Hagia Sophia

Hagia Sophia (griech., türk. Ayasofya)

Inhaltsverzeichnis

1 Geschichte

Die ›Hagia Sophia‹ (= Heilige Weisheit) war eine der zwei Hauptkirchen Konstantinopels (heute türk. Istanbul) und gehörte mit 55,6 m Höhe zu den Prachtbauten des Byzantinischen Reiches. Der Vorgängerbau, 360 unter Konstantinos II. geweiht, wurde 408 durch einen Brand und während des „Nika-Aufstandes“ (532) ein zweites Mal zerstört. Im selben Jahr begann Kaiser Justinian (527–65) mit dem Neubau in der heutigen Gestalt, der innerhalb von fünf Jahren vollendet wurde. Prokop von Kaisarea erwähnt als Architekten Isidoros aus Milet und Anthemios von Tralleis. Er beschreibt anschaulich Schönheit, Größe und die harmonischen Proportionen des gewaltigen Zentralkuppelbaus.

Nach einem Erdbeben stürzte die Kuppel der Kirche 558 ein und wurde (um ihren Schub zu verringern) 6 m höher gebaut; damals wurden auch die außen angebrachten Pilaster zur Stützung der Kuppel errichtet (558–63). Die Teileinstürze im 10. bzw. 14. Jh.
Hagia Sophia
sind auf ein Nachgeben der Unterkonstruktion zurückzuführen. Die heute in der H. S. zu findenden Mosaike stammen aus verschiedenen Epochen. Schon im 9. Jh. erhielt die Kirche im Zuge des Bilderstreits ein (teilweise in Fragmenten) erhaltenes Bildprogramm. Eine Latinisierung der Innenausstattung erfolgte durch die Kreuzritter ab 1204. 1453 ließ Sultan Meḥmed II. die Kirche zu einer Moschee mit Minarett und Freitagskanzel umbauen und die Mosaiken übertünchen, wodurch sie z. T. erhalten blieben. Der osmanische Baumeister Mimar Sinan baute 1573 außen u. a. vier neue Minarette an. Seit 1934 als Museum genutzt, hat der Bau seine architektonische Konstruktion bis auf die Kuppel größtenteils beibehalten; die 1932 entdeckten Mosaiken (aus nach-justinianischer Zeit) haben sich fragmentarisch erhalten.
Anfang

2 Architektur

Vor der Kirche gab es ursprünglich einen großen Hof. Von dort aus betrat man über den Narthex den Hauptraum. Die statische Konstruktion wird optisch so raffiniert verdeckt, dass der Betrachter beim Betreten der Kirche einen langgestreckten Raum erblickt, der von der Apsis abgeschlossen wird: Tatsächlich besteht der Grundriss aus einem Quadrat (77 x 71 m).

Darüber spannt sich die Kuppel mit einem Durchmesser von 33 m und einer Scheitelhöhe von 66 m. Sie gehört zu den größten Kuppelkonstruktionen der antiken Baukunst.
Hagia Sophia
Die Mittelkuppel, als leichte Haube konstruiert, wird aus vier Gurtbögen und dazwischen gespannten Pendentifs getragen. Diese gehen in Tragebögen über, die wiederum in zwei westlich und östlich anschließenden halbierten Rundbauten enden. Dort verschwindet die Hauptmasse der Tragpfeiler in den Nebenräumen. Die Seitenschiffe und die Empore verlieren damit an Eigenwert und ordnen sich dem Zentralbau unter. In ähnlicher Weise wird der Schub der Kuppel in Ost–West Richtung über die Halbkuppeln auf die beiden Pfeiler seitlich der Apsis bzw. des Haupteingangs abgeleitet. Weil diese Konstruktion in Nord–Süd Richtung fehlt, verlagert sich dort die Tragkonstruktion auf Längs- und Schildbögen.

Die dem über den Kranz kleiner Lichtöffnungen am Kuppelfuß und über die Fensteröffnungen der Seitenschiffe zum einen direkten zum anderen indirekten Lichteinfall zu verdankenden Licht-Schatten-Effekte verleihen dem Kircheninnenraum eine mystische Wirkung. Äußerlich war die Kirche von Anfang an schmucklos gedacht.

Die H. S. gehört zu den bemerkenswertesten Baudenkmälern ihrer Zeit. Während die Wölbungen über den Seitenschiffen und den Emporen zu den charakteristischen Merkmalen der byzantinischen Baukunst zählen, sind Mittel- und Halbkuppeln ebenso wie die Kombination von Lang- und Zentralraum Neuerungen. Die Forschung konnte die Ursprünge der Raumkonzeption auf römische Thermenanlagen, frühchristliche Zentralbauten, armenische, syrische und kleinasiatische Kirchenkonstruktionen zurückführen: So haben die Umgänge der H. S. ihr Vorbild in den Seitenschiffen der ›Maxentius Basilika‹ in Rom; die Pendentifs in den Thermen von Gerasa (Jordanien). Der überkuppelte quadratische Raum wurde bereits in der sassanidischen Palastarchitektur verwendet.

Die Ausmaße des Innenraumes kommen wegen der zentral ausgerichteten Raumkonzeption im Mittelpunkt der Kirche, dem Ort, der in byzantinischer Zeit dem Klerus, dem Patriarchen und Kaiser vorbehalten war, zu voller Geltung. Dagegen hatte das Volk seinen Platz auf der Empore und den Seitenschiffen, von wo aus nur ein Teil der Raumordnung wahrgenommen werden konnte. Die H. S. war als Palast- und Reichskirche religiöse und politische Bühne zugleich, gewissermaßen Sinnbild der Vereinigung von weltlicher und kirchlicher Macht auf Erden. Ihr kubischer Grundriss und die kugelförmige Kuppel symbolisieren zum einen das Himmelszelt, zum anderen den Anspruch auf Weltherrschaft.

Außer den üblichen liturgischen Zeremonien und dem Reliquienkult spielten sich innerhalb der Kirche verschiedene weltliche Feierlichkeiten ab, u. a. fanden dort bis ins 8. Jh. n. Chr. die Krönungen der römisch-byzantinischen Kaiser statt.

Die H. S. diente zu allen Zeiten während innenpolitischer oder religiöser bzw. kriegerischer Auseinandersetzungen und Belagerungen zudem wiederholt als Zufluchtsort (so z. B. während der osmanischen Einnahme der Stadt 1453). Die H. S. wurde als Hauptmoschee der Stadt zum Symbol der Sieghaftigkeit des Sultans und der Rechtgläubigkeit des Islams. Parallel dazu hielt sich im orthodoxen Volksglauben die Erwartung einer Rückeroberung Konstantinopels und der H. S., die ihre Bedeutung als Inbegriff der Orthodoxien nie verlor. Die Restaurierung und aktuelle Nutzung als Museum garantiert der H. S. heute ein Fortleben als Denkmal für verschiedene Kulturen.

Hoffmann V. (Hg.) 1999: Die Hagia Sophia in Istanbul. Bilder aus sechs Jahrhunderten und Gaspare Fossatis Restaurierung der Jahre 1847–49. Bern. Ders. 1997: Die Hagia Sophia in Istanbul. Akten des Berner Kolloquiums vom 21. Oktober 1994, Bd. 3, Bern. Schlüter S. 1999: Gaspare Fossatis Restaurierung der Hagia Sophia in Istanbul. Bern. Mark R., Çarmak A. Ş. (Hg.) 1992: Hagia Sophia from the Age of Justinian to the Present. Cambridge. Yerasimos, S. 1990: La fondation de Constantinople et de Saint-Sophie dans les traditions turques. Paris. Krautheimer R. 1981: Early Christian and Byzantine Architecture. Harmondsworth, Middlesex.

(Myrtia Hellner)

Anfang
Views
bmu:kk