Oberungarn

Oberungarn (latein. Partes regni Hungariae superiores, slowak. Horné Uhorsko, ungar. Felsőmagyarország, im weiteren Sinne: [Ungarisches] Oberland, latein. Hungaria superior, slowak. Horná Zem, ungar. Felvidék).

O. bezeichnet ursprünglich einen ungarischen Verwaltungsbezirk, der unter König Ferdinand I. (1558–64) nach dem Fall von Ofen/Buda im Jahre 1541 im Zuge der Gründung der sog. Oberkapitanate entstand. Er umfasste den nordöstlichen Teil des habsburgisch gebliebenen Ungarn.

Von O. zu unterscheiden sind die niederungarischen Bergstädte – die bekanntesten waren Neusohl (ungar. Besztercebánya, slowak. Banská Bistrica), Kremnitz/Körmöcbánya/Kremnica und
Schemnitz/Selmecbánya/Banská Stiavnica –, die nach der Bildung der „Oberkapitanate“ in das Gebiet nördlich der mittleren Donau und westlich von O. gehörten. Die Grenze zwischen Niederungarn und O. verlief von der Westgrenze des Komitats Szepes (dt. Zips) nach Süden. Die wirtschaftlich-fiskalische Verwaltung O.s unterstand der 1567 in Eperies/Eperjes/Prešov gegründeten, später nach Kaschau/Kassa/Košice übersiedelten ›Zipser Kammer‹ (ungar. Szepesi Kamara).

Die zu O. gehörenden Komitate – jener bereits seit dem 12./13. Jh. bestehenden und bis heute existierenden regionalen und administrativen Einheiten des Landes – hielten gelegentlich regionale Versammlungen ab, um gemeinsame Angelegenheiten zu beraten.

O. war v. a. wegen seines Bergbaus – neben Silber, Gold und Kupfer auch Eisen – und seiner Metallindustrie bedeutend. Zum Verband oberungarischer Bergstädte zählten Göllnitz/Gölnicbánya/Gelnica, Zipser Neudorf/Igló/Spišská Nová Ves, Jossau/Jászó/Jasov, Rosenau/Rozsnyó/Rožňava, Ruda/Rudabánya, Schmöllnitz/Szomolnokbánya/Smolník und Telken/Telkibánya. Diese Städte waren teilweise in grundherrlicher Abhängigkeit und wurden nicht – wie etwa die niederungarischen Bergstädte – zu „königlichen Freistädten“, wie die juristische Bezeichnung der seit dem frühen 15. Jh. unmittelbar dem König unterstellten Städte im Königreich Ungarn lautet. Die genannten Städte kamen daher auch nicht unter die Verwaltung der ›Zipser Kammer‹. Die Grundherren der Städte und Bergwerke O.s waren nur dann an der Entwicklung des Bergbaus interessiert, wenn sie selbst Unternehmer waren. Deshalb erreichte die Entwicklung der Industrie hier nie das Niveau der niederungarischen Bergstädte. Die „Oberkapitanate“ verloren nach der Vertreibung der Osmanen ihre Berechtigung und wurden aufgelöst.

Die Bezeichnung „O.“ blieb jedoch erhalten. Sie wird allerdings meist – ungenau – als Synonym für das gesamte nördliche historische Ungarn, die heutige Slowakei, verwendet. Dass für die angesprochene Region neben dem Terminus „O.“ bereits im 19. Jh. auch die Bezeichnung ›Oberland‹ – ungarisch: Felvidék – in Gebrauch war, zeigt beispielhaft das 1878 in Budapest erschienene Buch: ›A felvidék. Politikai tanulmány‹ („Das Oberland. Politische Studie“) von Béla Grünwald, der aus einem alten deutschen Patriziergeschlecht O.s stammte und sich als Assimilant besonders für die Magyarisierung der Slowaken einsetzte, die die ungarische Regierung v. a. durch neue Schulgesetze vorantrieb. Im Zusammenhang mit der Sprachenvielfalt O.s sei ein bekannter Satz zitiert, den der Salzburger Schriftsteller, Kritiker und Essayist Karl-Markus Gauß in seine jüngste Publikation aufgenommen hat: Auf den Schlössern sprach man Ungarisch, in den Städten Deutsch und auf dem Land Slowakisch.

Bak J. M. 2004: Oberungarn. Hösch E., Nehring K., Sundhaussen H. (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien, 484. Ember G. 1946: Az újkori magyar közigazgatás története. Budapest. Gauß K.-M. 2005: Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer. Wien.

(Friedrich Gottas)

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