Zips (Region)
Zips (latein. Scepus[ium], auch: Terra Scepusiensis, poln. Spisz, slowak. Spiš, ungar. hist. Szepes).
Die Z. ist eine kulturgeschichtlich bedeutsame Region im historischen Ungarn, in welche bereits im 12. und 13. Jh. Deutsche einwandern. Charakteristisch für die deutschen Siedler ist, dass sie jahrhundertelang nicht nur ihr Deutschtum bewahren, sondern auch mit anderen ethnischen Gruppen friedlich zusammen gelebt haben. Von diesem Neben- und Miteinander zeugt unter anderem auch das hohe Niveau des kulturellen Erbes, das sich zum Teil bis in die Gegenwart erhalten hat.
Die Z., die bis 1918 eine eigene Verwaltungseinheit (Komitat bzw. Gespanschaft) bildete, liegt im Nordosten des früheren Oberungarn bzw. in der heutigen Slowakei. Das Gebiet wird im Westen durch die Hohe Tatra begrenzt. Zur Z. gehört das Tal des Flusses Poprad im südlichen Teil das Gebiet zu beiden Seiten des Flusses Hornád (dt. Hernad, ungar. Hernád) sowie im Osten das alte Bergbaugebiet des Slowakischen Erzgebirges. Die Z. vereint somit auf rund 3300 km² verschiedene Landschaften, Ebenen, Hügel, Täler und Gebirge. Archäologische Funde zeigen, dass die Z. bereits in der neolithischen Zeit (ca. 3000–2000 v. Chr.) bewohnt und kontinuierlich besiedelt war.
In der Z. lebten immer Angehörige verschiedener Völkerschaften. Hier gibt es Spuren einer lange währenden keltischen Besiedlung sowie Einflüsse der römischen Kultur. Bereits in der Antike führten Handelswege vom Mittelmeer nach Norden und Osten über die Z. Während der Völkerwanderung ließen sich im 6. Jh. Slawen auch im Gebiet der Z. nieder. Im 11. Jh. kamen als Folge der Ausdehnung Ungarns nach Norden ungarische Grenzwächter hierher. Sie waren Magyaren, doch wurde auch ein Teil des alten slawischen Adels für dieses Amt in Anspruch genommen.
Bald danach beginnt die systematische Besiedlung der dünn bewohnten Regionen der Z. durch deutsche Kolonisten. Sie kamen auf Einladung der ungarischen Könige in mehreren Wellen im 12. und 13. Jh. (Z.er Sachsen). Vom 14. Jh. an beginnen Ruthenen und Ukrainer die höher gelegenen Gegenden zu besiedeln; sie bringen nicht nur ihre eigene Sprache und Kultur, sondern auch die ostkirchliche Religion mit. An der Grenze zum nördlichen Nachbarn Polen leben Goralen. Ihre Mundart ist der polnischen Sprache nahe verwandt. Auch viele Juden leben in der Z. Ihr Hauptwohnort ist Huncovce (dt. Hunsdorf, ungar. Hunfalva). Seit dem 15. Jh. kommen auch Zigeuner bzw. Roma in die Z. Das weitgehend friedliche Neben- und Miteinander der genannten Völkerschaften währt jahrhundertelang, ehe es durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und in dessen Gefolge beendet wird.
Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die ethnische Vielfalt der Z. die Besonderheit ihrer Volkskultur bildet. Dies gilt sowohl für die Volksarchitektur, die Trachten und Bräuche, Lieder und Tänze wie für das Kunsthandwerk. Auch sonst gibt es eine reiche materielle und geistige Kultur. Das zeigt sich etwa auf dem Gebiet der Kunstgeschichte und des Bildungswesens. Wichtige kulturelle Zentren waren die Städte Levoča und Kežmarok. Levoča war vom Mittelalter bis 1922 Verwaltungs- und Kulturzentrum. Die Stadt zählte zu den wichtigsten königlichen Freistädten Ungarns im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Von höchster kunstgeschichtlicher Bedeutung sind die spätgotischen Altäre in der Jakobskirche von Levoča (um 1500). Kežmarok, wo die evangelische Holzkirche noch heute Bewunderung hervorruft, ist v. a. als geistiges Zentrum bedeutsam. Sein deutsches evangelisches Lyzeum ist jahrhundertelang eine der bedeutendsten Schulen auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. Zu deren Absolventen zählen gleichermaßen deutsche, slowakische, ungarische und jüdische Schüler. Auch außerhalb der beiden kulturellen Zentren ist die Z. reich an kunst- und kulturhistorischen Denkmälern. Kirchen, Burgen, Schlösser aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit befinden sich in fast jeder Stadt und jedem Dorf. Als Beispiele seien die Z.er Burg, das Z.er Kapitel sowie die kleine romanische Kirche in Žehra (dt. hist. Schigra, ung. hist. Zsigra) genannt. Sie allen finden sich heute auf der Liste des Welterbes der UNESCO.
Bedeutsam für die historische Entwicklung der Z. ist, dass sich hier schon sehr früh viele kirchliche, politische sowie rechtliche Selbstverwaltungsorgane bilden. Die zahlreichen kleinen mittelalterlichen Städte der Z. erhalten bereits 1271 vom ungarischen König István V. ihren Freibrief. Dieser ist die Grundlage dafür, dass 1298 der „Bund der 24 Z.er Städte“ entsteht. Der Freibrief von 1271 stellt die erste Kodifikation der Z.er Privilegien dar. Dadurch wird den Z.er Sachsen nicht nur eine weit reichende Selbstverwaltung gewährt. Vielmehr handelt es sich dabei auch um eine Art mittelalterliches Minderheitenschutzgesetz. Gestand ihnen doch der König die freie Wahl der deutschen Provinz- oder Landgrafen und der Geistlichen, eigene Gerichtsbarkeit sowie das unbeeinträchtigte Jagd-, Fischerei-, Rodungs- und Schürfrecht zu. Die 1317 und 1328 erneuerten Privilegien werden schließlich 1370 in den 95 Artikeln der „Z.er Willkür“ zusammengefasst und erweitert. Diese auf den Bestimmungen des „Sachsenspiegels“ und des „Magdeburger Weichbilds“ fußenden privaten und öffentlichen Rechtsvorschriften legen die Modalitäten bei der Wahl des Z.er Grafen und der Stadtrichter sowie die Zusammensetzung und den Aufgabenbereich der Justizorgane fest. Präzise, modern anmutende Bestimmungen über Handel, Gewerbe, familiäre und soziale Verhältnisse regeln das Leben aller nach Z.er Recht lebenden Orte und ihrer Einwohner. Die „Z.er Willkür“ ist die Krönung der Z.er Selbstverwaltung, die erst 1876 aufgehoben wird.
Dank umfangreicher Sonderrechte erreicht die auch als ›Universitas Saxonum de Scepus‹ bekannte Z. im 14. Jh. ihre höchste wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Dank der günstigen Verkehrslage an der nach wie vor wichtigen Handelsstraße von der Ostsee an die Adria und zudem an einer West-Ost-Transversale, die von Böhmen das Waagtal entlang südlich der Karpaten durch die Z. verläuft, erlangt der Transit- und der Exporthandel große Bedeutung. Erze, Leinwand, Tuche, ungarischer Wein, Schmuckgegenstände, Felle, Lederwaren, besonders aber der ›Brimsen‹ genannte Schafskäse wird bis ins 17. Jh. in großen Mengen in der Z. umgeschlagen. Die mäßige Fruchtbarkeit der Böden und das raue Klima zwingt viele Ackerbürger, zusätzlich ein Handwerk auszuüben oder ein Hausgewerbe zu betreiben. Die Rohstoffbeschaffung für das Handwerk, die Produktion und der Absatz der Erzeugnisse werden von straff organisierten Zünften kontrolliert, die erst 1872 endgültig aufgelöst werden und sich vehement –und bis ins 17. Jh. auch erfolgreich –gegen den Zuzug von Slowaken und Ungarn und die Gewährung der Bürgerrechte an diese zur Wehr setzten.
Der Aufstieg im 14. Jh. wird im 15. Jh. unterbrochen, als König Sigismund 1412 13 aus dem Bund der 24 Zipser Städte für etwa 88 kg Gold an seinen Schwager Władysław II. Jagiełło von Polen verpfändet, um einen Krieg gegen Venedig zu finanzieren. Hinsichtlich der inneren Selbstverwaltung gibt es im Verpfändungsgebiet keine bedeutsamen Änderungen. Die Intensität der kulturellen Kontakte mit Polen nimmt jedoch deutlich zu. Dies lässt sich an der Zahl von 400 Z.er Studenten ablesen, die zwischen 1400 und 1550 an der Universität Krakau immatrikuliert sind. Trotz dieser engen Beziehungen zu Polen erfasst die Reformation im lutherischen Gewande um 1530 die Z.er Deutschen auch in den verpfändeten Städten. Die nach 1600 einsetzende Gegenreformation wird von der Ansiedlung katholischer Slawen begleitet, was zu einer starken Zunahme slowakischer, polnisch-goralischer und ruthenischer Einwohner führt. Im Übrigen fallen die 13 verpfändeten Z.er Städte erst bei der ersten Teilung Polens 1772 wieder zurück an Ungarn. Die Z. ist wieder vereint, obgleich die rückgegliederte, durch den Anschluss von drei Krongütern erweiterte „Provinz der XVI Z.er Städte“ verwaltungsmäßig vorerst eine selbständige Einheit bildet.
Wichtige Stationen der neuzeitlichen Geschichte der Z. sind ferner die Hussitenkriege zwischen 1431 und 1462, die Reformation, die die Z.er Sachsen sehr rasch und vollkommen übernehmen, sowie die ständigen Einfälle türkischer Heerscharen im 16. und 17. Jh. . Die im 17. Jh. einsetzende Gegenreformation spielt in der Z. ebenfalls eine Rolle, allerdings eine deutlich geringere als in anderen Gebieten der Habsburgermonarchie. Der aufgeklärte Absolutismus des 18. Jh. bringt der Region einerseits den Verlust der alten Z.er Selbstverwaltungsrechte. Andererseits wird der deutsche Bevölkerungsteil gestärkt, unter anderem durch Einführung der deutschen Unterrichtssprache in den Schulen durch Maria Theresia.
Der im 19. Jh. in Ungarn aufkommende Nationalismus und der Umgang der Z.er Sachsen mit der Magyarisierungspolitik bilden eine weitere wichtige Station in der historischen Entwicklung der Region. Das 20. Jh. schließlich bringt als Folge zweier Weltkriege mehrfache tief greifende Veränderungen in der politischen Zugehörigkeit der Z. bzw. in der Zusammensetzung der Bevölkerung. Der Großteil der Z.er Sachsen verlässt das Land. Die Region wird Teil mehrfach wechselnder Verwaltungseinheiten der verschiedenen tschechoslowakischen bzw. slowakischen Staaten. Heute ist der Name Z. eine historische Bezeichnung, die neuerdings vor allem touristische Bedeutung hat.
Hoensch, J.K. 1995: Die Zipser. Ein Überblick, Grimm G., Zach K. (Hg.): Die Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache. Bd. 1. München,143–157. Jiroušek L., Chalupecký J. 2000: Spiš–perla Slovenska = Spis – a pearl of Slovakia = Zips –eine Perle der Slowakei. Spišská Nová Ves. Švorc P. 1995: Spiš v kontinuite času –Zips in der Kontinuität der Zeit. Prešov.