Kaspisches Meer

Kaspisches Meer (auch: Kaspisee, Kaspi[j]-See, aserbaidschan. Xəzər dənizi, kalmyk. Kök teņgs, kasach. Kaspij teņízí, kumükisch Kaspij dengiz, lakk. Anžillal ḫĭḫĭiri, lesg. Kaspijskij gĭuĭl, pers. Daryā-ye Māzandarān, russ. Kaspijskoe more, tschetschen. Tarḫojn cḩord, turkmen. Kaspiӱ deñzi)

Inhaltsverzeichnis

1 Lage und Orographie

Das K. M. ist nach Fläche (rd. 404.700 km² zu Beginn der 1930er Jahre, dann – nach Rückgang des Wasserspiegels um fast 2 m – noch 377.000 km²) und Wassermenge (76.000 km³) das größte Binnenmeer der Erde; es ist zugleich nach dem Baikalsee der zweittiefste See der Erde mit einer Tiefe von 980 m. Waren bis zur Auflösung der Sowjetunion die UdSSR und Iran die beiden einzigen Anrainerstaaten, so teilen sich heute Russland, Aserbaidschan, Iran, Turkmenistan und Kasachstan die Nachbarschaft des K.M. Außer der Wolga als wichtigstem Zufluss entwässern von Westen v. a. die Flüsse Terek und Sulak in Dagestan, Kür (mit Arax) in Aserbaidschan, Žem und Ural in Kasachstan sowie eine Reihe kleinerer Gewässer aus den Gebirgen des Nordiran in das Binnenmeer. Nach heutigem Kenntnisstand beeinflussen insbesondere die Witterungsverhältnisse am Oberlauf der Wolga und ihrer Nebenflüsse den Wasserhaushalt. Eine neue geopolitische und geoökonomische Bedeutung erhielt das K.M. durch Erdölfunde, mit deren Erschließung im off-shore-Bereich nach der Auflösung der Sowjetunion begonnen wurde.

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Das K. M. ist ein Restbecken des Urmeeres Tethys, das in geologischer Vergangenheit den europäischen Kontinent vom afrikanischen und von den asiatischen Kontinentalbereichen trennte und im Känozoikum mehrfach über das Schwarze Meer mit dem Atlantik zusammenhing. Bis ins Jungtertiär bestand über die Kuma-Manytsch-SenkeNiederung eine Verbindung zum Schwarzen Meer und damit zum Mittelmeer; im Abflusssystem Mittelasiens verband ein Vorgänger des heutigen Amudarja den Aralsee mit dem K. M. Im Zusammenhang mit der Absenkung des Meeresspiegels in den pleistozänen Kaltzeiten und tektonischen Bewegungen im nördlichen Kaukasusvorland wurden die genannten Meeresbecken vorläufig endgültig voneinander getrennt.

Das Gewässer gliedert sich in drei Teilbecken, von denen das eine nördlich einer Linie zwischen der Terek-Mündung und der Halbinsel Maņģystau sehr flach ist und im Bereich des Wolgadeltas und des Zuflusses von Žem und Ural durch die Sedimentation ständig an Fläche verliert. Das mittlere Becken (bis 800 m tief) und das südliche Becken (1025 m) werden durch eine submarine Schwelle voneinander getrennt, die als unterseeische Fortsetzung des Gebirgskörpers zwischen dem Kaukasus und der Halbinsel Apşeron auf der kaukasischen Seite und der Halbinsel Çeleken und dem Gebirgszug Köpetdag in Turkmenistan verstanden werden kann.

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2 Wasserhaushalt und Klima

Der Seespiegel liegt derzeit bei etwa –28 m, doch unterliegt der Seespiegel Schwankungen, die teils wohl natürliche Ursachen haben, teils anthropogen bedingt sind. Bis in die 1930er Jahre schwankte der Seespiegel um –29 m, eher er bis 1978 deutlich auf –26,6 m zurückging. Dadurch verringerte sich wie erwähnt die Seefläche Diese Entwicklung wurde v. a. auf das sowjetische Großprojekt des Aufstauens der Wolga zurückgeführt. Die Anlage von ausgedehnten Stauseen insbesondere bei Rybinsk, Samara und Wolgograd führte zunächst dazu, dass jeweils über mehrere Jahre beträchtliche Teilmengen des Abflusses zum Auffüllen der Stauseen benötigt wurden. Danach war mit den Stauseen eine Fläche entstanden, die zu erhöhten Verdunstungswerten führte. Gleichzeitig wurden am Unterlauf des Flusses neue Bewässerungsgebiet erschlossen, deren Versorgung mit Bewässerungswasser ebenfalls Verluste beim Abfluss bewirkte. Auch die Wasserentnahme für Nutzungen in Industrie und rasch wachsenden Städten an der Wolga und ihren Nebenflüssen ließ den Abfluss leicht zurückgehen. Erst Ende der 1970er Jahre hatte sich eine neue Balance herausgebildet. Zwischen 1978 und 1995 stieg jedoch der Wasserspiegel wieder um über 2 m an, was man sich nicht ohne weiteres aus dem nunmehr erreichten Füllungsgrad der Wolgastauseen erklären kann. Möglicherweise sind im Einzugsgebiet der Wolga die Niederschlagssummen etwas höher geworden. Der erneute leichte Anstieg des Seespiegels bedroht nunmehr aber an verschiedenen Stellen Siedlungen, die nach dem Trockenfallen flacher Strandpartien bei der Absenkung des Seespiegels angelegt worden waren. Besonders kritisch ist die Situation dort, wo Förderanlagen der Erdöl- und Erdgaswirtschaft oder Industriebetriebe angelegt worden waren, weil dort die Gefahr von Schadstoffeinträgen in das Wasser des K. M.es sehr groß ist. 1997 hat sich der Seespiegel auf einem höheren Niveau in –28 m NN stabilisiert.

Die Verringerung des Wasserinhalts im K. M. ließ den Salzgehalt ansteigen. Dabei bestehen erhebliche regionale Unterschiede: Während an der Wolgamündung ein Salzgehalt von nur durchschnittlich 1 ‰ gemessen wird und im nördlichen Becken 4 ‰ als Durchschnitt gelten, sind es im mittleren Abschnitt des Sees 13 ‰, in der Bucht Garabogaz aÿlagy („Schwarzer Schlund“) gar 300 ‰.

Der Wasserhaushalt wird insbesondere durch oberirdische Zuflüsse bestimmt, von denen die Wolga am wichtigsten ist. Die Zuflussmenge aller Flüsse, die in das K. M. münden, entspricht der Verdunstung über der Meeresfläche. Garabogaz aÿlagy, eine fast abgetrennte Meeresbucht auf turkmenischem Gebiet spielt eine besondere Rolle im Wasserhaushalt. Ihr strömte schon mit Salzen angereichertes Oberflächenwasser zu, um in der Bucht zu verdunsten; die dabei auskristallisierenden Glaubersalze (Mirabilit) konnten abgebaut und genutzt werden. In der Zeit eines fallenden Seespiegels meinte man, durch Abtrennung der Bucht diese Verdunstungsverluste zu verhindern und damit den Seespiegel stabilisieren zu können. Tatsächlich drohte aber der Beckenboden der Bucht völlig auszutrocknen und zur Salzwüste zu werden, in der der weitere Abbau des Glaubersalzes unmöglich würde. Daher wurde das Projekt teilweise wieder rückgängig gemacht.

Durch die hohen sommerlichen Lufttemperaturen erwärmen sich die obersten Wasserschichten im Juli bis 23–27° C, in 200 m Tiefe werden nur noch 6° C erreicht. Im Winter friert der nördliche Teil regelmäßig zu, über dem mittleren und südlichen Teilbecken sinken die durchschnittlichen Januartemperaturen auf –4 bis 9 °C ab.

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3 Fauna

Die Fauna des K. M.es verdankt ihre Eigenart dem Erhalt von Tierarten aus dem Jungtertiär und der Zuwanderung weiterer Arten über das Wolgasystem. Zu den wichtigsten Tieren des K. M.es gehörten mehrere Störarten, deren Bestände durch Raubfischerei bis in die jüngste Zeit und durch ungünstige Umweltbedingungen sehr stark zurückgegangen sind. Das Wolgadelta wird als besonders vogelreich beschrieben, doch kam es im 20. Jh. zu erheblichen Eingriffen in die Populationen.

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4 Der Uferbereich und seine Siedlungen

Die Küste des K. M.es ist nicht in allen Abschnitten für die Anlage von Siedlungen geeignet. Im nördlichen, sehr flachen Seebecken führen schon leichte Seespiegelschwankungen zu großen Landgewinnen oder -verlusten; Siedlungen befinden sich in der Gefahr, entweder bei Seespiegelsenkung den Zugang zum Meer und damit eine anfängliche Hafenfunktion zu verlieren oder bei Seespiegelanstieg von Überschwemmungen bedroht zu sein. Nachdem in den dichter besiedelten und industrialisierten Gebieten Aserbaidschans und Kasachstans seit den 1950er Jahren die trocken gefallenen Ufergebiete besiedelt wurden, drohen heute Überschwemmungen. An der iranischen Küste begünstigte der Bauboom zurückliegender Jahrzehnte die Anlage von Ferienhäusern, deren Grundstücke seit Beginn der 1980er Jahre ebenfalls gefährdet sind. Am günstigsten sind die Siedlungslagen im Bereich der Halbinseln, die aus einem Gebirgskern aufgebaut sind, weil hier eine Spiegelschwankung nur geringe Verschiebungen der Küstenlinie in horizontaler Richtung bewirken. So sind hier die – neben Astrachan – wichtigsten Hafenstädte entstanden: Baku in Aserbaidschan, Türkmenbaşy in Turkmenistan und Atyrau auf der Halbinsel Maņģystau in Kasachstan.

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5 Wirtschaft

5.1 Fischerei

Die Fischerei gehörte traditionell zu den wichtigsten Wirtschaftsaktivitäten des K. M.es. In der ersten Hälfte des 20. Jh. rechnete man noch mit Erträgen von 15 kg je ha Seefläche und Jahr; 1930 kam die Hälfte der gesamten sowjetischen Fischproduktion aus dem K. M. Besonders gefragt waren die verschiedenen Störarten (als Speisefisch und zur Kaviargewinnung), bei denen es jedoch inzwischen zu einer massiven Überfischung gekommen ist, weil mit illegalem Kaviarhandel große Summen (schätzungsweise 6 Mrd. US-$) zu verdienen sind. Auch die Bestände von Barsch, Plötze, Karpfen, Zander und Hecht sind stark zurückgegangen.

5.2 Verkehrsbedeutung

Die Verkehrsbedeutung des K. M.es ist nicht allzu groß, obwohl es mehrere Schifffahrtslinien und Fährverbindungen gibt. Wichtigste Häfen sind Astrachan und Machačkala in der Russischen Föderation, Baku, Atyrau und Türkmenbaşy. Eine Eisenbahnfähre verbindet Baku mit der turkmenischen Hafenstadt Türkmenbaşy. Schiffsverbindungen zwischen den GUS-Staaten und Iran beschränken sich auf den Frachtverkehr.

In Planung ist eine Pipeline, die kasachisches Erdöl von der Halbinsel Maņģystau nach Baku bringen soll, wo ein Zugang zu der südkaukasischen Hauptpipeline Baku–Ceyhan (Türkei) gewonnen wird. Das Projekt ist aus ökologischen Gründen sehr umstritten, da der kaspische Raum zu den seismisch besonders aktiven Zonen gehört und das Risiko eines Berstens einer Pipeline nicht ausgeschlossen werden kann.

5.3 Erdöl

Die Entdeckung von Erdöl reicht weit in die vorsowjetische Zeit zurück, doch wurden damals fast ausschließlich festländische Vorkommen genutzt. Nach dem modernen Förderbeginn 1872 wurde um die Wende vom 19. zum 20. Jh. und bis zum Ersten Weltkrieg durch die Tätigkeit der Brüder Nobel und des Hauses Rothschild ein erster geoökonomischer Höhepunkt erreicht, ehe auf dem Weltmarkt die Konkurrenz der US-amerikanischen Golfregion zunahm und sich die UdSSR zunehmend vom Weltmarkt abkoppelte. Ende der 1940er Jahre weitete sich die sowjetische Förderung auch auf den off-shore-Bereich aus, wo die Arbeitersiedlung Neftjanye Kamni errichtet wurde. Mit der Erschließung der westlich des Ural und der in Sibirien gelegenen Vorkommen verlor das kaspische Erdöl an relativer Bedeutung. Am Ende der Sowjetzeit hatte Aserbaidschan gerade noch einen Anteil von 2 % an der sowjetischen Erdölförderung. Besondere Bedeutung hat das K. M. seit der Auflösung der Sowjetunion und seit der Unabhängigkeit der Nachfolgestaaten aufgrund seiner neu entdeckten und internationalen Konsortien zur Nutzung zugesprochenen Erdölvorkommen erlangt. Die Gründung der ›Azerbaijan International Operating Company‹ Mitte der 1990er Jahre diente Erschließung dieser Ressourcen; nach jahrelangem Tauziehen wurde schließlich 2004 mit der Pipeline Baku–Ceyhan eine leistungsfähige Transportader in Betrieb genommen, über die täglich bis 1 Mio. Barrel Rohöl transportiert werden können. Das Gesamtpotenzial der Region wird auf 18 Mrd. t Erdöl und 29 Bill. M³ Erdgas geschätzt, wobei etwa ein Sechstel bereits gefördert wurde.

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6 Geopolitik und Geoökonomie des Kaspischen Meeres

Mit der Nutzung der Erdölressourcen verbindet sich heute eine völkerrechtliche Problematik: Teils wird das K. M. als Binnensee angesehen, teils als Meer, bei dem das Internationale Seerecht Geltung hat. In den 1920er Jahren hatte die junge Sowjetunion Verträge mit Persien über die Grenzziehung geschlossen, durch die Persien bzw. Iran einen Anteil von etwa 15 % der Seefläche erhielt. Inzwischen sind fünf Staaten Anrainer, die in unterschiedlicher Intensität eine Aufteilung der Nutzung der Bodenschätze und auch der im Wasser befindlichen Ressourcen nach dem Internationalen Seerecht fordern. Die Seefläche selbst wird – mit Ausnahme der Hoheitsgewässer im ufernahen Bereich – als internationale Verkehrsfläche angesehen, während die Nutzung der Ressourcen jeweils den einzelnen Nationen zugeschrieben werden soll. Eine endgültige vertragliche Regelung zwischen den fünf Staaten steht noch aus.

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7 Das Kaspische Meer in der Geschichte

Als Mare Hyrcanum oder Mare Caspium lag das K. M. in der Antike am Rand des Kenntnishorizonts der Alten Welt. Während die Kaspiniederung im heutigen nordwestlichen Kasachstan und in Südrussland Steppengebiet war, das nur von nomadischen Völkern aufgesucht wurde, kam es entlang der Küsten im heutigen Dagestan, Aserbaidschan, Iran sowie im südwestlichen Turkmenistan zu frühen Ansiedlungen mit einer Kontinuität großer Teile des Siedlungsraumes, die bis in die Gegenwart reicht. Immer wieder besuchten Reisende die kaukasische Küste und das Wolgadelta. Unter Zar Pëtr I. setzte eine systematische Erforschung ein, die mit dem zunehmenden Interesse Russlands am Asienhandel zusammenhing. Erst mit der russischen Eroberung Kaukasiens und Turkmenistans im 19. Jh. setzte eine Befriedung des vorher auch von Seeräubern und Piraten bedrohten Meeres ein, bis im 20. Jh. die Ressourcennutzung in den Vordergrund trat.

Bahro G., Lindemann I. 2004: Ressourcenreichtum und Umweltzerstörung am Kaspischen Meer, Geographische Rundschau 56/10, 18–27. Dobrovol’skij A. D., Kosareva A. N., Leont’ev O. K. 1969: Kaspijskoe more. Moskva. Giese E, Bahro G., Betke D. 1998: Umweltzerstörungen in Trockengebieten Zentralasiens (West- und Ost-Turkestan). Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen. Stuttgart (= Erdkundliches Wissen 125). Gjulʹ K. K., Lapplajnen T. N., Poluskin V. A. 1970: Kaspijskoe more. Referativnyj sbornik. Moskva. Kosarev A.N., Yabonskaya E. A. 1994: The Caspian Sea. The Hague. Wenzel H.-D. (Hg.) 2003: Der Kaspische Raum: Wirtschaftliches Handeln zwischen Regionalisierung und Globalisierung. Bamberg (= Public Economics Series 5).

(Jörg Stadelbauer)

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