Chust

Chust (ukrain./russ., ungar. Huszt, dt. Husst, slowak./tschech. Chust, Hust)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die westukrainische Kreisstadt Ch. liegt am Fuße der Waldkarpaten am rechten Ufer der Theiß im „Gebiet Transkarpatien“, was der Stadt in der Vergangenheit strategische Bedeutung aufgrund ihrer Lage am Übergang zu den Ebenen Eurasiens verlieh. Ch. umfasst eine Fläche von 22 km² und zählt 28.698 Einwohner (2006). Heute sind die zentralen Wirtschaftszweige der Stadt die Textil-, Baustoff- und Lebensmittelproduktion.

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2 Kulturgeschichte

Von seiner Gründung durch ungarische und deutsche Kolonisten – vermutlich in der zweiten Hälfte des 13. Jh. – bis 1919 sowie nochmals von 1919 bis 1944 gehörte Ch. zu Ungarn . Gegründet wurde Ch. im Zuge des Landesausbaus und der Herrschaftsverdichtung – ein Prozess, der im Spätmittelalter auch die peripheren nordöstlichen Regionen Ungarns erfasste. Wohl legendär ist die Annahme der Gründung der Burg Ch. durch Kg. László I. (1077–95). Die erste urkundliche Erwähnung unter dem Namen Huszth stammt aus dem Jahr 1329. Ch. war vom 14. Jh. bis ins 18. Jh. Hauptort des Komitats Máramaros. Die auf einem benachbarten Hügel oberhalb des Theißtales gelegene Burg schützte die Transporte aus den Salzminen von Slatina. Große Teile des Komitats waren wie sein Vorort Ch. Krongut. Der deutsche Bevölkerungsanteil der Stadt ging im Zuge von Reformation und Konfessionalisierung, die hier mit der Annahme des von ethnischen Ungarn dominierten Calvinismus einhergingen, zurück.

Ch. wurde in der Frühen Neuzeit eine der fünf königlichen Freistädte des Komitats, ohne dass eine sonderliche ökonomische Entwicklung damit verbunden gewesen wäre. Wenige große Magnatenfamilien wie die Drágffy oder Hommonai, die phasenweise auch das Krongut in Pfand genommen hatten, dominierten das Komitat politisch. Die Bevölkerung außerhalb der kleinen urbanen Zentren, die – wie Ch. – nur wenige Hundert Einwohner zählten, setzte sich v. a. aus Rumänen und Ruthenen zusammen, während die Bergleute vorwiegend deutscher Abstammung waren. Die intensiven frühneuzeitlichen Kriege im Donau-Karpatenbecken trafen Gebiet Máramaros und damit auch Ch. nur selten, wenn es aber zu Kämpfen kam, litten die zentralen Orte besonders. 1594, 1658, 1661 und 1717 verwüsteten krimtatarische Reiterverbände die Umgebung von Ch., 1657 zogen polnische Truppen durch das Gebiet, 1659 und 1661 osmanische Verbände. Ch. selbst wurde dabei jedoch nie eingenommen. Von 1603/1604–07 war Ch. zusammen mit dem gesamten Krongut des Komitats im Besitz des damals am Prager Hof sehr einflussreichen Militärunternehmers Giorgio Basta, dem auch die Würde eines Gespans von Máramaros verliehen wurde. Im Zuge der antihabsburgischen antihabsburgischen Aufstände ungarischer Stände v. a. unter Fürst Ferenc II. Rákóczi, stand Ch. auf Seiten der Feinde des Erzhauses. Nachdem Rákóczi Ch. 1703 unter seine Kontrolle gebracht hatte, wurde in der Stadt 1709 ein siebenbürgischer Landtag abgehalten, da weite Teile Siebenbürgens bereits wieder unter der Kontrolle Wiens standen.

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Im späten 18. Jh. begann die zahlenmäßig bedeutende jüdische Einwanderungswelle aus Galizien in den Nordosten Ungarns und damit auch nach Ch. Juden waren v. a. als Gutspächter, Schankwirte, Händler und später Industrielle (Holzverarbeitung) tätig, um 1910 stellten sie ein Drittel der Stadtbevölkerung. Auch in Ch. assimilierte sich ein der Juden sprachlich und kulturell an die Ungarn, ein Teil der ärmeren jüdischen Bevölkerung bewahrte die jiddische Muttersprache und die religiöse Lebenswelt des orthodoxen Judentums der Aschkenasim. Die ungarisch-jüdische Kleinstadt Ch. wurde 1919 im Zuge des Friedensvertrages von St. Germain nach dem Ersten Weltkrieg Teil der Tschechoslowakei. Bereits im 19. Jh. war es zu einer allmählichen Einwanderung von Ruthenen aus dem Umland in die Stadt gekommen, ein Prozess der sich nach 1918 rasch verstärkte. Die Ruthenen, die in der Zwischenkriegszeit zunehmend eine ukrainisch-nationale Identität adaptierten, stellten bald die größte Bevölkerungsgruppe der Stadt. Eine seit 1785 nachgewiesene Gruppe deutscher Siedler in Ch. bildete bis 1848 eine eigene Rechtsgemeinschaft, 1930 lebten 732 Deutsche in der Stadt. Am 21.01.1919 fand in Ch. ein Treffen einer sehr heterogenen ruthenischen Nationalversammlung statt, auf dem für die Union mit der neu gegründeten Republik Ukraine votiert wurde. Kurzzeitig war Ch. 1919 von rumänischen Verbänden besetzt und Teil der Huzulen-Republik. Von November 1938 bis März 1939 war Ch. Hauptstadt der autonomen und dann kurzzeitig souveränen Avhustin Vološyn. Eine längere Eigenstaatlichkeit konnte aufgrund der politischen Ambitionen der Nachbarstaaten jedoch nicht erreicht werden.

Der verbreitete Antisemitismus von Ungarn und Ruthenen auch in Ch. erleichterte den ungarischen Behörden und reichsdeutschen Spezialisten unter Führung von Adolf Eichmann im Frühjahr 1944 die Gettoisierung und Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung, die dann größtenteils ermordet wurde. Im Oktober 1944 von der Roten Armee erobert, wurde Ch. zusammen mit dem übrigen Transkarpatien im Juni 1945 als Teil der Ukrainischen SSR in die Sowjetunion eingegliedert. Viele deutsche, ungarische und ukrainische Einwohner wurden im Zuge stalinistischer Säuberungs- und Gleichschaltungswellen in den folgenden Monaten und Jahren deportiert und ermordet. Seit den 1980er Jahren ist Ch. – wie viele andere Gebiete der ehemaligen UdSSR auch – von starker Migration und der Verarmung weiter Bevölkerungsgruppen geprägt. 90 % der Einwohner Ch.s sind heute ethnische Ukrainer. Seit den 1950er Jahren angesiedelte Russen und eine kleine ungarische Minorität spielen eine zunehmend marginale Rolle. Außer den malerischen Ruinen der 1766 niedergebrannten Burganlage außerhalb der Stadt ist die spätmittelalterliche – nunmehr reformierte – Kirche eine wichtige Sehenswürdigkeit. Daneben gibt es unierte und orthodoxe Kirchenbauten. Das Stadtbild wird durch die im kleinstädtischen Milieu im Ungarn des 19. Jh. verbreitete Architektur geprägt.

(Meinolf Arens)

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