Genua (Kolonien)
Genua (Kolonien). Die an der Tyrrhenischen Küste liegende italienische Hafenstadt G. wurde als Handelsniederlassung im 5. Jh. v. Chr. Griechen gegründet. In den folgenden Jahrhunderten kam G. unter die Herrschaft der Römer (222 v. Chr.), Ostgoten, Byzantiner (nach 554), Langobarden, ehe es unter Karl dem Großen zum Hauptort einer Grafschaft wurde. Seit Mitte des 10. Jh. wurde die Regierungsgewalt zusehends von wohlhabenden Kaufmannsfamilien wahrgenommen. Zu dieser Zeit war G. bereits eine bedeutende Seemacht. Obwohl genuesische Schiffe im gesamten Mittelmeerraum Handel trieben, kam v. a. dem Orienthandel große Bedeutung zu.
Genuesische Schiffe transportierten auch Kreuzfahrer in den Nahen Osten (Hauptquartier in Akkon [hebr. ‘Akko]) und brachten Beutegut sowie Luxusgüter zurück. G. spielte eine große Rolle beim Sklavenhandel zwischen dem Nahen Osten und Europa. Muslimische wie christliche Sklaven wurden auf den Märkten des Nahen Ostens gekauft und bis nach Katalonien weiterverkauft. Weitere wichtige Handelswaren waren Wein, Getreide, Stoffe, Alaun und Metalle.
Für den Ausbau des Handels besonders vorteilhaft waren die freundschaftlichen Beziehungen zu den Byzantinern. Schon 1261 hatte G. der byzantinischen Dynastie der Palaiologen geholfen, das Lateinische Kaiserreich in Konstantinopel (1204–61) zu unterwerfen und wurde zum Dank von diesen mit der Handelsfreiheit in Galata, einer nördlich des Goldenen Horns gelegenen Vorstadt Konstantinopels, belohnt; die Genuesen bauten sie zu ihrer zentralen Vertretung im östlichen Mittelmeer aus.
In der Folge gründeten die Genuesen Handelsniederlassungen in Tana (heute russ. Azov, 1270–1471) am Asowschen Meer, Jalta (1365–1434), Caffa (heute russ. Feodosija, 1261–1475), Cembalo (heute russ. Balaklava, 1365–1434) und Sudak (1261–1475) auf der Krim gegründet; weitere Niederlassungen befanden sich in Amastris (heute türk. Amasra, 1261–1561), Sinope (heute türk. Sinop, 1261–1461), Simesso (heute türk. Samsun, 1261–1461) und Trebizon (heute türk. Trabzon, 1261–1461). Auch an der Westküste des Schwarzen Meeres errichteten die Genuesen Stützpunkte (Maurocastro, Licostomo, 1315–1434). Sie setzten sich auf den Inseln Chios (1304–29, 1346-1566), Samos (1304-29, 1346–1475), Lesbos (1333-36, 1355-1462) und in der Hafenstadt Famagusta auf Zypern (Famagusta, heute türk. Gazimağusa, 1374–1464) fest. Weitere genuesische Stützpunkte befanden sich in Smyrna (heute türk. Izmir, 1201–1300, 1344–1402) und Foggia (griech. Phokaia, heute türk. Foça, 1264–1455) an der Ostküste der Ägäis.
Die Genuesen schlossen mit dem armenischen Fürsten Leon II. Verträge und wurden zu mächtigen Konkurrenten der Venezianer. Näher zu Genua hin gelegene Besitzungen umfassten Sardinien, Bone sowie insbesondere Korsika; um letztere Insel musste Genua mehrere Kriege insbesondere mit den Pisanern ausfechten.
Der Fernhandel wurde besonders durch das schon im 14. Jh. existierende leistungsfähige Bankwesen erleichtert; anstelle sperriger, schwierig zu transportierender Tauschgüter konnten genuesische Kaufleute schon früh ihre Transaktionen mit der Hilfe von Kreditbriefen abwickeln, die von sämtlichen Handelspartnern akzeptiert wurden.
Ende des 13. Jh. brach offener Krieg zwischen G. und Venedig aus, in den auch andere italienische Stadtstaaten verwickelt wurden. Die Genuesen schlugen die Pisaner bei Meloria (1284) und die Venezianer bei Curzola (heute kroat. Korčula, 1298) und besetzten 1379 Chioggia, das sie jedoch infolge einer venezianischen Belagerung 1380 wieder aufgeben mussten. Trotz dieser Niederlage blieb G. im Besitz seiner Handelsposten.
G. verfolgte im Umgang mit muslimischen Herrschern im östlichen Mittelmeerraum eine grundsätzlich pragmatische Politik. Schon vor der Ausbreitung osmanischer Macht in Anatolien schlossen die Genuesen Verträge mit muslimischen Fürstentümern an der Küste Kleinasiens (z. B. mit Edremit, Aydin und Menteşe). Aus diesem Grunde spielte G., mehr noch als Venedig, eine ambivalente Rolle bei der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Die Regierung G.s war davon überzeugt, dass die Zukunft den Osmanen gehörte; daher wurden die Genuesen Konstantinopels angewiesen, sich beim letzten byzantinischen Abwehrkampf gegen die Osmanen neutral zu verhalten, was von Seiten einiger genuesischer Privatleute jedoch ignoriert wurde. Der Fall Konstantinopels (1453) unterbrach die Handelsbeziehungen zwischen den Genuesen und den neuen Machthabern auch nur für kurze Zeit, wenngleich sich die genuesischen Hoffnungen auf eine privilegierte Stellung im Orienthandel nach der Eroberung nicht erfüllten. Insbesondere infolge hoher osmanischer Zollforderungen wurde der Handel im Schwarzen Meer unrentabel, weswegen bis 1475 auch sämtliche genuesische Niederlassungen in der Region aufgegeben wurden (mit Ausnahme von Chios, das erst 1566 von den Osmanen erobert wurde).
Schon Ende des 14 Jh. und speziell im 15. Jh. begann eine instabile Periode in der Geschichte G.s, das von inneren Unruhen erschüttert und von äußeren Mächten beeinflusst wurde. Erst dem Dogen Andrea Doria (1528–60) gelang es mit Unterstützung Kaiser Karls V., die Macht der Oligarchenfamilien zu brechen und die inneren Kämpfe zu beenden. In der Folge prosperierte die Stadt, besonders durch Schiffbau und Bankwesen. Nach dem Tode Dorias setzte der Niedergang des genuesischen Handelsimperiums ein. Die im 15. Jh. gegründete ›Banca di San Giorgio‹ verblieb jedoch bis ins 19. Jh. eine der wichtigsten Handelsbanken des Mittelmeerraumes.
Ihre Handelstätigkeit zu Zeiten der Kreuzzüge und im ausgehenden Mittelalter machte die Genuesen neben den Venezianern zu einem der wichtigsten Bindeglieder zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten. Von der einstigen Bedeutung Genuas in der Region zeugen v. a. die zum Teil noch erhaltenen genuesischen Festungen, die zur Blütezeit Genuas in der Levante und an den Küsten des schwarzen Meeres (z. B. Sudak auf der Krim) errichtet wurden.