Kaukasien (Überblick)
Kaukasien (armen. Kovkas, aserbaidschan. Qafkaz, georg. kavkasia, russ. Kavkaz).
Der Begriff K. bezeichnet die zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gelegene Landbrücke mit einer Ausdehnung von rund 440.000 km². Als geographische Begrenzungen gelten im Norden die Kuma-Manytsch-Niederung und im Süden der Fluss Arax.
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1 Geographie
Von Norden nach Süden gliedert sich K. in die fünf Naturräume Kaukasusvorland, Großer Kaukasus, Transkaukasische Senke, Kleiner Kaukasus und Armenisches Hochland.
Das Relief reicht von Gebieten unterhalb des Meeresspiegels (Kaspische Senke und Kura-Arax-Tiefland bis 28 m ü. d. M.) bis zu den Gipfeln des Großen Kaukasus (Elbrus: 5642 m). Die jung aufgefalteten Gebirge des Großen und Kleinen Kaukasus entstanden durch das Aufeinandertreffen der Arabischen mit der Eurasischen Platte. Der Hauptkamm des 1100 km langen und bis zu 180 km breiten Großen Kaukasus (durchschnittliche Passhöhe: 3000 m) gilt als geographische Trennlinie zwischen Nordk. und Südk.
Zugleich wirkt der Große Kaukasus als Klimascheide, da er Kaltluftmassen aus dem Norden zurückhält und dadurch in Südk. eine relative Wärmegunst mit subtropischem Klima bedingt. In Nordk. herrscht überwiegend ein kontinentales Klima, wobei es große Temperaturunterschiede zwischen den Ebenen und dem Gebirgsland gibt. Je nach Lage variieren die mittleren Januar-/Julitemperaturen K.s zwischen –12/6 und 6/29 °C. Durch die Nähe der Meere sind die Winter in den Küstenebenen in Nordk. relativ warm. Auch in der Feuchtigkeitsversorgung gibt es große regionale Unterschiede. So liegt die durchschnittliche Jahressumme der Niederschläge zwischen 100 und 3000 mm, wobei die Feuchtigkeitsversorgung vom Westen zum Osten hin abnimmt. Die östlichen Gebiete haben zum großen Teil einen Steppen- und Halbwüstencharakter. Das Kaukasusvorland und die Transkaukasische Senke sind Gunsträume für Landnutzung und Siedlung.
Die unterschiedlichen klimatischen, z.T. mikroklimatischen Verhältnisse K.s erlauben eine Vielzahl landwirtschaftlicher Nutzungsmöglichkeiten und bedingen eine artenreiche Flora und Fauna. Am größten ist die Artenvielfalt in Georgien, wo es rund 13.000 Pflanzen- und rund 1000 Tierarten gibt.
K. ist reich an verschiedenen Bodenschätzen. Dazu zählen Kohle, Eisen-, Kupfer- und Buntmetallerze, Gold, Aluminium, Molybdän, Wolfram, Mangan, v. a. aber die Erdöl- und Erdgasvorkommen in Aserbaidschan, die zum größten Teil unter dem Kaspischen Meer liegen. Die Erdölreserven Aserbaidschans werden auf bis zu 31 Mrd. Barrel geschätzt.
2 Politische Gliederung
Der geographischen Trennlinie des Großen Kaukasus entspricht die politische Unterteilung in das zur Russländischen Föderation gehörende Nordk. und in Südkauk. (russ. Zakavkazʹe – „Transk.“), das die drei unabhängigen Republiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien umfasst. Zu Nordk. werden im kulturgeographischen und engeren politischen Sinne sieben autonome Republiken mit einer überwiegend nichtslawischen Bevölkerung gerechnet. In West-Ost-Richtung sind dies Adygejien (7600 km², Hauptstadt: Majkop), Karatschai-Tscherkessien (14.277 km², Čerkessk), Kabardino-Balkarien (11.518 km², Nalʹčik), Nordossetien-Alanien (7953 km², Vladikavkaz), Inguschetien (3600 km², Magas), Tschetschenien (15.700 km², Grosny) und Dagestan (50.278 km², Machačkala). Diese sieben nationalen Teilrepubliken grenzen mit Ausnahme Adygejiens, das als Exklave innerhalb der Region Krasnodar liegt, unmittelbar aneinander und bilden zusammen mit der Region Krasnodar die Grenze der Russländischen Föderation zu Georgien und Aserbaidschan. Im weiteren Sinne werden zu Nordk. zusätzlich noch die Regionen (russ. kraj) Krasnodar (75.700 km²) und Stavropolʹ (66.100 km²) und besonders in russischen Texten häufig auch das Gebiet (russ. oblastʹ) Rostow (101.100 km²) gerechnet, das seit 1963 zusammen mit den genannten administrativen Einheiten Nordk.s die Wirtschaftsgroßregion Nordk. bildet. Diese Großregion wiederum bildet zusammen mit den Gebieten Astrachan und Wolgograd und der Republik Kalmückien den Föderationskreis Südrussland (auch: Nordk.; Verwaltungssitz: Rostow am Don), eine der sieben administrativen Großregionen der Russländischen Föderation, die im Jahr 2000 geschaffen wurden.
Südk. ist politisch unterteilt in die drei unabhängigen Republiken Armenien (Eigenbezeichnung: Hajastan, 29.743 km², Hauptstadt: Jerewan), Aserbaidschan (86.600 km², Baku) und Georgien (Eigenbezeichnung: saƙarťvelo, 69.700 km², Tbilissi). Zum Staatsterritorium Aserbaidschans gehört als Exklave die zwischen Türkei, Armenien und Iran gelegene Autonome Republik Naxçıvan (5500 km², Naxçıvan) und offiziell das abtrünnige Gebiet Bergkarabach (4400 km², Xankəndi). Zum Staatsterritorium Georgiens gehören die Autonome Republik Adscharien (2900 km², Batumi) sowie offiziell die abtrünnige Republik Abckrhasien (8600 km², Soxumi) und das abtrünnige Gebiet Südossetien (3885 km², Zchinwali).
Nach den Ergebnissen der letzten russischen Volkszählung von 2002 lebten in den sieben nordkaukasischen Republiken 5,43 Mio. Personen, davon 0,447 Mio. in Adygejien, 0,439 Mio. in Karatschai-Tscherkessien, 0,901 Mio. in Kabardino-Balkarien, 0,71 Mio. in Nordossetien-Alanien, 0,467 Mio. in Inguschetien, 1,104 Mio. in Tschetschenien und 2,576 Mio. in Dagestan. Die Zahl für Tschetschenien gilt jedoch als fragwürdig. Unabhängige Schätzungen gehen von einer Einwohnerzahl von derzeit ca. 0,8 Mio. aus. Von den 4,327 Mio. Personen der übrigen Republiken waren 2,293 Mio. Frauen (53 %) und 2,034 Mio. Männer. Bei einer Bevölkerungsdichte von durchschnittlich 73,4 Einwohnern pro km² lebten 50,7 % in Städten.
In den südkaukasischen Republiken lebten 2004 nach den Angaben der fortgeschriebenen Volkszählungen ca. 16 Mio. Personen, davon 3,212 Mio. in Armenien, 8,266 Mio. in Aserbaidschan, davon ca. 0,32 Mio. in Nachitschewan und ca. 0,146 Mio. in Bergkarabach, und 4,543 Mio. in Georgien, davon ca. 0,178 Mio. in Abchasien und ca. 0,049 Mio. in Südossetien. Als umstritten gilt die Bevölkerungszahl für Armenien, die unabhängigen Schätzungen zufolge unter 3 Mio. liegen soll. Von der gesamten Bevölkerungszahl Südk.s waren 52% Frauen und 48 % Männer. Die Bevölkerungsdichte betrug durchschnittlich 89 Einwohner pro km², 55 % davon lebten in Städten. Charakteristisch für K. ist die große ethnische und sprachliche Vielfalt. Sie ist einerseits auf die exponierte geographische Lage, andererseits auf die isolierende Wirkung der geologischen Formation mit ihren teilweise schwer zugänglichen Gebirgstälern zurückzuführen. K. zählt zu den ethnisch am stärksten differenzierten Gebieten weltweit.
Nach ethnolinguistischen Kriterien lassen sich Ethnien der altaischen, der indoeuropäischen, der autochthonen kaukasischen und der semitischen Sprachfamilie unterscheiden. Zu den Ethnien der altaischen Sprachfamilie in K. gehören die Aseri, Balkaren, Karatschaier, Kumücken, Nogaier, Turkmenen und Tataren der türkischen sowie die Kalmücken der mongolischen Sprachgruppe. Die Ethnien der indoeuropäischen Sprachfamilie in K. umfassen die Armenier, Griechen, Moldawier, Russen, Ukrainer und die Ethnien der iranischen Sprachgruppe, die Kurden, Osseten, Talyšen und Taten („Bergjuden“). Die Ethnien der nordwestkaukasischen Sprachgruppe sind die Abasinen, Abchasen, Kabardiner, Tscherkessen und Ubychen, die der nordkaukasischen Sprachgruppe die Batsen, Inguschen und Tschetschenen. Am stärksten differenziert sind die Ethnien der nordostkaukasischen (dagestanischen) Sprachgruppe. Es gibt ca. 15 dagestanische Sprachen mit über 50 Dialekten. Zu den Ethnien der dagestanischen Sprachgruppe gehören die Agulen, Anden, Artschiner, Awaren, Buduchen, Cachuren, Chinalugen, Darginer, Krysen, Lakken, Lesginer, Rutuler, Tabassaraner und Uden. Die Sprecher der südkaukasischen Sprachgruppe bilden die Ethnie der Georgier. Sprachlich wird aber zwischen Georgisch, Lasisch, Mingrelisch und Swanisch unterschieden. Die im Kaukasus vertretenen Ethnien der semitischen Sprachfamilie sind Assyrer und Juden. Bei zahlreichen Ethnonymen handelt es sich um Fremdbezeichnungen, z. B. im Falle der Armenier, Awaren, Balkaren, Georgier, Inguschen, Osseten, Tscherkessen und Tschetschenen.
Kaum eine dieser Ethnien siedelt ausschließlich kompakt innerhalb einer politischen Einheit, so dass K. auf relativ kleinem Raum eine schillernde ethnische Vielfalt bietet, in der sich fast jede Ethnie teilweise auch in der Situation einer Minderheit befindet. Mehr als zwei Drittel der Armenier und der größte Teil der Aseri leben außerhalb Armeniens und Aserbaidschans (ca. 7 Mio. Armenier in der weltweiten Diaspora und ca. 18-20 Mio. Aseri im Nordwesten Irans). Durch Vertreibung, Flucht und Migration seit dem 19. Jh. leben von heute ca. 6 Mio. Tscherkessen nur noch 0,7 Mio. in Nordk. Durch Assimilierungsdruck sind einige kaukasische Sprachen und Dialekte, z. B. das Ubychische, bereits ausgestorben, andere gelten als vom Aussterben bedroht, z. B. das Abasinische und das Lasische.
Von den Religionen sind in K. hauptsächlich das Christentum in Armenien (gregorianisch), Georgien und Nordossetien-Alanien, den Gebieten Krasnodar und Stavropolʹ (orthodox) und vereinzelt in muslimischen Gebieten vertreten sowie der Islam in den nordkaukasischen Republiken (sunnitisch), in Aserbaidschan (66 % schiitisch, 33 % sunnitisch), in Abchasien, Adscharien (sunnitisch) und isoliert in Armenien und Georgien. Vereinzelt sind auch das römisch-katholische und protestantische Christentum und das Judentum sowie der Jesidismus in Armenien und der Zoroastrismus in Aserbaidschan vertreten. Elemente des Volksglaubens finden sich hauptsächlich in den nördlichen und südlichen Gebirgsregionen des Großen Kaukasus.
3 Kulturgeschichte
Auf der Schnittstelle zwischen Europa und Asien gelegen, blickt K. auf eine äußerst wechselvolle Geschichte zurück. Die ältesten Siedlungsreste lassen sich auf die mittlere Altsteinzeit datieren, hochentwickelte Kulturen (Kura-Arax-Kultur, Trialeti-Kultur mit Goldschmiedeerzeugnissen) sind seit dem 3. Jt. v. Chr. bezeugt, der Weinanbau schon seit dem 5. Jt. v. Chr. Durch die offene Lage K.s als Landbrücke war besonders Südk. seit der Frühgeschichte wirtschaftlich und kulturell mit dem östlichen Mittelmeerraum und den Hochkulturen Vorderasiens verbunden. Seit vorchristlicher Zeit verlief ein Teil der Seidenstraße durch das Gebiet. Andererseits machte diese offene Lage K. anfällig für Eroberungen. So gehörte Nordk. nacheinander zum Khanat der Chasaren (7.–9. Jh.), zum Reich der Goldenen Horde (13.–15. Jh.) und zum Krimkhanat (15.–18. Jh.). Nur die Gebirgsregionen Nordk.s erwiesen sich als unbeherrschbar, so dass sich die Völker dieser Region relativ isoliert und eigenständig entwickeln konnten.
Südk. hingegen geriet durch seine geographische Lage schon seit vorchristlicher Zeit in die ständigen Auseinandersetzungen der regionalen Großmächte im Süden um die Vorherrschaft in diesem Raum. Es waren dies die verschiedenen Reiche der Perser und Araber im Südosten gegen die aufeinander folgenden Reiche der Griechen, Römer, Byzantiner und Osmanen im Südwesten, die alle die Geschichte und Kultur Südk.s mitprägten. Allerdings ermöglichte die Lage an der Peripherie der Reiche auch eine kulturelle, z. T. auch politische Eigenständigkeit, die im Falle Armeniens und Georgiens durch die Einführung des Christentums im frühen 4. Jh. gestärkt wurde. So entstanden in vorchristlicher Zeit die Königreiche von Kolchis (6. Jh.), Ibēria (4. Jh.), Albania (4. Jh.) und Armenien (2. Jh.), und in nachchristlicher Zeit kam es zu Blütezeiten der Herrschaft der georgischen Bagratiden (11.–13. Jh.) und des Reichs der Schirwanschahs in Aserbaidschan (9.–16. Jh.).
In Südk., das zu Beginn des 19. Jh. von Russland annektiert wurde, währte die Fremdbestimmung mit Ausnahme einer kurzen Phase der Unabhängigkeit (1918–21) bis zum Ende der Sowjetunion, als die drei südk. Republiken 1991 ihre Unabhängigkeit erklärten. Verschiedene Akteure (v. a. Russland, USA, Iran, Türkei) wetteifern seitdem um Einfluss in dieser geostrategisch wichtigen Region. Die Eigenbestimmung in den Gebirgsregionen Nordk.s endete mit der russischen Eroberung im 19. Jh. Die russische Herrschaft in K. hat besonders im 20. Jh. zu tiefgreifenden, z. T. gewaltsamen Veränderungen und Maßnahmen bis hin zu den Deportationen ganzer Völker 1943/44 (u. a. Balkaren, Inguschen, Karatschaier, Tschetschenen) und einem extremen Ausmaß an Gewalt im Sezessionskonflikt in Tschetschenien geführt. Schätzungen zufolge fielen den beiden Tschetschenienkriegen (1994–96, seit 1999) von 1994 bis 2004 zwischen 180.000 und 250.000 Zivilisten und 15.000–30.000 russische Soldaten zum Opfer. Der asymmetrisch geführte Tschetschenienkrieg wirkt sich in zunehmendem Maße destabilisierend auf die gesamte Region Nordk. aus. Die politische Instabilität und eine tiefe sozialökonomische Krise machen Nordk. zur Schwachstelle der Russländischen Föderation.
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) 2003: Kaukasus-Region. Bonn (= Informationen zur politischen Bildung aktuell). Chotiwari-Jünger St. 2003: Die Literaturen der Völker Kaukasiens. Wiesbaden. Goldenberg S. 1994: Pride of Small Nations. London. Hassel F. (Hg.) 2004: Der Krieg im Schatten. Rußland und Tschetschenien. Frankfurt/Main. Pietzonka B. 1995: Ethnisch-territoriale Konflikte in Kaukasien. Baden-Baden.