Euroregion

Euroregion; E.en sind meist privatrechtliche Vereine benachbarter kommunaler oder regionaler Verwaltungseinheiten und/oder zivilgesellschaftlicher Organisationen an der Grenze zweier, dreier, selten mehr als drei Staaten. In der Regel werden sie – oft spontan – von unten, d. h. aus der Zivilgesellschaft oder lokalen/regionalen Verwaltungen heraus initiiert. Staatsrechtliche Anerkennung erfahren sie, wenn Vereins- und Verwaltungsrecht die Mitgliedschaft öffentlicher Organe der Verwaltung, Selbstverwaltung und politischen Vertretung verschiedener Staaten in einem Verein zulässt.

Kernaufgabe aller E.en ist, die Lebensumstände an der Grenze durch Kooperation in praktischen Fragen möglichst vieler Lebensbereiche zu verbessern und die „Halbkreissituation“ abzubauen. Wichtige Methoden sind dabei: ganzheitliche Regionalentwicklung, Entfaltung und nachhaltige Nutzung regionsinterner Potentiale, regionale Wirtschaftsförderung und Kulturzusammenarbeit.

Es gibt keine Regeln für den Zuschnitt einer E. Die Spanne reicht vom Verbund zweier benachbarter Städte über den von zwei Kreisen oder Regionen bis zu großflächigen Gebilden über mehrere Staaten hinweg, von wenigen zehntausend Einwohnern bis zu mehr als 15 Mio. Manche reichen einige Kilometer ins Grenzhinterland, andere mehrere hundert. Bewährt haben sich E.en weniger Kreise je Staat mit direkter Grenzlinie. In grenzfernen Gebieten lässt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit rasch nach. E.en, die für die laufende Arbeit eine eigene Organisation haben, eigene Finanzmittel einsetzen und nur für Projekte Fremdkapital nutzen, sind die effizientesten und stabilsten. Am lebendigsten gestaltet sich die Zusammenarbeit bei Sport und Kultur, die v. a. von bestehenden Vereinigungen vorangetrieben wird. Gleiches gilt für Bildung und Ausbildung, wo Schulen und Hochschulen Kooperationen suchen.

Im Westen Europas entstand nach 1945 als von unten gestaltetes Gegenstück zur politisch geförderten Zusammenarbeit der Zentren über die Grenzen hinweg eine solche von Regionen und Kommunen. Als erste E. wurde 1958 die ›Euregio‹ zwischen den Niederlanden und Deutschland gegründet. Allerdings dauerte es zwanzig Jahre bis sie als grenzübergreifende Vereinigung auf beiden Seiten offiziell anerkannt wurde.

Von 1958 an gab es mehrere Gründungen von E.en, v. a. an den Westgrenzen Deutschlands (›Regio Basiliensis‹, ›Saar-Lor-Lux‹). Mit der Abnahme der trennenden Wirkung der Grenzen und dem wirtschaftlichen Aufschwung in der EG verblasste deren Bedeutung. In den 70er und 80er Jahren erfolgten kaum Neugründungen, bestehende E.en gerieten in den Hintergrund.

Erst mit der Wende von 1989 erhielt dieses Instrument der Kooperation neuen Auftrieb. Entlang des gesamten „Eisernen Vorhanges“ und bald auch der inneren Grenzlinien des ehemaligen „Ostblocks“ wurde das Modell aus dem Westen für die wieder mögliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit übernommen. Nach langer Isolation suchte man Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten und gründete sehr schnell sehr viele E.en. Eine nicht geringe Rolle spielte die Tatsache, dass sich Regionen und Kommunen von einer Mitgliedschaft besseren Zugang zu Fördermitteln der EU und westlicher Anrainerstaaten erhofften. So drängten anfangs auch grenzferne Gebiete in E.en, die dadurch sehr groß und oft ineffektiv wurden, bspw. die 1993 gegründete „E. Karpaten“ mit 161.277 km² und 15,6 Mio. Menschen aus fünf Staaten (Ungarn, Slowakei, Polen, Ukraine, Rumänien).

Bei schnell wachsender Zahl gibt es heute von der Barentssee bis zur Ägäis über 70 E.en, die fast alle Grenzen Ostmittel- und Südosteuropas abdecken; z. T. ineinander verschachtelt, wie die kleineren Neugründungen in der Karpatenregion. Oft wurden sie „von oben“ eingerichtet und blieben wegen mangelnder Verankerung in der Bevölkerung und den lokalen/regionalen Eliten ineffektiv. Andere, aus diesen Gruppen heraus entstandene, wie die „Donau-Kreisch-Marosch-Theiß“ (DKMT) zwischen Ungarn, Rumänien und Serbien, arbeiten zunehmend mit Erfolg. Nach einer Stagnationsphase um die Jahrtausendwende sind derzeit viele Regierungen und regionale Eliten bereit, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im praktikablen Rahmen der E.en anzugehen, nicht zuletzt wegen des Dezentralisierungsdrucks der EU. Auch die Grenzbevölkerung spürt inzwischen Vorteile dieser Kooperation (verbesserte Infrastrukturen, verstärkter Austausch, Erleichterung des Grenzübertritts), gerade jetzt im Heranführungs- und Integrationsprozess, aber auch über die „Neuen Nachbarschafts-Instrumente“ an den künftigen EU-Außengrenzen zu Osteuropa.

EU-Definition am 27.2.2006 (http://www.europarl.eu.int/omk/sipade3?PUBREF=-//EP//NONSGML+REPORT+A6-2005-0311+0+DOC+WORD+V0//DE&L=DE&LEVEL=4&NAV=S&LSTDOC=Y) [Stand 16.10.2006] Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen (http://www.aebr.net/index.php) [Stand 16.10.2006]

(Hans-Heinrich Rieser)

Anfang
Views
bmu:kk