großen völlig zerstört (Verschonung des Hauses des Pindar und der Heiligtümer) und seine Bewohner und Bewohnerinnen versklavt. Durch Kassandros von Makedonien erfolgte 316 v. Chr. der Wiederaufbau T.s, das ab 280 v. Chr. wieder wechselnde Bündnisse mit Makedonen, Ätoliern, Seleukiden und Römern einging. 146 v. Chr. beteiligte sich T. am Aufstand der Achäer gegen Rom und schloss sich im 1. Jh. v. Chr. Mithradates VI. von Pontus an; die Folge war die Zerstörung von T. und die Wegnahme der Hälfte des thebanischen Herrschaftsgebietes durch Sulla. In römischer Zeit blieb T. nominell eine Stadt, war aber auf das Gebiet der Burg beschränkt und nicht sehr bedeutend. Ehreninschriften für römische Kaiser reichen bis in die konstantinische Zeit. Bischöfe sind seit dem 4. Jh. überliefert.
Im Byzantinischen Reich und im Mittelalter war T. ein wichtiges Zentrum der Seidenherstellung. Nach dem Erdbeben von 551 wurden die Befestigungen durch Justinian I. erneuert. Die Stadt blieb auch während der Zeit der slawischen Einfälle kontinuierlich besiedelt. Ende des 7. Jh. wurde T. Hauptort einer Provinz (›thema Hellas‹). 1040 siegte ein bulgarisches Heer bei T. über die Byzantiner. 1147 plünderte ein normannisches Heer unter Roger II. von Sizilien T., wobei die dort ansässigen Weber, Seidenspinner, Purpurfärber und Brokatwirker nach Palermo auf Sizilien deportiert wurden. 1205 wurde T. von Markgraf Bonifaz I. von Montferrat, des Königs von Thessalonike, kampflos besetzt, wobei die Stadt geplündert worden sein soll. Aufgrund einer Belehnung wurde T. ein Teil des lateinischen Herzogtums Athen. Auf der Burg Kadmeia wurde das Schloss St. Omer errichtet, das bis zum Beginn des 14. Jh. Residenz der Herrscherfamilie blieb. Nach 1204 wurde T. vorübergehend Sitz eines lateinischen Erzbischofs.
Nach 1261 war T. kurzzeitig Zufluchtsort Kaiser Balduins II. von Konstantinopel. 1262 wurde in T. der Friedensvertrag zwischen Achaia, Athen, Euboia und Venedig geschlossen. 1311 eroberte die Katalanische Kompanie (›Companyia Catalana‹) T., das dabei verwüstet wurde. 1331 wurde das Schloss von St. Omer während einer kriegerischen Auseinandersetzung weitgehend zerstört. 1363 besetzten die Osmanen zum ersten Mal T. Zu dieser Zeit war T. der bedeutendste Ort im Herzogtum Athen und Regierungssitz. 1379 wurde T. von der Navarresischen Kompanie eingenommen, ging aber kurz darauf an Raineri Acciaiuoli von Korinth wieder verloren. Die Familie Acciaiuoli hielt T. bis zur endgültigen Eroberung der Stadt durch die Osmanen, konnte aber eine Reihe von Plünderungen T.s durch die Türken und von Morea aus agierenden griechischen Banden nicht verhindern. Seit ca. 1435 unterstand T. der osmanischen Oberhoheit, bis die Stadt mit der Eroberung des gesamten Herzogtums Athen durch Sultan Meḥmed I. 1460 endgültig unter die Herrschaft des Osmanischen Reiches geriet. In osmanischer Zeit war T. ein unbedeutender Ort und beschränkte sich wieder auf das Gebiet der Burg Kadmeia. Im Zuge des griechischen Unabhängigkeitskampfes wurde T. 1829 von der türkischen Herrschaft befreit und 1830 Teil des neu gegründeten Königreiches Griechenland.
Beister H., Buckler J. (Hg.) 1989: Boiotika. Vorträge vom 5. Internationalen Böotien-Kolloquium zu Ehren von Prof. Dr. Siegfried Lauffer, München, 13.-17. Juni 1986. München (= Münchner Beiträge zur Alten Geschichte). Buckler J. 1980: The Theban hegemony 371–362 BC. Cambridge. Symeonoglou S. 1985: The topography of Thebes from the Bronze Age to modern times. Princeton.