Ionisches Meer

Ionisches Meer (alban. Deti Jon, griech. Ionion Pelagos, ital. Mar Ionio)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Das I. M. ist Teil des Mittelmeeres zwischen der Westküste Griechenlands und dem südöstlichen Italien. Begrenzt wird es im Westen durch die Südküste Apuliens (Salent) und die Ostküste Siziliens und Kalabriens, wo es durch die Straße von Messina mit dem Tyrrhenischen Meer verbunden ist. Im Westen bildet es den Golf von Catania und nördlich davon den Golf von Tarent (ital. Taranto). Im Osten stößt es an Epirus in Griechenland, wo es weiter südlich den „Golf von Patras“ formt, der zusammen mit dem „Golf von Korinth“ die Halbinsel Peloponnes von Zentralgriechenland trennt sowie an die südwestalbanische Küste von Saranda zum Kap Glossa bei Vlora, die als Albanische Riviera bezeichnet wird. Nach Norden hin wird es durch die Straße von Otranto vom Adriatischen Meer abgegrenzt, während es im Süden zum übrigen Mittelmeer hin geöffnet ist.

Das I. M. ist im Gegensatz zur eher flachen Adria ein sehr tiefes Becken, das südwestlich der Halbinsel von Messīnī Tiefen von 5121m, westlich von Zakynthos von 4206 m erreicht. Von antiken Autoren wurde das I. M. mit der Adria gleichgesetzt, heute wird es als deren südliche Fortsetzung verstanden. Vor der Nordwestküste Griechenlands liegen im Osten des Meeres die Ionischen Inseln, auch als Westgriechische Inseln bezeichnet. Die aus Kalk- und Flyschgebirgen aufgebauten Kerne der Inseln sind von einem Hügelland aus jungtertiären Sedimenten umgeben. Im I. M. sind Seebeben, an seinen Küsten Erdbeben keine Seltenheit. 1908 zerstörten verheerende Erdbeben Großteile der Städte Reggio di Calabria und Messina. Schwere Beben ereigneten sich 1953 mit großen Verwüstungen auf den Ionischen Inseln. 1956 kam es zur Zerstörung u. a. von Zakynthos und Kefallīnia. Der Ätna an der Ostküste Siziliens ist der höchste und aktivste Vulkan Europas.

Die Ionischen Inseln bilden heute eine Verwaltungseinheit (2.307 km², 2001: 212.984 Einwohner). Ihre Hauptinseln von Nord nach Süd sind Korfu, Paxos, Antipaxos, Lefkada, Ithaka, Kefallīnia und Zakynthos. Kleinere Eilande sind die dem Festland vorgelagerte Gruppe der Echinaden und die Gruppe der Strofaden, die im Süden von Zakynthos aus dem tiefen Meer aufragt. Historisch gehörten zu den Ionischen Inseln auch die strategisch wichtigen Oinousses-Inseln (Sapientza und Schiza) vor der Südküste der Halbinsel Messīnī, die heute Teil des Nomos Messīnī sind, sowie die geologisch dem Südägäischen Inselbogen zuzurechnenden Inseln Kythera und Antikythera vor der Südküste Lakoniens, die heute zum Verwaltungsgebiet Attika gehören. Die nördlichste Insel und zugleich der nördlichste Punkt Griechenlands ist die auf der Höhe von Saranda in Albanien liegende Insel Othōnoi.

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Die Temperaturamplitude zwischen Winter und Sommer sowie zwischen Tag und Nacht ist am I.M. geringer als im Ägäischen Meer. Hohe Niederschläge begünstigen die Vegetation, die auch in den regenarmen Sommermonaten nicht verdorrt, Wälder, dichte Macchie, Oliven- und Obsthaine hüllen die Küsten vielerorts in ein üppiges Grün. Bemerkenswert sind die Tannenwälder einer nach der Insel benannten Art (Abies cephalonica) auf Kefallīnia. Die relativ häufigen Wintergewitter im östlichen Mittelmeer haben weitreichende Folgen für Vegetation und Landnutzung. Die große Meeresschildkröte, genauer die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta), hat bis heute Brutplätze an der Westküste Mittelgriechenlands und einiger Ionischer Inseln, besonders auf Zakynthos.

Die wirtschaftlich und kulturell gut entwickelten Ionischen Inseln verloren mit der Angliederung 1864 an Griechenland durch ihre periphere Lage innerhalb des Landes ihre wirtschaftliche Funktion und Wirtschaftskraft, was zu Arbeitsauswanderung auf das Festland und nach Übersee führte. Innerhalb Italiens ist der Süden des Landes weit weniger entwickelt (mit dem Begriff Mezzogiorno wird im Italienischen das geringer entwickelte Süditalien bezeichnet), was auch hier zu einer Abwanderung und Abhängigkeit vom industrialisierten Norden führte. Hauptursache für die langsame Entwicklung ist die periphere Lage des Ionisches Raumes innerhalb der Staaten Griechenland und Italien, während kulturelle und wirtschaftliche Verbindungsmöglichkeiten beiderseits des Meeres nicht ausgeschöpft wurden.

An den Küsten des I. M.es werden Oliven, Wein, Tafeltrauben, Korinthen, Obst und Gemüse erzeugt. Die Landwirtschaft spielt neben dem Tourismus, der vielerorts den Haupterwerbszweig darstellt, wirtschaftlich die wichtigste Rolle. Vom Tourismus profitieren vor allem einige der Ionischen Inseln. Den größten Anteil hat Korfu, das nicht nur Anlegestelle der Fähren zwischen Griechenland und Italien ist, sondern auch über einen internationalen Flughafen verfügt. Die wichtigsten Häfen sind in Griechenland Patras, Igoumenitsa und Korfu, in Italien Catania und Tarent und in Albanien Saranda. Größter Hafen der Region ist Tarent. Industrie spielt in dem Gebiet eine untergeordnete Rolle, lediglich in Süditalien wurden ab 1961 Industriebetriebe aufgebaut, um die Arbeitslosigkeit einzudämmen.

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Die italienischen Küstenstädte zeigen eine starke Verbreitung des Barock, dessen Ausbreitung durch den Abbau von Tuff (z.B. bei Lecce) begünstigt wurde. Im 18. und frühen 19. Jh. blühte die italienisch beeinflusste Architektur und Malerei auch auf den Ionischen Inseln. Die Ionische Akademie, längere Zeit geistiger Mittelpunkt für die freien und unterworfenen Provinzen, wurde allerdings bei der Vereinigung mit Griechenland geschlossen. Auch eine an venezianischer Musik orientierte Musiktradition entwickelte sich dort. Von dem auf Korfu 1795 geborenen geborenen Komponisten Nikolaos Mantzaros (1795–1893) stammt auch die Musik der griechischen Nationalhymne.

Auf Korfu, dem früheren Sitz der Ionischen Akademie, befindet sich die Ionische Universität, an den Städten der italienischen Küste des I. M.es befinden sich die Universitäten von Reggio di Calabria, von Messina und von Catania, die bereits 1434 gegründet wurde und somit die älteste Universität Italiens ist. Zwischen den Universitäten entlang der Küsten des I. M.es ist es bisher kaum zu grenzüberschreitenden Kooperationen gekommen.

2 Kulturgeschichte

Der Name des I. M.es ist wahrscheinlich auf die von Aischylos überlieferte Sage der Io und ihre Irrfahrten zurückzuführen. Der Name hängt somit nicht mit den ionischen Griechen (Iōnioi mit ō, nicht mit o wie in Ionion Pelagos) und ihren ostgriechischen Kolonien zusammen.

Archäologische Funde belegen eine kontinuierliche Besiedlung seit der Altsteinzeit. Im 2. Jt. v. Chr. besiedelten die Stämme der Enotier, Italiker, Japyger, Pelasger u. a. die Küstenländer des I. M.es. Ins Licht der Geschichte traten die ionischen Küsten verstärkt nach der Kolonisierung durch griechische Stämme. Nach einer ersten Blüte am Ende der mykenischen Epoche (Kuppelgräber auf Kefallīnia, Siedlungsspuren auf Ithaka) wurden die Ionischen Inseln durch dorische Kolonisten aus Korinth besiedelt und lange von dessen Tyrannen beherrscht. Ab 750 v. Chr. wurde das I. M. zur kulturverbindenden Binnensee. Der ionische Raum bildete einen wichtigen Brückenpfeiler für den Verkehr zwischen dem griechischen Festland und Unteritalien und lag somit stets im Spannungsfeld zwischen den Mächten.

Das südöstliche Italien wurde zu „Großgriechenland“. Auf den Inseln des I. M.es gründeten die Korinther 734 v. Chr. die Kolonie Korkyra (neugriech. Kerkyra, später Korfu), auf Sizilien gründeten sie Syrakus, das wenig später die mächtigste Stadt der Region wurde und von Cicero als „schönste aller griechischen Städte“ beschrieben wird. 706 wurde Tarent von den Spartanern gegründet, auf die wahrscheinlich auch die Gründungen von Otranto und Gelibolu zurückgehen. Im 5. Jh. v. Chr. gewann Athen an Einfluss im ionischen Raum. Auch die Westküsten standen nun dauerhaft unter griechischem Einfluss und wurden von Syrakus regiert. Pythagoras gründete nach seiner Niederlassung 532 in Kroton (ital. Crotone) eine Philosophenschule.

Im 2. Jh. v. Chr. kam es zu Zerstörungen der griechischen Städte im süditalienischen Raum und die Ionischen Inseln, einschließlich Kythera, wurden römisch. Die Einwanderung der Westgoten (410) und anderer germanischer Stämme in Süditalien führte zum Zerfall des Weströmischen Reichs (476) und später zum Krieg zwischen Byzanz und den Goten (535–553). Während der Zugehörigkeit Süditaliens zum Byzantinischen Kaiserreich (535–1071) wurde der griechische Kultureinfluss verstärkt. Bis heute zeugen in Süditalien zahlreiche Kirchen und Klöster von der byzantinischen Vergangenheit. V. a. im 7. Jh. hatten die Küstenländer des I. M.es unter den Einfällen der Sarazenen zu leiden.

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Im Byzantinischen Reich zur Heeresprovinz Kefallīnia zusammengefasst und vor 1204 an die Orsini als Pfalzgrafen von Cefalonia gelangt, hatten die südlichen Ionischen Inseln seit 1204 eine andere Geschichte als Korfu, mit dem sie erst 1483 unter der Oberhoheit von Venedig wieder vereinigt wurden. Nach der byzantinischen Herrschaft, in die die normannische Eroberung 1085 fällt, brachte der Vierte Kreuzzug 1203/04 einen entscheidenden Einschnitt; Herren aus Italien traten das Erbe von Byzanz an. Nach und nach gelang es Venedig, die Ionischen Inseln in seine Hand zu bekommen: 1363 Kythera, 1386 Kerkyra (seitdem Corfu), 1479 Zakynthos (ital. Zante), 1500 Kefallīnia (nach 21jähriger Türkenherrschaft). Als letzte Insel ging schließlich Lefkada 1684 in venezianischen Besitz über. Anders als die übrigen Teile des heutigen Territoriums Griechenlands fielen die Ionischen Inseln – mit Ausnahme von Lefkada, das 1467–1684 osmanisch war – nie oder nur kurze Zeit unter die Herrschaft der Osmanen. 1480 richteten die Osmanen bei ihrem Einfall im süditalienischen Otranto ein Massaker an. Im 15. Jh. flohen große albanische Bevölkerungsgruppen vor den osmanischen Besatzern und siedelten sich in Süditalien (Kalabrien, Sizilien) an, wo ihre Sprache bis heute überlebt hat. Auch die griechischen Kolonien erfuhren durch Flüchtlinge Zuwachs, so dass bis heute Sprecher griechischer Dialekte in Apulien und Kalabrien zu finden sind.

Nach einer kurzen Zugehörigkeit Süditaliens zu Österreich (1707 Besatzung durch österreichische Truppen, 1713 Sizilien und Neapel im Habsburgerreich) und der Bourbonenherrschaft (ab 1734) wurde in Italien der Weg für den modernen italienischen Nationalstaat geebnet.

Die venezianische Herrschaft auf den Ionischen Inseln dauerte bis zum Untergang der Republik von San Marco 1797. In dieser Zeit fanden auf den Inseln viele Flüchtlinge vor den Osmanen Zuflucht. Künstler aus Kreta gründeten hier eine eigene Schule. 1797 wurden die Ionischen Inseln von Frankreich, 1799 von den Russen erobert. Durch einen Vertrag (1800) mit dem Osmanischen Reich schuf der russische Zar Pavel I. auf den Ionischen Inseln die „Republik der sieben Inseln“ (mit Kythera). 1807 wurden sie von Frankreich, 1809 und 1810 von den Briten besetzt und 1815 als "Vereinigte Staaten der sieben Ionischen Inseln" (griech. Eptanīsos) in einen selbstständigen Staat unter britischem Schutz verwandelt. Dem heftigen Verlangen nach Vereinigung mit Griechenland (Aufstand 1849) folgte 1864 die Anlehnung der Ionischen Inseln an Griechenland, wodurch es zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung und Fläche (1922 km²) Griechenlands kam. Die ohnehin schwach besiedelte albanische Küste des I. M.es ist seit 1990 durch stetige Abwanderung – zumeist nach Griechenland und Italien – gekennzeichnet.

Bötig K. 1991: Korfu und die Ionischen Inseln. Köln. Gissing G. 2003: Am Ionischen Meer. Ein Streifzug durch Süditalien. Schellenberg. Roter E. 2000: Apulien. Byzantinische Grottenkirchen, Normannische Kathedralen, Staufische Kastelle, Lecceser Barock. Köln. Wagner H.-G. 1991: Mezzogiorno. Köln (= Problemräume Europas 10).

(Thede Kahl)

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