International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia
International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (engl., Abk. ICTY, „Internationales Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien“, „Internationaler Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien“).
Kaum ein internationales Gremium hat im letzten Jahrzehnt so viele kontroverse Stimmen hervorgerufen wie das ICTY, welches schwere Verletzungen der Genfer Konventionen von 1949, der Gesetze und Gebräuche des Krieges, Genozid sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgt. Für die Befürworter war und ist das ICTY, das vom UNO-Sicherheitsrat am 25.5.1993 durch die Resolution 827 gegründet wurde, ein wichtiger Mechanismus für die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts und Völkerstrafrechts. Sie sehen im ad hoc eingesetzten Tribunal einen wichtigen Wegbereiter des im Juli 2002 installierten ständigen Internationalen Strafgerichts, welches ebenfalls in Den Haag seinen Sitz hat und Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen weltweit ahnden soll. Bei vielen Kritikern des ICTY ist die Einschätzung weit verbreitet, dass das Strafgericht seine Tätigkeit sehr stark danach ausrichtet, welche politischen Ziele USA und EU auf dem westlichen Balkan verfolgen und man deshalb nicht von einem unabhängigen Gericht sprechen könne.
Die innerhalb eines Jahrzehnts durchgemachte Entwicklung von einem mehr oder weniger belächelten Gericht zu einer auch von den ehemaligen Kriegsparteien, wenn nicht respektierten, dann doch zumindest gefürchteten Instanz, spiegelt sich in der Bilanz des ICTY wider: War der bosnische Serbe Duško Tadić, der 1995 von Deutschland wegen Kriegsverbrechen im bosnischen Gefangenenlager Omarska an das ICTY ausgeliefert wurde, zunächst der einzige Häftling in Den Haag, stieg die Zahl der Beschuldigten, die von den Richtern des ICTY wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vernommen worden sind, bis Mitte Juli 2003 auf 91 an. Diese Veränderung ist v. a. auf den stärkeren Druck der EU und USA auf die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien zurückzuführen, mutmaßliche Kriegsverbrecher an das ICTY auszuliefern. Auch verfügt das ICTY in der internationalen Friedenstruppe SFOR in Bosnien-Herzegowina und in der Kosovo-Friedenstruppe KFOR sowie in der Internationalen Polizei faktisch über Hilfsorgane in einigen der betroffenen Länder.
Die in Den Haag internierten mutmaßlichen Kriegsverbrecher setzen sich aus allen Volksgruppen zusammen, die an den Kriegen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo beteiligt waren. Die größte Gruppe bilden Serben aus Bosnien-Herzegowina und aus der Republik Serbien. Sie stellen mit dem ehemaligen jugoslawischen und serbischen Staats- bzw. Republikspräsidenten Slobodan Milošević, der im Juni 2001 von Serbien ausgeliefert wurde, auch den prominentesten Häftling in Den Haag. Die weiteren Nationen sind Kroaten aus Bosnien-Herzegowina und Kroatien, moslemische Bosniaken sowie Kosovo-Albaner. Das ICTY hat hingegen keine Anklagen gegen Mitglieder der früheren jugoslawischen Volksarmee und der slowenischen Territorialverteidigung wegen möglicher Kriegsverbrechen während des Krieges in Slowenien (Juni–Juli 1991) erhoben.
In Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Makedonien (Februar–August 2001) ermittelt das ICTY wegen möglicher Kriegsverbrechen, die von ethnischen Makedoniern und Albanern begangen wurden. Zu den Beschuldigten, die sich einem Verfahren vor dem ICTY stellen müssen, gehören einfache Soldaten ebenso wie Generäle und vormals führende Politiker. Bis Mitte Juli 2003 wurde in 37 Fällen ein Urteil ausgesprochen. Dazu gehört die frühere bosnisch-serbische Politikerin Biljana Plavšić, welche die Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugegeben hat und im Februar 2002 zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt wurde. Auf 18 Angeklagte hatte das ICTY bis Juli 2003 keinen Zugriff. Darunter befanden sich zwei der Hauptangeklagten für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina, Radovan Karadžić und der bosnisch-serbische General Ratko Mladić. Das ICTY plant, bis 2008 alle größeren Fälle mutmaßlicher Kriegsverbrechen abzuschließen und die anderen Fälle zunehmend den Gerichten der betroffenen Länder zu überlassen.
Bass G. J. 2003: Milosevic in the Hague. Foreign Affairs 5/6, 82–96. Bogoeva J., Fetscher C. (Hg.) 2002: Srebrenica. Ein Prozeß. Frankfurt a. M. www.icty.org. www.iwpr.net. (http://www.iwpr.net)