Slawische Sprachen
Slawische Sprachen
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1 Überblick
Die s. S. bilden innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie einen großen, eigenständigen Sprachzweig. Traditionell teilt man ihn aufgrund linguistischer und geographischer Kriterien in drei Untergruppen ein:
- Westslawisch: Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Nieder- und Obersorbisch;
- Ostslawisch: Russisch (veraltet Großrussisch), Ukrainisch (früher Ruthenisch, Kleinrussisch) und Weißrussisch (neuerdings auch Belorussisch);
- Südslawisch: Bulgarisch, Makedonisch, Serbokroatisch (nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre aufgespaltet in Serbisch, Kroatisch und Bosnisch bzw. Bosniakisch) und Slowenisch.
Diese slawischen Schrift- oder Standardsprachen entsprechender Titularnationen fungieren bis auf das Sorbische gleichzeitig als Staatssprachen heute selbständiger Staaten. Ihre Sprecherzahlen bewegen sich gegenwärtig in der Größenordnung von mehreren Millionen bis zu wenigen Hunderttausenden: Russisch – 120 Mio., Ukrainisch – 45 Mio., Polnisch – 40 Mio., Tschechisch – 10 Mio., Serbisch – 10 Mio. Weißrussisch – 9 Mio., Bulgarisch – 9 Mio., Kroatisch – 5 Mio., Slowakisch – 5 Mio., Slowenisch – 2 Mio., Bosnisch – 2 Mio., Makedonisch – 1,3 Mio., Obersorbisch – 50.000, Niedersorbisch – 10.000 (Rehder 1998).
Diese Zahlen geben grobe Schätzungen wider, da für exakte Angaben auch die z. T. beachtliche, aber schwer zu erfassende Diaspora (z. B. Polnisch in den USA, Ukrainisch in Kanada) zu berücksichtigen wäre. Der Status dieser Sprachen ist sehr unterschiedlich, da es neben den fest etablierten Sprachen Russisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Slowenisch und Bulgarisch auch problematische Fälle gibt. Die beiden ostslawischen Sprachen Ukrainisch und Weißrussisch standen bis in die jüngste Zeit im Schatten des Russischen und wurden im Zarenreich wie auch in der Sowjetunion marginalisiert bzw. sogar verboten. Während Ukrainisch nach dem Zerfall der Sowjetunion staatliche Förderung erfährt und den Gebrauch des Russischen in der Ukraine zunehmend einschränkt, hat sich die Position des Weißrussischen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert, da es im öffentlichen Leben – nach einer kurzen Emanzipationsphase von 1989 bis 1994 – wieder unter dem Druck des übermächtigen Russischen steht.
Die Sprecher der beiden sorbischen Schriftsprachen sind zweisprachig, und letztere haben neben dem Deutschen trotz eigener Geschichte und Literatur nur noch einen eingeschränkten Verwendungsradius. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei 1992 ist das Slowakische endgültig aus dem Schatten des Tschechischen herausgetreten und wurde zur alleinigen Amtssprache einer unabhängigen Republik.
Die Kriege in Ex-Jugoslawien hatten auch für den im Wiener Sprachenvertrag von 1850 gefundenen Sprachkompromiss zwischen Serben und Kroaten negative Folgen. Trotz ihrer erheblichen kulturgeschichtlichen Unterschiede einigten sie sich damals auf eine in wesentlichen Teilen von Vuk Karadžić (1787-1864) geschaffene, gemeinsame Standardsprache. Als Folge der Kriege und innerer Spannungen versuchen gegenwärtig nicht nur die Kroaten den im Wesentlichen in der Lexik bestehenden Unterschied zum Serbischen als Rechtfertigung für die Selbständigkeit ihrer Sprache anzuführen und auszubauen, sondern auch die muslimischen Bosniaken sehen sich veranlasst, da für sie weder Kroatisch noch Serbisch, die Idiome ihrer einstigen Kriegsgegner, als Termini weiterhin akzeptabel sind, ein eigenes Glottonym zu propagieren.
Bei der politischen Abgrenzung Montenegros gegen Serbien wird ebenfalls der Ruf nach der Konstituierung des Montenegrinischen als weiterer Staatssprache laut. Die tatsächlichen Sprachunterschiede zwischen den genannten Idiomen sind jedoch bisher relativ gering und behindern die sprachliche Verständigung zwischen den verschiedenen Volksgruppen kaum. Auf die Regierungszeit Josip Titos (1945–80) geht schließlich im Wesentlichen die Schaffung der makedonischen Standardsprache zurück, deren Eigenständigkeit bis vor kurzem von den Bulgaren vehement bestritten und bekämpft wurde. Unter Ausnutzung bestehender sprachlicher Unterschiede, die sich freilich nicht in den heutigen politischen Grenzen widerspiegeln, wurde nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin eine makedonische Standardsprache geschaffen, die sich dann im öffentlichen Bereich zunächst neben dem Serbokroatischen behauptet und nach dem Zerfall der Föderation unabhängig von ihm konsolidiert hat.
Neben diesen mehr oder weniger fest etablierten Standardsprachen, für die es normative Grammatiken und Wörterbücher gibt, die im öffentlichen Bereich verwendet und in der Schule unterrichtet werden, gibt es eine Reihe von regionalen slawischen Idiomen ohne diesen gesicherten Status und entsprechenden staatlichen Rückhalt. Dazu gehören das Kaschubische, Russinische, Burgenländischkroatische, Westpolesische, Resianische, Moliseslawische, Banater Bulgarische sowie „Vičsch“, „Halschanisch“, Lachisch, Ćakawisch, Kajkavisch, Pomakisch u. a. Als untergegangene Idiome bzw. Sprachzweige sind ferner Slowinzisch (Überblick) und Polabisch zu nennen.
Das in Ostpommern gesprochene Kaschubisch festigt in jüngster Zeit zunehmend seine Position als westslawische Regionalsprache neben dem Polnischen, obwohl es von vielen Polen weiterhin als Dialekt ihrer Sprache betrachtet wird. Nach der Änderung der polnischen Minderheitenpolitik wird diese vorwiegend in unterschiedlichen Dialekten gesprochene Sprache mittlerweile sogar in der Schule unterrichtet. Mit der Schaffung einer gemeinsamen Schulfibel und dem Ansatz zur Bildung eines einheitlichen Standards steigt die Chance der Revitalisierung.
Beim Russinischen handelt es sich um ein dem Ukrainischen nahe stehendes Idiom, das in der Wojwodina und den angrenzenden Gebieten schon vor der politischen Wende als anerkannte Minderheitensprache verwendet wurde und dort v. a. seit dem Beginn des 20. Jh. ein eigenes Schrifttum entfaltete. Zu dieser Gruppe zählen ferner weitere ostslawische Idiome in der Slowakei und Ungarn, die Sprache der Lemken in Polen oder der Huzulen z. B. in Rumänien. Unter ihnen gibt es v. a. unter dem Einfluss der amerikanischen Diaspora in jüngster Zeit intensive Versuche, eine nationale Erweckungsbewegung zu initiieren. Eine relative Unabhängigkeit lässt das Burgenländischkroatische erkennen, obwohl seine ursprüngliche Heimat je nach politischer Konjunktur im Bewusstsein der Minderheit noch eine Rolle spielt.
Für die übrigen Kleinstschriftsprachen und Regionalidiome ist die Situation geprägt von religiösen Unterschieden (katholische Banater Bulgaren in Rumänien und Serbien, muslimische Pomaken in Nordgriechenland), kultureller Sonderentwicklung (Kajkavisch und Ćakawisch in Kroatien) oder starker regionaler Identität (Westpolesisch, Lachisch, Schlesisch sowie „Vičsch“ und „Halschanisch“) usw. Neben der oben vorgestellten sprachgeographischen Einteilung ist auch die kulturgeschichtliche Differenzierung zwischen einer ›Slavia orthodoxa‹ und ›Slavia catholica‹ bzw. ›latina‹ signifikant. Dieser Unterschied schlägt sich schon äußerlich in den von beiden Gruppen verwendeten verschiedenen Alphabeten nieder. Während im von Byzanz missionierten slawisch-orthodoxen Bereich das kyrillische Alphabet verwendet wird und im 9. Jh. eine einheitliche Kirchensprache auf südslawischer Grundlage entstand, wurde im westkirchlichen Bereich das lateinische Alphabet übernommen und in die Kirche außerdem eine fremde Liturgiesprache, das Lateinische, eingeführt. Die unterschiedliche Entwicklung beider Teile der ›Slavia‹, die für manche der heute noch bestehenden Antagonismen verantwortlich zeichnet (kroatisch-serbischer, polnisch-russischer Gegensatz), schlägt sich auch in der Entwicklung unterschiedlicher Kulturtypen und -epochen nieder.
2 Geschichte
Den Beginn der von der Wissenschaft rekonstruierten gemeinsamen Ausgangssprache aller genannten Slawinen, des Urslawischen, setzt man zwischen dem 10. und 5. Jh. v. Chr. an, als sich der von vielen Forschern vermutete baltoslawische Sprachzweig aufspaltete. Das Ende dieser nicht direkt überlieferten Ursprache wird mit dem Beginn der slawischen Völkerwanderung, die insbesondere für Südosteuropa von byzantinischen Chronisten hinreichend bezeugt ist, ca. im 5. Jh. n. Chr. angesetzt.
Eine wesentliche Neuerung des Urslawischen ist die tiefgreifende Umgestaltung der ursprünglichen Silbenstruktur, die zur Öffnung aller geschlossenen Silben und zur Akkommodation von Vokalen und Konsonanten innerhalb einer Silbe führte. Beide Entwicklungen hatten umfängliche Lautveränderungen zur Folge: den Ausfall von Konsonanten, die Bildung von Nasalvokalen, die Liquidametathese oder den Volllaut sowie die Palatalisierung der Konsonanten vor vorderen Vokalen und sowie „j“ und den Umlaut hinterer Vokale vor vorderen Konsonanten. Das morphologische System weist zunächst weniger augenfällige Neuerungen auf; die Deklination behält wesentliche Merkmale des Indogermanischen bei, nur das Verb verliert einige ursprünglichen Formen und bildet neue (Imperativ, Imperfekt, Aorist, Perfekt, Passiv).
Zur Lokalisierung der Urheimat der Slawen werden neben historischen und archäologischen Quellen v. a. lexikalische Besonderheiten herangezogen. Besonders umstritten und häufig mit politischen Akzenten versehen ist der Verlauf der Westgrenze, für deren Festlegung das Fehlen einer ererbten slawischen Bezeichnung für die Buche (Rotbuche) – die jeweils aus dem Germanischen entlehnt wurde – eine tragende Rolle spielt. Ihre etwa durch die Linie Königsberg (heute russ. Kaliningrad)-Odessa markierte natürliche Vegetationsgrenze wurde mit der westlichen Grenze für die slawische Urheimat gleichgesetzt. Für die Wohnsitze der Slawen vor dem Beginn ihrer Wanderungen setzt man gemeinhin einen Bereich nordöstlich der Karpaten, östlich der Weichsel an, der weder die Ostsee im Norden noch das Schwarze Meer im Süden erreicht und das Gebiet des Pripjets und des oberen Dnjeprs einschließt. Mittlerweile wird jedoch der Prozess der slawischen Ethnogenese wesentlich differenzierter und komplexer gesehen, womit auch derartige einfache Grenzziehungen problematisch geworden sind.
Die ersten überlieferten schriftlichen Zeugnisse der ›Slavia‹ stammen aus der Zeit nach der einsetzenden sprachlichen Differenzierung kurz vor der Jahrtausendwende, und ihre älteste Schicht besteht aus in Südosteuropa gefundenen Inschriften (z. B. des Zaren Samuil aus dem Jahre 993). Das Fundament für die erste slawische Schrift- bzw. Liturgiesprache, Altkirchenslawisch oder Altbulgarisch, haben die Slawenapostel Konstantin (Kyrill) und Method bereits um 863 gelegt. Sie wurde anfangs in ›Morava‹ (von vielen mit Mähren und dem Großmährischen Reich identifiziert) verwendet und fand nach dem Scheitern der dortigen Mission in Bulgarien ihre Heimstatt, von der sie sich bald mit dem Christentum in das Kiewer Reich und nach Serbien ausbreitete. Wie die Bezeichnung für dieses in seiner Funktion dem mittelalterlichen Latein in Westeuropa vergleichbaren Idiom andeutet, fixierte es anfangs überwiegend Texte aus dem kirchlichen Bereich (Evangeliare, Menologien, Psalter, Homilien usw.).
Die heutigen Schrift- und Standardsprachen kann man in zwei Gruppen einteilen, in die mit einer älteren Tradition wie Tschechisch, Polnisch, Sorbisch sowie Bulgarisch, Russisch, Serbisch, Kroatisch und Slowenisch. Sie sind teils bald nach der Christianisierung, teils im Zusammenhang mit der Reformation entstanden. Anfangs dienten sie in der gesamten ›Slavia‹ zur Missionierung, zur Fixierung von Rechtstiteln und nur im orthodoxen Bereich auch für die Liturgie. Im westlichen Bereich beschränkte sich die Schriftlichkeit zunächst auf Glossen, Interlinearübersetzungen und kurze Rechtstexte (›Rotae‹), während im orthodoxen Bereich bereits von den Slawenaposteln fast alle liturgischen Bücher in das Altkirchenslawische übersetzt wurden.
Die jüngeren Standardsprachen wie Slowakisch, Ukrainisch, Weißrussisch gewannen erst in den nationalen Erweckungsbewegungen des 18./19. Jh. an Profil. Bei einigen der vorher genannten Schriftsprachen mit älteren Wurzeln (z. B. Tschechisch, Bulgarisch, Serbisch) zeigt sich für diese Epoche ein Traditionsbruch, da sich ihr Schrifttum unter längerer Fremdherrschaft nicht mehr frei entfalten konnte und deshalb auch der gemeinsame Standard verloren ging, der während der nationalen Wiedergeburt erst wieder hergestellt werden musste.
Im orthodoxen Bereich wurde die Auseinandersetzung mit den Resten der alten kirchenslawischen Schriftsprache geführt, die schließlich von einer im Wesentlichen auf den inzwischen weiter entwickelten Volkssprachen beruhenden Sprachform abgelöst wurde. In der im Westen der ›Slavia‹' geführten Auseinandersetzung mit den übergeordneten Amtssprachen (Latein, Deutsch, Ungarisch) orientierte man sich hingegen vorwiegend an früheren, schriftsprachlichen Formen. Der Umgang mit dem „westlichen“ Fremdanteil der Lexik ist in den s. S. sehr unterschiedlich. Neben einem stark ausgeprägten Purismus im Tschechischen und Kroatischen zeigt sich eine relative Toleranz gegenüber Fremdwörtern im Russischen, Polnischen und Serbischen.
Die politische Wende 1989 hat in allen slawischen Sprachen deutliche Spuren hinterlassen. Besonders augenfällig wird das im erheblich gewachsenen angloamerikanischen Einfluss auf die Lexik. Subtiler, aber nicht weniger wichtig sind die tief greifenden Veränderungen nach dem Wegfall der Zensur und der damit verbundenen vielfältigen politischen Sprachregelungen (besonders deutlich in der Presse). Auch das Verhältnis zur Diaspora hat sich grundlegend verändert, und alle früher verfemten Schriftsteller können jetzt frei rezipiert werden, was nicht ohne Folgen auf die Entwicklung des sprachlichen Standards bleibt. Generell ist in allen slawischen Sprachen gegenwärtig eine sehr dynamische Phase erkennen, die sich verallgemeinernd als Suche nach neuen Ausdrucksformen charakterisieren lässt.
Mit dem Ende des kommunistischen Regimes bekommen auch früher unterdrückte Sprachen und regionale Besonderheiten ein neues Gewicht. Insbesondere die Stellung des Russischen verändert sich zusehends, da es in vielen der GUS-Staaten unter den Druck der jeweiligen Staatssprachen geriet, und die dort ansässigen Russen zu einer ihres einstigen privilegierten Status beraubten ethnisch-sprachlichen Minderheit werden. Die slawischen Minderheitensprachen in der Diaspora und ihre Funktion als Sprache größerer Migrantengruppen stellen nicht nur ein Politikum dar, sondern sie bilden gleichzeitig ein wichtiges, aktuelles Thema für die Forschung, dem zahlreiche Projekte, Veröffentlichungen und Konferenzen gewidmet sind.
Ferner werden sich nach der Osterweiterung der EU auch die s. S. neu im öffentlichen Bewusstsein Europas positionieren. Mit der Beitrittsrunde 2004 erhielten erstmals vier s. S. – Polnisch, Tschechisch, Slowakisch und Slowenisch – den Status offizieller EU-Sprachen. Mit der geplanten Erweiterungsrunde 2007 werden Bulgarisch und voraussichtlich Kroatisch sowie weitere Sprachen aus Ex-Jugoslawien hinzukommen.
3 Merkmale
Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten der s. S. untereinander, die eine rudimentäre Verständigung zwischen ihren Sprechern erlaubt, sind die Unterschiede im Detail nicht gering. Im Lautlichen ist für die meisten s. S. ein sehr differenzierter Konsonantismus mit vielen Zischlauten und ein einfacher Vokalismus, vorwiegend mit nur fünf Grundvokalen, charakteristisch. Allerdings besitzt das Polnische zusätzlich zwei Nasalvokale. Sehr unterschiedlich sind die prosodischen Systeme: Feste Akzente kennen das Tschechische, Slowakische, Polnische und Makedonische, freie und bewegliche Akzente haben hingegen die ostslawischen Sprachen und das Bulgarische, während es im Serbokroatischen und Slowenischen zusätzlich noch Intonationen (musikalische Akzente) gibt. Die Morphologie ist mit 5–7 Kasus beim Nomen sehr differenziert, wobei allerdings das Bulgarische und Makedonische mit dem vollständigen Verlust der Kasusflexion eine signifikante Ausnahme bilden.
Ein Charakteristikum der s. S. ist die Herausbildung der Belebtheitskategorie, d. h. die obligatorische Unterscheidung in einigen Kasusformen zwischen Lebewesen und Sachen. Weniger komplex ist die Formenbildung beim Verb mit nur zwei synthetischen Tempusformen, wobei wiederum Bulgarisch und Makedonisch, diesmal aber mit wesentlich mehr Tempora eine Ausnahme bilden. Zusätzlich wird der Gebrauch des Verbs durch den für alle s. S. typischen Verbalaspekt (perfektiv, imperfektiv), für dessen Ausdruck sich im Deutschen keine spezifischen grammatischen Mittel herausgebildet haben, differenziert.
Im Wortschatz gibt es neben einen in weiten Teilen ererbten gemeinsamen Grundwortschatz (voda – „Wasser“, chleb – „Brot“, syn – „Sohn“, dva – „zwei“, tri – „drei“, dobry – „gut“) für andere Bereiche spezifische Unterschiede und gelegentlich auch „falsche Freunde“, z. B. bulg. godina – „Jahr“, poln. godzina – „Stunde“, russ. gora und poln. góra – „Berg“, bulg. gora – „Wald“. Neue Gemeinsamkeiten zeigen sich mittlerweile auf dem Gebiet der Internationalismen und des europäischen Kulturwortschatzes, der nur in den Sprachen mit stark puristischer Ausrichtung übersetzt wird, z. B. tschech. hudba, kroat. glazba – „Musik“, tschech. divadlo, kroat. kazalište – „Theater“ usw. Generell ist ferner im westkirchlichen Bereich der lateinische Einfluss auf die Lexik größer als der des Griechischen auf die der Ostkirche. In jüngster Zeit werden die zahlreichen Amerikanismen fast überall direkt und häufig sogar in der originalen Schreibweise übernommen.
Bei ihrer orthographischen und grammatischen Adaption können gelegentlich Tautologien (für engl. chip im Tschechischen die doppelte Pluralbildung čip-s-y) und andere Hybridbildungen (für engl. barman im Bulgarischen die Bildung der weiblichen Form barmanka) auftreten. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den s. S. in ihrer Gesamtheit, d. h. nicht mit Einzelsprachen, ist Aufgabe der Slawistik, als deren Nestor Joseph Dobrowsky (tschech. Josef Dobrovský) mit seinen ›Institutiones linguae slavicae dialecti veteris‹ (Wien 1822) gilt.
Diese Disziplin wurde im Zeichen der nationalen Wiedererweckungsbewegungen unter den Slawen im 19. Jh. begründet und fasste v. a. im deutschsprachigen Raum tiefe Wurzeln. Die ersten slawistischen Lehrstühle wurden in Europa schon um die Mitte des 19. Jh.s eingerichtet, so in Breslau, Paris, Prag, Wien, Leipzig, Graz und Berlin. Gegenwärtig wird der ursprünglich komparatistische Ansatz dieser Disziplin unter der wachsenden Bedeutung der verschiedenen slawischen Einzelphilologien freilich zunehmend zurückgedrängt oder sogar in Frage gestellt.
De Bray R. G. A. 1980: Guide to the Slavonic languages. Columbus. Comrie B., Corbett G. (ed.) 2002: The Slavonic Languages. London. Panzer B. 1996: Die slavischen Sprachen in Gegenwart und Geschichte. Frankfurt a. M. Rehder P. (Hg.) 1998: Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt.
Transliteration der slawischen Sprachen in kyrillischer Schrift