Romanen

Romanen (Romanische Völker)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

Die Begriff R. wurde aus der Sprachwissenschaft gewonnen und bezeichnet die Gesamtheit aller Völker, deren Gemeinsamkeit der lateinische Ursprung ihrer Sprache ist. Die romanischen Völker im östlichen Europa lassen sich historisch-geographisch und auch sprachlich in drei Großkategorien fassen. Die weitaus größte geschlossene Siedlung bilden die R. in den heutigen Staatsgrenzen der Republik Rumänien. Eine zweite größere Gruppe umfasst die Rumänen und/oder Moldauer jenseits der Pruth-Grenze in den verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken, v. a. (als Titularnation) in der Republik Moldau sowie in der Ukraine. Eine dritte, eher eklektische und zerstreute Ansammlung bilden die sog. Aromunen oder Vlachen (Walachen) – romanische Minderheiten in nahezu allen Balkanstaaten südlich der Donau. Die nationale Zugehörigkeit dieser Aromunen ist politisch ebenso strittig wie die Eigenständigkeit der Moldauer gegenüber der rumänischen Staatsnation. (Venezianisch, Dalmatisch und Istrorumänisch aus Istrien findet hier keine weitere Berücksichtigung.)

2 Sprache

Angenommen wird, dass die ostromanische Sprache bis zum 7. –10. Jh. relativ einheitlich blieb und sich erst dann u. a. durch slawische Einflüsse ausdifferenzierte. Das Aromunische kennt z. B. kaum ostslawische, aber dafür bulgarische und griechische Wörter. Die isolierte Lage ist auch eine mögliche Erklärung für die geringen dialektologischen Differenzen im eigentlichen rumänischen Sprachraum, vom Banat im Südwesten bis zur Republik Moldau (rumän. Moldova) im Nordosten. Die Variationen zwischen den aromunischen Dialekten und dem in der griechischen Provinz Makedonia gesprochenen meglenorumänischen Dialekt sind untergeordneter Bedeutung. Schriftlich wird teils das griechische, teils das lateinische Alphabet verwendet.

Das Vokabular des Rumänischen ist etwa zu 75 % lateinischer Herkunft, insbesondere bei den landwirtschaftlichen Begriffen. Lehnwörter sind vorwiegend slawischer, aber auch türkischer, italienischer, französischer (im 19. Jh.) sowie deutscher oder englischer Herkunft (im 20. Jh.). In Rumänien wurde ab Mitte des 19. Jh. das bis dahin noch verwendete Kyrillische offiziell durch die lateinische Schrift ersetzt, das seit 1800 in Vormarsch war, und gezielt wurden französische Leihwörter und Neologismen eingeführt. In der Moldauischen (Autonomen) Sowjetrepublik wurde im 20. Jh. (bis 1989, in Transnistrien bis heute) nicht nur wie in der Zarenzeit kyrillisch geschrieben, sondern auch eine Russifizierung des Wortschatzes forciert. Eine Ausnahme zu diesem Trend bildete eine kurze Phase der Indigenisierung in der Zwischenkriegszeit, als die lateinische Schrift eingeführt (1932–38) und eine sprachliche Angleichung ans Rumänische erlaubt wurde.

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3 Verbreitung

Heute werden balkanromanische Sprachen von etwa 90 % der 22 Mio. Einwohner Rumäniens (plus ca. 80.000 in den ungarischen Grenzregionen) sowie von zwei Drittel der über 4 Mio. Einwohner der Republik Moldau gesprochen. Einen offiziellen Status hat die rumänische Sprache außerdem im jetzt zu Serbien (Timočka krajina) gehörenden Teil des Banats, obwohl Volkszählungen hier zwischen Rumänen und „Vlachen“ (serb. vlahi) unterscheiden (insgesamt 42.000 Romanisch sprechende Personen). Abgesehen von den verschwindend geringen und völlig isolierten Enklaven des Istrorumänischen in Kroatien, befinden sich aromunische Siedlungen in Albanien, Griechenland (ca. 100.000 Sprecher), Makedonien sowie Serbien und Montenegro. Obwohl der Europarat das Aromunische 1997 zur schützenswerten Sprache erklärte, ist sie in Griechenland anders als in der Republik Makedonien und Albanien nicht als Minderheitensprache anerkannt.
In der Russischen Föderation (geschätzte eine Million in Sibirien) und Kasachstan (ca. 20.000) finden sich größere romanischsprachige Gemeinschaften, die durch sowjetische Zwangsumsiedlungen und Deportationen entstanden sind. Vom Parteidogma der nationalen und sprachlichen Eigenständigkeit der Moldauer ausgehend wurde noch bei der letzten sowjetischen Volkszählung (1989) folgerichtig zwischen Rumänen (in/aus Rumänien oder der Bukowina) und Moldauer (in/aus der Republik Moldau und deren früheren, heute zur Ukraine gehörenden Gebietsteilen) unterschieden.

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4 Geschichte und Politik

Mangels aussagekräftiger historischer bzw. archäologischer Belege ist die frühhistorische Herkunft und Entwicklung der romanischen Völker auf der Balkanhalbinsel eher ungewiss und seit dem 19. Jh. nationalen Mythologisierungen zum Opfer gefallen. Durch die römische Eroberung und eine nachhaltige Romanisierung entstand in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten auf dem Balkan eine provinzialrömische Bevölkerung. Die vulgärlateinische Sprache hatte auch nach dem Zerfall des Römischen Reiches und der Teilung in das griechische Ost- und das lateinische Westrom Bestand. Im Spätmittelalter wurde in der Region zwischen Donau, Schwarzmeer und Dnjestr romanisch gesprochen, auch wenn für die Niederschrift eine kirchenslawische Schrift verwendet wurde. Auch südlich der Donau wurde in der Spätantike weiterhin romanisch gesprochen, nicht zuletzt weil die Gebiete des heutigen Makedoniens und Epirus nach wie vor zum lateinischen Patriarchat der römischen Päpste gehörten, obwohl die Gebiete zum Byzantinischen Reich gehörten, das das Griechische unter Kaiser Hērakleios (610–41) zur offiziellen Sprache erklärte.

Das Politikum der Abstammungs- und Siedlungsgeschichte der R. konzentriert sich regional auf unterschiedliche Streitfragen. In Rumänien und insbesondere in Siebenbürgen geht es dabei um die Frage, ob die romanisierten Daker sich mit den römischen Kolonisten in der Antike jenseits der Donau zurückzogen und somit die romanische Bevölkerung sich erst nach der Jahrtausendwende in den Karpaten ansiedelte und dort eine „heimische“ magyarische Bevölkerung vorfand (die ungarische Sichtweise) bzw. ob es trotz der Völkerwanderungen eine ungebrochene Siedlungskontinuität von den römischen Zeiten bis zu der Gründung der rumänischen Fürstentümer im 14. Jh. gab (die rumänische Sichtweise). Aus dieser offenen historischen Frage wurden v. a. im 20. Jh. Territorialansprüche auf Siebenbürgen abgeleitet.

Spiegelbildlich gibt es auch zwei konträre Sichtweisen auf die Herkunft, Wanderungen und Ausbreitung der aromunischen Minderheiten südlich der Donau. Die jeweiligen Staatsnationen gehen von einer späteren Ansiedlung aus einem intensiven Austausch mit der romanischen Bevölkerung nördlich der Donau aus, während die Aromunen in ihrer Selbstdarstellung von einer Kontinuitätsthese und einer unmittelbaren Abstammung von der provinzialrömischen Bevölkerung der Spätantike ausgehen. Bis zum Zweiten Weltkrieg war Rumänien bestrebt, diese „Diaspora“ mittels eines subventionierten Schulsystems zu vereinnahmen.

Die moldauische Frage ist anders gelagert: Die moldauische Nation entstand Mitte der 1920er Jahre als eindeutiger Fall einer von oben aufoktroyierten Nationsbildung. Die Sprachpolitik schwankte in der Zwischenkriegszeit zwischen Rumänisierung, „Russizismen“ und moldauischen Neologismen. Auch in der Moldauischen Unionsrepublik (ab 1940, de facto 1944), kannte die Idee einer moldauischen Nation ihre Variationen: Entweder hieß es, die R. seien im Mittelalter durch den Einfluss von Süd- bzw. Ostslawen in Rumänen und Moldauer geteilt worden, oder die R. hätten sich durch die Staatsgrenze am Pruth im 19. Jh. zu zwei unterschiedlichen „Bourgeois-Nationen” entwickelt. Diese letzte, bevorzugte Argumentation führte folgerichtig zu zwei romanischen Minderheiten in der UdSSR – Rumänen und Moldauern. Auch in der Republik Moldau ist heute politisch umstritten, ob Moldauisch eine eigenständige Sprache oder mit dem Rumänischen identisch ist. Gleichzeitig wird in der nicht anerkannten Republik Transnistrien (russ. Pridnestrovskaja Moldavskaja Republika) für das Moldauische weiterhin die kyrillische Schrift verwendet.

Dyer D. L. (Hg.) 1996: Studies in Moldovan: the history, culture, language and contemporary politics of the people of Moldova. Boulder (= East European monographs 454). Kahl Th. 1999: Ethnizität und räumliche Verteilung der Aromunen in Südosteuropa. Münster (= Münstersche geographische Arbeiten 43). Schwandner-Sievers S. 1999: The Albanian Aromanians´ Awakening: Identity Politics and Conflicts in Post-Communist Albania (= ECMI Working Paper 3). King C. E. 1999: The Moldovans. Romania, Russia, and the Politics of Culture. Stanford (= Studies of Nationalities). Hitchins K. 1996: The Romanians 1774–1866. Oxford.

(Wim van Meurs)

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