Byzanz
Byzanz (Byzantinisches Reich)
Inhaltsverzeichnis |
1 Definition
Das Reich, das wir heute als das Byzantinische Reich bezeichnen, kann einerseits auf eine über 1000jährige Geschichte (etwa von der Gründung Konstantinopels 324 bis zu dessen Eroberung durch die Osmanen 1453) zurückblicken; gleichzeitig ist es aber die unmittelbare und nahtlose Fortsetzung des Römischen Reiches, dessen Schwerpunkt sich schon unter Kaiser Diokletian (284–305) nach Osten verlagert hatte. Es ist geprägt durch die römische Tradition, die griechische Kultur, die nicht zuletzt durch B. sowohl an den islamischen Orient als auch an den Westen vermittelt wurde, und durch das Christentum, das in diesem Reich eine besondere Ausprägung erfuhr, die sich seit jeher als orthodox betrachtete und die sich in den heutigen orthodoxen Ländern ungebrochen fortsetzt. Im Gegensatz zu einer landläufigen Meinung verband sich im Byzantinischen Reich das Festhalten an Traditionen durchaus mit einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Flexibilität, die ihm, ausgehend von der Spätantike, die Anpassung an die Verhältnisse des Mittelalters bis an die Schwelle der Neuzeit gestattete. Der Name dieses Reiches, der sich von Byzantion, dem antiken Namen seiner Hauptstadt herleitet, rechtfertigt sich durch die überragende Stellung, die diese in Verwaltung, Kirche und Kultur einnahm, auch wenn diese Stadt offiziell längst Kōnstantinoupolis hieß. B. als Reich wurde allerdings erst mindestens 100 Jahre nach dem Untergang des „Byzantinischen Reiches“ von europäischen Gelehrten erfunden, denn die „Byzantiner“ fühlten sich und bezeichneten sich selbst stets als Römer (Rōmaioi), ihr Reich als Reich der Römer. Analog zu einer Einteilung des westlichen Mittelalters ist für das Byzantinische Reich eine Periodisierung in drei Abschnitte (früh-, mittel- und spätbyzantinisch) üblich geworden. Die frühbyzantinische Epoche wird meist bis Hērakleios, die mittelbyzantinische Epoche bis zur Eroberung Konstantinopels (1204) gerechnet.
2 Frühbyzantinische Zeit
Als Kaiser Konstantin I. nach dem Sieg über seinen Rivalen Licinius 324 bei Chrysopolis (heute türk. Üsküdar) die alte megarische Kolonie Byzantion zu seiner neuen Residenzstadt erhob und ihr – nach alter hellenistischer Tradition – seinen Namen (Kōnstantinoupolis = Stadt des Konstantin) verlieh (Einweihung 330), gab er eigentlich nur dem bestehenden Römischen Reich ein neues – aus ökonomischen und strategischen Gesichtspunkten sehr klug gewähltes – Zentrum. Die moderne Forschung ist sich daher über den Beginn des Byzantinischen Reichs keineswegs einig. Zweifellos wurde mit der Gründung der neuen Hauptstadt sowie mit der Anerkennung des Christentums durch den „ersten christlichen Kaiser“ dem nach den Wirren der sog. Tetrarchien Diokletians und seiner Nachfolger wieder als einheitlich geplanten Reich die Voraussetzung für eine neue Richtung seiner Entwicklung gegeben. Die grundlegenden Reformen (Verlegung des Schwerpunktes des Reiches nach Osten – wichtigste Residenzstadt wurde Nikomēdeia (heute türk. İzmit) –, Provinzial- und Währungsreform) hatte allerdings Diokletian durchgeführt. Andere lassen das eigentliche Byzantische Reich erst mit Theodosius d. Gr. (Christentum wird Staatsreligion bzw. nach seinem Tod 395 endgültige Reichsteilung) oder erst mit Justinian I. (527–65, Vollender des antiken Reichsgedankens, der gleichzeitig den Grundstein für spätere Entwicklungen legte) beginnen.
Nach dem Tod Konstantins I. 337 stand zeitweise die westliche und die östliche Hälfte des weiterhin als Einheit empfundenen Reiches unter eigenen Kaisern (oft aus derselben Familie), jedoch gab es immer wieder Perioden einer „einheitlichen“ Herrschaft, zuletzt unter Theodosius d. Gr. Die zwischen der Ost- und der Westhälfte gezogene Grenze blieb mit nur wenigen Veränderungen bis in die Neuzeit bestimmend für die kulturelle Trennung zwischen dem lateinisch-katholischen Westen und dem griechisch-orthodoxen Osten.
Neben fast ständigen Kriegen gegen die Sassaniden sah sich das junge Byzantinische Reich in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. a. der Bedrohung durch die Goten ausgesetzt, und zwar zunächst der Westgoten, die den oströmischen Kaiser Valens 378 in der Schlacht bei Adrianopel (heute türk. Edirne) vernichtend besiegten und töteten. Sein Nachfolger Theodosius I. siedelte die Ostgoten in Pannonien, die Westgoten im nördlichen Thrakien an und nahm beide Völker in ein Föderatenverhältnis auf. Letztlich gelang es B., die Germanen sukzessive in das Weströmische Reich abzuschieben, so die Westgoten unter Alarich (410 Erstürmung Roms), Odoaker mit rebellierenden germanischen Truppen (er bereitete 476 dem weströmischen Kaisertum ein Ende), schließlich um 493 Theoderich mit seinen Ostgoten, der Odoaker ablöste und ein blühendes gotisch-römisches Königreich errichtete. Auch wenn er wie die meisten Germanenkönige auf römischem Reichsgebiet die Oberhoheit des byzantinischen Kaisers wenigstens formal anerkannte, waren diese Gebiete der Kontrolle durch B. völlig entzogen.
In der frühbyzantinischen Zeit wuchs auch die Kirche in die Rolle, die für das ganze Byzantinische Reich charakteristisch sein sollte. Besaß sie anfänglich nur geduldeten Status, so entwickelte sie sich bald zur allein zugelassenen Religion. Der Bischof von Konstantinopel wurde in einer längeren Entwicklung (die Grundlagen wurden auf den ökumenischen Konzilien von 381 und 451 geschaffen) in den Kreis der älteren Patriarchate (Jerusalem, Antiochia, Alexandria, Rom) aufgenommen. Gleichzeitig suchten die Kaiser immer wieder mit wechselndem Erfolg, in die Leitung der Kirche einzugreifen und ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Sie bemühten sich, die Einheit der Kirche mit allen Mitteln zu erhalten, da sie darin zu Recht einen politischen Stabilitätsfaktor sahen. Im 4. Jh. war die Auseinandersetzung mit dem Arianismus beherrschend, der zwar auf dem ersten ökumenischen Konzil von Nikaia (heute türk. İznik) 325 verurteilt, aber von einigen Kaisern der östlichen Reichshälfte, besonders Konstantius II. (327–61) und Valens (367–78) gefördert wurde. Bestimmend für das 5. und 6. Jh. war die Auseinandersetzung mit dem sog. Monophysitismus, der trotz seiner Verurteilung auf dem Konzil von Chalkēdōn 451 insbesondere in den orientalischen Provinzen des Reiches von Armenien über Syrien bis Ägypten Fuß fasste und trotz aller Bemühungen der Kaiser und der Patriarchen, die von dogmatischen Kompromissformeln – die letztlich keine Seite zufrieden stellten – bis zu blutigen Verfolgungen reichten, in diesen Gegenden vorherrschend blieb und zur Entfremdung der Bevölkerung von der byzantinischen Zentralmacht beitrug.
Kaiser Justinian I. (527–65) unternahm es, in zwanzigjährigen Kriegen mit der Eroberung des Vandalenreiches in Nordafrika (533/4), der Niederringung des Ostgotenreiches in Italien (bis 552) sowie der Rückgewinnung weiter Teile der spanischen Mittelmeerküste (ebenfalls 552) die Einheit des Römischen Reiches wiederherzustellen, v. a. aber die vollständige Kontrolle über das Mittelmeer zurückzugewinnen. Damit erreichte das B. R. seine größte Ausdehnung überhaupt; es umfasste zum letzten Mal in seiner Geschichte den lateinischen Westen und den griechischen Osten.
Justinians Eroberungen im lateinischen Westen des Römischen Reiches gingen allerdings bald wieder verloren. 568 fielen die Langobarden in Oberitalien ein, und bis zum Ende des 7. Jh. standen große Teile Italiens (mit Ausnahme des Exarchats von Ravenna unter langobardischer Herrschaft.
Von diesem Zeitpunkt an verwüsteten die Awaren und in ihrem Gefolge auch slawische Stämme weite Teile der Balkanhalbinsel. Die Kaiser Maurikios (582–602) und Phōkas (602–10) konnten die Donaugrenze noch einigermaßen stabilisieren, aber unter Kaiser Hērakleios (610–41) ging B. die Kontrolle über die Balkanhalbinsel fast völlig verloren. Im Gegensatz zu den Awaren, die sich kaum auf byzantinischem Boden dauerhaft niederließen, siedelten sich die Slawen bis hinunter zur Peloponnes an; die Kontrolle durch B. wurde dabei auf einige feste Küstenstädte und ihr unmittelbares Umland beschränkt.
Trotz mehrerer Friedensschlüsse unter Kaiser Justinian I. führte das Byzantinische Reich von 572 bis 627 (mit einer kurzen Unterbrechung unter Kaiser Maurikios) praktisch ununterbrochen Krieg mit den Sassaniden (Persern). Zu Beginn der Herrschaft des Kaisers Hērakleios eroberten die Sassaniden in raschem Vormarsch die orientalischen Provinzen des Reiches (Syrien, Kilikien, Palästina – 614 fiel Jerusalem – und Ägypten). Zweimal standen die Perser vor den Toren von Konstantinopel. Lebensbedrohlich für die Existenz des Reiches war 626 die zweite Belagerung von Konstantinopel durch Awaren, Slawen und Perser gemeinsam. Aber byzantinische Siege in Ostkleinasien und Armenien hatten die persische Kampfeskraft so weit geschwächt, dass Hērakleios 627 ins Innere des Sassanidenreiches vordringen und bei Ninive (heute Nīnawā) die persische Armee völlig vernichten konnte. In einem Friedensvertrag wurde die Rückgabe aller Gebiete festgelegt, die unter byzantinischer Herrschaft gestanden waren.
Hērakleios’ Erfolge gingen noch zu seinen Lebzeiten größtenteils wieder an die Araber verloren, die sich auf der Arabischen Halbinsel im Namen der neuen Religion des Islam unter der Führung der Kalifen politisch geeinigt hatten. Nach ersten Zusammenstößen erfolgte ab 634 die rasche Eroberung der eben erst wieder byzantinisch gewordenen orientalischen Provinzen (636 verloren die Byzantiner die entscheidende Schlacht am Yarmūk, 638 ergab sich Jerusalem, 642 fielen Alexandria und Ägypten). Trotz der Bemühungen Kaiser Hērakleios’, wenigstens die Taurusgrenze gegen die Araber zu sichern, stießen sie seit etwa 642 fast alljährlich auch tief nach Kleinasien vor. Wenngleich der Osten häufiger betroffen war, so blieb doch praktisch kein Fleck Kleinasiens sicher vor den arabischen Einfällen.
3 Mittelbyzantinische Zeit
Die neue Bedrohung hatte gravierende Folgen für das Reich und seine Gesellschaft. Mit dem Verlust seiner reichsten Provinzen (Syrien und Ägypten) verlor B. nicht nur bedeutende Produktionsstätten, sondern auch erhebliche Steuereinnahmen. Nur mit Mühe gelang es, nach dem Ausfall der regelmäßigen Getreidelieferungen aus Ägypten neue Gebiete für die Versorgung der Hauptstadt zu erschließen (Thrakien, westliches und nordwestliches Kleinasien, Schwarzmeergebiet). Durch Rückzug der im Osten operierenden Armeen (unter dem ›magister militum per Orientem‹ und dem ›magister militum per Armeniam‹) nach Zentral- und Ostkleinasien sowie Verlegung von Garderegimentern und Truppen aus Thrakien (unter dem ›magister militum per Thracias‹) nach Zentral- und Westkleinasien vermutlich zwischen den 630er und den 650er Jahren entstanden die vier großen Stationierungsgebiete des Anatolikon, Armeniakon, Opsikion und Thrakesion; die Oberkommandierenden dieser Armeen, die jetzt den Titel ›Stratēgos‹ (nur der des Opsikion behielt den alten Titel des ›Komēs‹) führten, erhielten allmählich auch Befugnisse in der Zivilverwaltung, bis die Provinzen des frühbyzantinischen Reichs keine Rolle mehr spielten und ab etwa 800 gänzlich verschwanden. Sie blieben nur für die kirchliche Einteilung bestimmend. Damit war auch die für die frühbyzantinische Zeit charakteristische Trennung von ziviler und militärischer Gewalt in den Provinzen aufgehoben. In Kleinasien wurden die vier übergoßen „Urthemen“ im Laufe der Zeit in kleinere Einheiten aufgeteilt; sie gewannen dadurch an militärischer Schlagkraft, gleichzeitig wurde die Gefahr von Rebellionen ihrer Anführer verringert. In den europäischen Reichsteilen wurde die Themenordnung allmählich entsprechend den Fortschritten bei der Rückeroberung dieser Gebiete von Slawen und Bulgaren eingeführt. In einer Entwicklung, die aufgrund der schlechten Quellenlage nicht wirklich nachzuvollziehen ist, wurden die Themensoldaten in ihren Stationierungsgebieten sesshaft und erwarben Land, das sie als Bauern bearbeiteten. Am Ende dieses Prozesses (erkennbar ab dem 9./10. Jh.) waren diese Soldatengüter (stratiōtika ktēmata) aufgrund besonderer gesetzlicher Bestimmungen bis zu einer Mindestgröße unveräußerlich und bilden die materielle Basis für eine erbliche Wehrpflicht und die Verpflichtung, für die Ausrüstung (einschließlich eines Pferdes) selbst aufzukommen. Diese milizartigen Armeen wurden später durch eine Berufsarmee ergänzt, die sog. Tagmata, die im Wesentlichen in und um Konstantinopel stationiert wurden. Diese sog. „Themenordnung“, ein Kennzeichen der mittelbyzantinischen Periode, sicherte vermutlich das Überleben des Byzantinischen Reiches gegen die arabischen Angriffe.
674–78 und nochmals 717/18 versuchten die Araber, Konstantinopel selbst einzunehmen; beide großen Belagerungen scheiterten u. a. an der Stärke der Stadtmauern, der byzantinischen Kriegsflotte und dem sog. Griechischen Feuer, einer brennenden Flüssigkeit auf der Basis von Erdöl, das aus Rohren auf die feindlichen Schiffe verschossen wurde.
In der ersten Hälfte der mittelbyzantinischen Epoche sah sich B. gezwungen, einen steten Zweifrontenkrieg zu führen, auf dem Balkan gegen die Slawen, die sich dort auf Dauer angesiedelt hatten, und gegen die Bulgaren, die nach einem Friedensschluss 681 ein eigenes Reich gegründet hatten, sowie in Kleinasien gegen die Araber, die im Laufe des 7. und 8. Jh. den Osten und Südosten eroberten und – unterbrochen nur durch vertragliche Pausen nach einigen Friedensschlüssen – fast alljährliche Plünderungszüge nach Zentral- und Westkleinasien unternahmen. Während die Rückeroberung des slawischen Balkans mit Ausnahme Bulgariens stetige Fortschritte machte, stabilisierte sich die Front in Kleinasien erst ganz langsam unter den Kaisern Leōn III. (717–41) und Kōnstantinos V. (741–75). Bürgerkriege unter den Arabern, die zu einer Ablöse der Umayyaden durch die ʿAbbāsiden und, damit verbunden, der Verlegung der Hauptstadt von Damaskus in das entferntere Bagdad führte, trugen zur Entlastung der byzantinischen Ostfront bei. Hier stabilisierte sich die Grenze entlang den Höhen des Taurus und des Antitaurus.
Mehr innen- als außenpolitisch wirkte sich der sog. Ikonoklasmus (Bilderstreit) aus, eine von Kaiser Leōn III. (717–41) und seinen Nachfolgern z. T. gewaltsam durchgesetzte theologische Richtung, die sich gegen die in der byzantinischen Orthodoxie übliche besondere Verehrung der Bilder (Ikonen) richtete. Nachdem die Kaiserin Eirēnē (780–97 gemeinsam mit ihrem Sohn Kōnstantinos VI., nach dessen Blendung bis 802 die erste Frau als Alleinherrscherin auf dem byzantinischen Thron) auf dem Konzil von Nikaia 787 die Bilderverehrung durchgesetzt hatte, wurde der Ikonoklasmus unter den Kaisern von Leōn V. (813–20) bis Theophilos (829–42) nochmals aufgegriffen. Wohl nicht zufällig erfolgte die Kaiserkrönung Karls d. Gr. 800 während der Alleinherrschaft der Kaiserin Eirēnē; der von einer Frau besetzte byzantinische Thron wurde im Westen als vakant angesehen. Wenngleich B. den Kaisertitel Karls (aber ohne den Zusatz „der Römer“) anerkannte, blieb doch das sog. „Zweikaiserproblem“ während der ganzen mittelbyzantinischen Zeit als ideologisches Problem bestehen.
Der Aufstand des „Slawen“ Thomas zu Beginn der Herrschaft Kaiser Michaēls II. (820–29) band die militärischen Kräfte von B. so weit, dass die Eroberung der Insel Kreta (zwischen 823 und 828) durch Araber aus Spanien und der Beginn der sich etwa 70 Jahren hinziehenden Eroberung Siziliens durch aġlabidische Araber aus Nordafrika zumindest erleichtert wurden.
Hielten sich unter Kaiser Theophilos (829–42) Erfolge und Misserfolge (838 Fall von Amorion) gegen die Araber noch die Waage, so begann unter seinen Nachfolgern Michaēl III. (842–67) und Basileios I. (867–86) eine Reihe von Offensiven an der Ostgrenze, die – nach der Niederringung der Sekte der Paulikianer, die mit den Arabern ein militärisch-politisches Bündnis eingegangen waren –, die Zeit der Rückeroberung von Ostkleinasien und Nordsyrien einleitete, die ihren Höhepunkt unter den Kaisern Nikēphoros II. Phōkas (963–69) und Iōannēs I. Tzimiskēs (969–76) erreichte. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch den zunehmenden Zerfall des ‘Abbāsidenkalifats; an die Stelle zentral geführter arabischer Armeen traten jetzt de facto unabhängige Emirate, besonders Melitēnē (heute türk. Eskimalatya, endgültig erobert 934) und Tarsos (gefallen 965).
Erst nach einigen Misserfolgen gelang Kaiser Basileios II. (976–1025) im Jahre 1014 der entscheidende Sieg über das erstarkte Bulgarenreich; 1018 wurde das gesamte bulgarische Reichsgebiet, das sich vom Schwarzen Meer bis zur Adria erstreckt hatte, in die byzantinische Themenverwaltung eingegliedert.
Spätestens seit Beginn des 10. Jh. traten im Byzantinischen Reich Spannungen zwischen der Zentralmacht und der wiedererstarkten „aristokratischen“ Klasse zutage, die sich aus Amtsinhabern und Grundbesitzern herausbildete. Durch die Ausweitung des Grundbesitzes auf Kosten der Dorfgemeinden und der kleinen Grundbesitzer – diese wurden dadurch zu sog. Paröken (abhängige Bauern) – gingen dem Staat einerseits beträchtliche Steuereinnahmen verloren, andererseits verringerte sich auch die personelle Basis der Themenarmeen, die ja an den freien Grundbesitz gebunden war. Die Kaiser von Rōmanos I. (920–44) bis Basileios II. suchten vergeblich, durch gesetzgeberische Maßnahmen diese Entwicklung zu bremsen.
Unter Basileios’ schwachen Nachfolgern begannen sich die negativen Folgen der weiterhin ungebremst wachsenden Machtkonzentration in den Händen der großgrundbesitzenden Aristokratie voll auszuwirken. Der Staat musste in zunehmendem Ausmaß Söldnerarmeen anwerben und bezahlen, während im Inneren Aufstände niederzuschlagen waren und an den Grenzen neue Feinde erschienen. 1070 verlor B. seinen letzten Stützpunkt in Italien an die Normannen. Von Norden fielen die Petschenegen über die Donau ein, und von Osten drangen die Türken unter der Führung der Dynastie der Seldschuken seit der Mitte des 11. Jh. tief nach Kleinasien ein. Trotz großer persönlicher Anstrengungen des Kaisers Rōmanos IV. Diogenēs (1068–71) erlitt B. bei Mantzikert (armen. hist. Manazkert, Ostanatolien) 1071 eine folgenschwere militärische Niederlage gegen die Seldschuken unter Sultan Alp Arslan (1063–72). Sie wurde für das Reich erst dadurch zur Katastrophe, dass während der folgenden Bürgerkriege und Aufstände die verschiedenen Parteien türkische Gruppen und Truppen mitsamt ihren Anführern bis in das Innere des Byzantinischen Reiches holten. Als mit Kaiser Alexios I. (1081–1118), dem Begründer der Dynastie der Komnenen, wieder ein fähiger General den byzantinischen Thron bestieg, war Kleinasien bereits verloren; die Seldschuken errichteten in Nikaia einen ersten türkischen Staat auf byzantinischem Boden. Der Balkan war von den Petschenegen überrannt, und die Normannen belagerten Dyrrhachium (heute alban. Durrës, 1082 u. 1085). Auf der Suche nach Verbündeten gegen diese Gefahren wandte sich B. an die formal noch mit dem Reich verbundene, de facto aber seit langem unabhängige Handelsstadt Venedig, musste allerdings für diese Hilfe Zollnachlässe, Handelsrechte in verschiedenen Gegenden des Reiches und ein eigenes Handelsquartier in Konstantinopel selbst gewähren. Damit war eine Entwicklung angebahnt, die schließlich, durch Erweiterung dieser Privilegien bis hin zu völliger Zollfreiheit und Ausdehnung auch auf weitere italienische Seerepubliken (Pisa, Genua), den byzantinischen Handel und die byzantinische Wirtschaft überhaupt unterminieren sollte.
Insgesamt gelang Alexios I. eine Stabilisierung der miltiärischen Situation. Mit Hilfe der Heere des ersten Kreuzzuges konnte 1097 die Herrschaft der Seldschuken in Nikaia beendet werden. Damit war der Weg frei für die Rückeroberung wenigstens der Küstengebiete Kleinasiens vom östlichen Schwarzen Meer bis Antiochia unter Alexios I. und Iōannēs II. Komnēnos (1118–43); Zentralkleinasien blieb fest in der Hand der Seldschuken (Hauptstadt Ikonion, heute türk. Konya). In Europa konnte die Petschenegengefahr durch einen Sieg 1122 gebannt werden. Dennoch hatte B. nun seine (relative) Vormachtstellung sowohl im Kreis der europäischen Mächte als auch im östlichen Mittelmeerraum endgültig verloren.
Gegen Ende der Herrschaft Kaiser Manouēls I. (1143–80) leitete eine schwere Niederlage gegen die Seldschuken 1176 bei Myriokephalon (Zentralanatolien) das Ende der byzantinischen Erfolge in Kleinasien ein. Während der Gewaltherrschaft seines Nachfolgers Andronikos I. Komnēnos (1182–85) verlor das Reich auf dem Balkan Dalmatien und Serbien, während die Normannen kurzfristig Dyrrhachium und sogar Thessalonikē eroberten. Unter Isaakios II. Angelos (1185–95, 1203–04) lösten sich auch die Bulgaren wieder aus dem Reichsverband. Weitere Kräfte kostete der vergebliche Versuch, den Durchmarsch des Kreuzzugsheeres unter Friedrich I. 1189/90 zu verhindern. Nach verschiedenen inneren und äußeren Wirren, die jede effektive Verteidigung unmöglich machten, bereitete dem Byzantinischen Reich das Heer des vierten Kreuzzuges ein vorläufiges Ende, das von Venedig nicht zuletzt zur Wahrung seiner Handelsinteressen gegen Konstantinopel umgeleitet wurde und die Stadt im April 1204 eroberte.
4 Spätbyzantinische Zeit
Die Kreuzfahrer teilten sich nun die eroberten Gebiete des Byzantinischen Reiches auf. Neben dem in Konstantinopel errichteten Lateinischen Kaiserreich, das die angrenzenden Gebiete in Europa und im nordwestlichen Kleinasien erhielt, entstanden weitere „lateinische“ Herrschaften in Makedonien und Thrakien, in Mittelgriechenland und auf der Peloponnes. Venedig beanspruchte für sich u. a. die wichtigsten Hafenstädte, die Meerengen, die meisten Inseln des Ägäischen Meeres sowie Kreta. In den nicht eroberten Gebieten bildeten sich auch mehrere um die Führung rivalisierende griechische (byzantinische) Teilstaaten, so in Epirus (griech. Ēpeiros) unter Michaēl I. Doukas, in Trapezunt unter den Brüdern David I. und Alexios I. Komnēnos, in Nikaia unter Theodōros I. Laskaris.
Der für die Wiederherstellung des Reiches wichtigste Teilstaat war zweifellos das Reich von Nikaia; hier wurde Theodōros I. Laskaris wohl 1205 zum Kaiser ausgerufen und 1208 vom neuen ökumenischen Patriarchen Michaēl IV. Autōreianos gekrönt. Der von ihm gegründeten Dynastie der Laskariden gelang die Stabilisierung der Grenzen zum Seldschukensultanat von Ikonion, trotz einiger Rückschläge die sukzessive Rückgewinnung der vom Lateinischen Kaiserreich beherrschten Gebiete im nordwestlichen Kleinasien, schließlich die Ausdehnung des Reiches von Nikaia nach Europa, wo das konkurrierende Reich von Epirus allerdings durch den bulgarischen Sieg bei Klokotnica 1230 bereits entscheidend geschwächt war. Der Ausbau der Vormachtstellung des Reiches von Nikaia wurde auch durch die Einfälle der Mongolen 1236–44 erleichtert, die sich sowohl das Zweite Bulgarische Reich als auch das Seldschukenreich tributpflichtig machten. Auch das Lateinische Kaiserreich war seit langem entscheidend geschwächt und territorial auf Konstantinopel und seine nähere Umgebung eingeschränkt. Als Kaiser Iōannēs III. Doukas Vatatzēs 1254 starb, war sein Sohn Iōannēs IV. Laskaris noch minderjährig. Die Macht riss 1259 Michaēl VIII. Palaiologos (1259–82) an sich, der somit zum Begründer der letzten Dynastie des Byzantinischen Reiches wurde. Er konnte noch im selben Jahr durch seinen Sieg bei Pelagonia (griech., makedon. Pelagonija) über Manfred von Sizilien, Michaēl II. Doukas von Epirus und Guillaume de Villehardouin von Achaia seine Vormachtstellung in Europa festigen. 1261 gelangte fast zufällig das von seiner lateinischen Garnison entblößte Konstantinopel in den Besitz des Reiches von Nikaia; die Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches war damit fast vollendet. Der Interessensschwerpunkt der neuen Dynastie verlagerte sich damit allerdings von Kleinasien, dessen Verteidigung gegen die Türken zunehmend vernachlässigt wurde, nach Europa. Da gleichzeitig infolge der mongolischen Herrschaft über das Seldschukenreich die turkmenischen Stämme der Grenzgebiete kaum mehr von der Zentralmacht kontrolliert wurden, hatten diese freie Hand, die südlichen und zentralen Abschnitte des westkleinasiatischen Küstenlandes zu annektieren und hier in weiterer Folge unabhängige Fürstentümer zu gründen (Menteşe, Aydın, Germiyan, Saruḫan, Karası). Bis 1300 hatten die Türken auch das landwirtschaftlich wichtige Tal des Flusses Mäander (türk. Büyük Menderes) besetzt, während auch in Bithynien das im Entstehen begriffene Fürstentum der Osmanen erste Gebietsgewinne erzielte.
Auch in Europa war das wieder entstandene Byzantinische Reich von Feinden umgeben. Den beherrschenden Einfluss Venedigs suchte Michaēl VIII. durch ein Bündnis – gegen großzügige Handelsprivilegien besonders im Schwarzmeergebiet – mit Genua zurückzudrängen.
Unter Andronikos II. (1282–1328) ging praktisch ganz Kleinasien (bis auf einige befestigte Städte wie Nikaia und Nikomēdeia, die erst 1331 bzw. 1337 fielen), an die Osmanen verloren, die 1326 Prusa (heute türk. Bursa) zu ihrer Hauptstadt gemacht hatten.
Der 1321–28 zwischen Andronikos II. und seinem Enkel Andronikos III. (1328–41) geführte Bürgerkrieg schwächte B. so sehr, dass an eine Verteidigung z. B. gegen die Serben nicht mehr zu denken war, die ihren Machtbereich nun auf Kosten von B. und Bulgarien erweiterten und so zur Vormacht auf dem Balkan wurden. Als sich 1347 Iōannēs VI. Kantakouzēnos (–1354) zum Kaiser ausrufen ließ, kam es erneut zum Bürgerkrieg zwischen ihm und der Regentschaft für den noch unmündigen Iōannēs V. Palaiologos (1341–91) unter der Leitung von dessen Mutter Anna von Savoyen.
Ab 1354 begannen die Osmanen, Thrakien zu erobern. 1369 fiel Adrianopel, das nun neue Hauptstadt der Osmanen wurde. Die Eroberung Serbiens (Schlacht auf dem Amselfeld 1389), das zunächst als Vasallenstaat die Oberhoheit der Osmanen anerkannte, und in der Folge auch Bulgariens (Fall von Tărnovo 1393) war nun nur noch eine Frage der Zeit.
Kaiser Iōannēs V. suchte auf ausgedehnten Reisen nach Europa (Ungarn und Italien) vergeblich Hilfe, um den drohenden Untergang des Byzantinischen Reiches abzuwenden. Auch die Reisen Kaiser Manouēls II. (1391–1425) nach Italien, Frankreich und England führten zu keiner Entlastung. Eine Atempause verschaffte dem nunmehrigen Kleinstaat B., der den Osmanen gegenüber bereits zu Tributzahlungen und Heeresfolge verpflichtet war, der Einfall Timurs und seiner Mongolen nach Kleinasien, die 1402 in der Schlacht bei Ankara den Osmanensultan Bāyezīd I. besiegten und gefangen nahmen und in weiterer Folge die türkischen Fürstentümer in Kleinasien wiederherstellten. Die Osmanen nahmen erst unter Sultan Murād II. (1421–51) ihre Expansionspolitik gegenüber dem Byzantinischen Reich wieder auf.
Die westeuropäischen Mächte machten ihre (theoretischen) Hilfszusagen stets von einer Kirchenunion abhängig. Kaiser Iōannēs VIII. Palaiologos (1425–58) vollzog diese mit einem Teil des byzantinischen Klerus auf dem Konzil von Ferrara-Florenz 1439, ohne dass B. daraus noch Nutzen ziehen konnte. Der endgültige Untergang kündigte sich durch regelmäßige Plünderungszüge der Osmanen in die Peloponnes, den Fall von Thessalonikē, der seit jeher zweitwichtigsten Stadt des Reiches, und Iōanina (beide 1430) an. Bereits 1442 kam es zu einer Belagerung von Konstantinopel. 1452 betrieb Sultan Meḥmed II. systematisch durch den Bau von Festungen am Bosporus (Rumeli Hisarı und Anadolu Hisarı) die Eroberung von Konstantinopel, und am 29. Mai 1453 fand mit der Eroberung der Hauptstadt auch das Byzantinische Reich ein Ende. Eine kurze Frist war noch Mistras, dem Hauport der byzantinischen Besitzungen auf der Peloponnes (bis 1460), und Trapezunt, der Hauptstadt des Kaiserreiches der Großkomnenen (bis 1461), beschieden.
Haldon J. 1990: Byzantium in the Seventh Century. Cambridge. Lilie R.-J. 2003: Byzanz, das zweite Rom. Berlin. Nicol D. 1993: The Last Centuries of Byzantium (1261–1453). Cambridge. Ostrogorsky G. 1963: Geschichte des byzantinischen Staates. München. Schreiner P. 1994: Byzanz. München.