Ahnenkult

Ahnenkult

Inhaltsverzeichnis

1 Ahnenkult im interkulturellen Vergleich

Der Ahnenkult als Praktik der Aufrechterhaltung von Beziehungen zu den verstorbenen Vorfahren ist ein charakteristisches religiöses Ritual von Abstammungsgesellschaften Stammesgesellschaften, sei es in patrilinearer (Patrilinearität) oder matrilinearer (Matrilinearität) Ausrichtung. Die Lebenden nehmen von den Ahnen an, dass sie die Angelegenheiten ihrer lebenden Nachkommen wesentlich beeinflussen und deren Schicksal zum Guten oder Bösen wenden können. Daher wird es als notwendig erachtet, die Ahnen in würdiger Form kultisch zu verehren. Die Gruppen der verstorbenen Ahnen, der gegenwärtig Lebenden und der zukünftig Geborenen werden als Kontinuum gedacht. Den gegenwärtig Lebenden fällt die Pflicht des Ahnenkultes und der Fortsetzung der Ahnenlinie zu. Kultische Ahnenverehrung steht im Gegensatz zur christlichen Toten- bzw. Seelenverehrung. Dazu kommt, dass im Christentum der geistigen Verbindung von Verheirateten der Vorrang vor der fleischlichen eingeräumt wird, während die Ehe in Ahnenkultgesellschaften den Gedanken der Reproduktion der Ahnenlinie in den Vordergrund rückt. Je nachdem, ob es sich um matrilinear oder patrilinear orientierte Gesellschaften handelt, werden die männlichen oder weiblichen Ahnen verehrt. Die meisten Ahnenkultgesellschaften sind patrilinear orientiert. Ahnenkult ist kein isoliertes Phänomen, sondern geht im allgemeinen Hand in Hand mit einem Bündel von Phänomenen, wie ausgeprägten patriarchalen Strukturen, einem System patrilokaler Heirat – das heißt, die Frauen müssen in das Haus des Vaters des Ehemannes einheiraten -, niedrigem Heiratsalter (Heiratsalter), Erbe (Erbe) in ausschließlich männlicher Linie, Kaufheirat (die Eltern des Ehemannes zahlen einen Brautpreis an die Brautfamilie) sowie Weitergabe von Ehre (Ehre) in männlicher Linie; vielfach steht er auch in Verbindung mit einem System der Stammfamilie oder komplexen Familienformen (Familienformen), mit der Beachtung der Exogamie (Exogamie), mit Levirat (Levirat und Sororat) und strenger Kontrolle der weiblichen Sexualität (Hetero- und Homosexualität).

Der Ahnenkult war in erster Linie in Nord- und Südamerika unter der indigenen Bevölkerung sowie in Afrika und Asien und offenbar auch in Europa, in vorchristlicher Zeit, weit verbreitet. Überall dort, wo die christliche Mission erfolgreich war, sind dann Ahnenkult-Vorstellungen in den Hintergrund getreten. Der Ahnenkult ist heute gegenwärtig v. a. dort noch gesellschaftlich relevant, wo er auch in allgemeinen religiösen Vorstellungen verankert ist, etwa in der japanischen Naturreligion des Schintoismus, im chinesischen Taoismus oder im Hinduismus. In Japan wurden und werden Ahnentäfelchen und Ahnenregister zur Aufzeichnung der Ahnen geführt; sie ersetzten bis zum Jahr 1951 eine behördliche Registrierung. Die Ahnentäfelchen sind auf dem Hausaltar angebracht, der als Ort der Ahnenverehrung dient. Im Zusammenhang mit den Ahnenvorstellungen des Schintoismus entwickelte sich ein Stammfamiliensystem, das etwa dem im Haushalt nachfolgenden Sohn die Versorgung der Eltern und die Verehrung der Ahnen zur Pflicht machte. Noch im Jahr 1960 lebten 87 % der über 65-jährigen Menschen im Haus der Kinder. Abstammung, die Verwandtschaftsorganisation der Abstammungsgruppe sowie Ahnenvorstellungen waren in der traditionellen chinesischen Gesellschaft ebenfalls stark verankert. Ahnengräber, Ahnentempel, Ahnenaltäre im Haus sowie Ahnentäfelchen waren auch hier die Orte, an denen sich der Ahnenkult entfaltete. Infolge der kommunistischen Revolution und der Propagierung des Atheismus wurde der Ahnenkult jedoch stark zurückgedrängt. Im Verbreitungsgebiet des Hinduismus stellt das Opfer, in dem der Opfernde Teile seines Besitzes an Götter verteilt, eine zentrale Kulthandlung dar. Solche Opfer sind nach hinduistischer Auffassung wegen der angeborenen Schuld der menschlichen Natur notwendig. Auch die Fortsetzung der Ahnenreihe, das heißt, wenn man einem Sohn das Leben schenkt, befreit von dieser Schuld: Damit setzt man die Beziehungsordnung fort, mit der die Welt der Lebenden mit jener der Ahnen verbunden ist. Erst der Sohn kann durch das Reiskuchenopfer den Vater zum Ahnen machen. Damit in Zusammenhang steht auch ein System der Erbübertragung ausschließlich an Männer.

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2 Ostslawische Gebiete

Das Christentum wandte sich entschieden gegen ahnenkultische Vorstellungen. Es akzeptierte von Anfang an nur eine Toten- bzw. Seelenverehrung und untersagte den Ahnenkult sowie alle Vorstellungen, die mit Abstammungsdenken und Ahnenreihen in Zusammenhang standen. Daher wurde in Europa der Ahnenkult durch die Christianisierung (Christianisierung) im Allgemeinen rasch zurückgedrängt. Dies war insbesondere im Bereich der christlichen Westkirche der Fall, die aufgrund ihrer straffen Organisation in der Durchsetzung ihrer Glaubensvorstellung effizienter als die dezentral aufgebaute Ostkirche (Ostkirche) war. Im ostslawischen bzw. im russischen Bereich war der Ahnenkult und das damit im Zusammenhang stehende Verbrennen der Toten bis in das 11. Jh. so stark verbreitet, dass kaum eine arabische oder byzantinische Quelle dies zu erwähnen vergaß. Trauer und Freude kamen bei den Totenfeiern gleichermaßen zum Ausdruck. Die Männer sprachen dem Met zu, und zu Ehren der Verstorbenen wurden auch Kampfspiele veranstaltet. Der Ahnenkult stand offensichtlich in einem Zusammenhang mit naturreligiösen Auffassungen sowie animistisch-dämonologischen Glaubensvorstellungen: Man dachte sich die Belebung der Natur durch die Geister der Verstorbenen. Es gab drei Möglichkeiten, den Leichenbrand beizusetzen: in flachen Urnengräbern in der Nähe oder auf dem Dorfgebiet; in Urnenhügelgräbern oder urnenlosen Hügelgräbern.

Das Christentum hat sich offenbar im Verlauf der ersten Hälfte des 10. Jh. unter den Ostslawen ausgebreitet. Dieser Prozess gipfelt in der Annahme des östlichen Christentums als Staatsreligion in der Kiewer Rus um 988/989. Ähnlich wie auf dem westlichen und zentralen Balkan wurde auch hier der Ahnenkult nun verchristlicht. Der wichtigste Schritt in diese Richtung war die um die Mitte des 11. Jh. einsetzende Entwicklung des Heiligenkults um Boris und Gleb (Boris und Gleb). Was vom Konzept des Ahnenkults noch erhalten blieb, war die Fürbittfähigkeit der Toten. In der Laurentius-Chronik (Laurentius-Chronik) finden sich vom Ende des 11. bis zum Ende des 12. Jh. eine Reihe von einschlägigen Einträgen. Hinter der Anrufung um Fürbitte verbirgt sich die Vorstellung von der unmittelbaren Hilfe der Ahnen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den ostslawischen Gebieten ahnenkultische Vorstellungen wesentlich früher in den Hintergrund traten als dies in den Gebirgsregionen des Balkans der Fall war.
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3 Westslawische Gebiete

Die westslawischen Gebiete standen ab der zweiten Hälfte des 9. Jh. im Zentrum der christlichen Missionierung . Wenngleich es noch im 15. und vereinzelt im 16. Jh. Berichte über vorchristliche Praktiken gibt, mangelt es für die Mehrheit der westslawischen Gruppen an einschlägigen Quellen, sodass ihr ursprünglicher Kult kaum noch rekonstruierbar ist. Man muss jedoch von einem frühen Zurückdrängen von ahnenkultischen Vorstellungen ausgehen, da – wie es scheint – auch die patrilineare Abstammungsgruppe als verwandtschaftlicher Zusammenschluss bald keine Rolle mehr spielte. Anzunehmen ist auch, dass bestimmte der weit verbreiteten und beliebten Hausgeister (Hausgeister) aus dem ursprünglichen Ahnenkult hervorgegangen sind, denn auch hier wurden die Seelen der Verstorbenen als Bestandteil der äußeren Natur erachtet, von wo aus sie das Leben der Lebenden günstig oder ungünstig beeinflussten.

Die ältesten schriftlichen Quellen über solche hausbeschützende Geister – in Form von Seelen der Vorfahren oder außermenschlichen Wesen (Heinzelmännchen, Hauskobolde etc.) – stammen aus dem 11. Jh. Im Tschechischen werden sie allgemein diedci, im Ukrainischen did oder dido, im Polnischen dziad genannt. Der tschechische Hausgeist šotek wurde gewöhnlich in der Gestalt eines Knaben mit kleinen Klauen an Händen und Füßen gedacht. Er sollte die Herde beschützen und den Besitz mehren. Wenn man ihn kränkte, wurde er böse und rachsüchtig. Wenn es einem gut ging, sagte man: „Er hat den šotek“.

In der Lausitz, in Polen und teilweise in Mähren wurden die Häuser auch von den sog. ludki, die ein nur lockeres Verhältnis zum Haus unterhielten, beschützt. Sie wurden für die Urbewohner der Lausitz gehalten und die zufällig entdeckten vorzeitlichen Gräberfelder mit Urnengräbern mit ihnen verknüpft, die die Bewohner des Landes als heilig verehrten. In Polen entsprachen ihnen die krasnoludci.

Eine besondere Sorte von Hausgeistern stellen Tiergestalten dar; insbesondere die Schlange. Dies trifft etwa auf den tschechischen hospodáříček oder domovníček (kleiner Hausherr) zu, der als Schlange unter der Hausschwelle oder unter dem Ofen lebend gedacht wurde. Solange er gut behandelt wurde, sorgte er für das Wohl der Familie. Sein Leben ist mit jenem des Hausherrn verbunden; wenn dieser stirbt, stirbt auch der „kleine Hausherr“. Ähnliche Vorstellungen waren auch in der Lausitz oder in Polen anzutreffen, wo sogar die Milchschlange, die das Vieh beschützen sollte, von der Felder beschützenden Kornschlange unterschieden wurde.
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4 Baltikum

Die baltischen Völker der Letten und Litauer nahmen erst spät – die litauischen Herrscher erst 1385 - die christliche Religion an, und daher haben sich vorchristliche religiöse Praktiken relativ lange erhalten. Zu diesen vorchristlichen Praktiken zählt der Hausschlangenkult (Hausschlangenkult), der zur allerältesten Schicht europäischer Religionen gehört. Der historische Kern dieses Kults ist in der Ahnenverehrung zu sehen. Ähnlich wie Griechen und Inder haben auch die Balten eine Wiederverkörperungslehre gekannt: Die Verstorbenen verwandelten sich nach dem Tod in chthonische Wesen, die etwa über die Fruchtbarkeit der Felder geboten. Die Ahnen hatten somit Anteil an der Macht einer großen kosmischen Göttin. Den Quellen nach ist die Schlange Trägerin dieser kosmischen Lebenskraft, die Tod, Leben und Wiedergeburt verbindet. Sie ist unsterblich, und die Verstorbenen können in Gestalt der Schlange weiterleben.

Die Schlange wurde als Schutzgeist des Hauses und seiner Mitglieder betrachtet. Ihre Anwesenheit sorgte für das Wohlbefinden des Haushalts und für die Gesundheit der Familie. Den Sagen nach zu schließen hielt sie sich unter oder hinter dem Herd auf. Der Haushaltsvorstand war mit der Pflege und dem Schutz der Schlange betraut. Um sie milde zu stimmen, musste man sie mit Speisen und Opfergaben gut versorgen. Die wichtigsten Opfergaben waren Milch, Bier und schwarze Hähne. Die Schlangen wurden nicht als solche gefürchtet und kultisch verehrt, sondern als Wiedererscheinungsform der Ahnen.

Durch die Christianisierung ging der rituelle und mythische Hintergrund des Ahnenkults in Form des Hausschlangenkults allmählich verloren. Die Menschen am Ende des 19. Jh. wussten offenbar nicht mehr genau, weswegen die Schlange im Haus gehalten wurde. Sie stellten ihr zwar täglich Milch hin und fürchteten sich, wenn die Schlange das Haus verließ, aber die religiösen Zusammenhänge konnten sie nicht mehr herstellen. Angesichts des negativen Schlangenbildes im biblischen Sündenfallbericht ist es erstaunlich, dass sich im Zusammenhang mit der Hausschlange positive Konnotationen erhalten konnten.
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5 Vom Ahnenkult zur christlichen Hauspatronsfeier auf dem Balkan

In den westlichen und zentralen Balkangebieten war es ein christlicher Hauspatron, der für den Schutz des Hauses zu sorgen hatte. Da die feierliche Verehrung des Hauspatrons noch heute weit verbreitet ist, soll auf sie näher eingegangen werden. Es ist davon auszugehen, dass am Beginn der Entwicklung zur Hauspatronsfeier der vorchristliche Ahnenkult stand. Im Verlauf der Christianisierung wurde dieser in eine christliche Feier umgeformt, indem er durch ein christliches Ritual überschichtet wurde - der Feier eines Heiligen als Hauspatron: Anstatt den Urahnen und die von ihm abstammenden Männer zu verehren, wurde nun ein Heiliger, der der Gruppe bzw. den im Haus Wohnenden Schutz gewähren sollte, feierlich gewürdigt. Der vorchristliche, nicht an das Haus gebundene Ahnenkult kann nicht vollständig von der neueren Schicht der Verehrung eines an das Haus gebundenen Schutzheiligen verdrängt werden, und so fließen die beiden Schichten ineinander. Dies war auch deshalb der Fall, weil die Elemente einer patrilinearen Verwandtschaftsordnung in den ländlichen, westlichen und zentralen Balkangebieten bis in das 20. Jh. sehr deutlich hervortraten; ebenso patrilokale Heirat, die Kaufehe, niedriges Heiratsalter und eine strenge patriarchale Ordnung.

Wir können die Spuren der Ahnenverehrung in den westlichen Balkangebieten bis zur illyrischen Bevölkerungsschicht (Illyrer) zurückverfolgen. Soweit wir von ihren Göttervorstellungen wissen, glaubten sie an mächtige Wesen, von deren Milde die wichtigen Dinge des Lebens abhingen: Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Regen und Dürre usw. Sie wurden durch verschiedene kultische Riten verehrt. Es gab u.a. Quellenschutzgötter, Waldgötter, Weidegötter und Hausgötter. Eine der weiblichen illyrischen Hausgottheiten war Thane (Thane), die unter römischer Herrschaft zur Diana wurde. Sie tritt in den Darstellungen stets zusammen mit dem Quellenschutzgott Vidasus (Vidasus) auf. Dieses Götterpaar nahm einen wichtigen, möglicherweise sogar den wichtigsten Platz in der Hierarchie der illyrischen Götter ein.

Neben den Göttern sind Tier- und Pflanzentotems bekannt, die eine mythische Verbindung zwischen den Lebenden und den Geschlechts- und Stammesgründern herstellten. So war etwa der Name Illyrer möglicherweise mit einem Tiertotem verbunden - der Schlange. Die antike Legende berichtet über die Geburt des mythischen Stammesgründers Illyrios und über die enge Verbindung dieses Heros mit der Schlange.

Neben den Totems erscheinen auch die illyrischen Begräbnissitten bemerkenswert. Die zum Teil riesigen Grabhügel aus illyrischer Zeit sind sehr bekannt und noch heute in bestimmten Gebieten des ehemaligen Jugoslawien weithin sichtbar. Weniger bekannt ist allerdings, dass Tote auch im Boden des Wohnhauses in hölzernen Truhen begraben worden sind. Dieser Akt hatte eine tiefe Bedeutung: Das tote Mitglied der Abstammungsgruppe bleibt auch weiterhin unter den Lebenden des Hauses und schützt sie. Es wurden nicht alle Toten im Haus begraben, sondern nur die angesehensten Mitglieder der Abstammungsgruppe, die als Beschützer der Hausbewohner galten.

Das kulturelle Konzept von Vorstellungen über Beziehungen zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen den Gründungsvätern der Stämme bzw. Geschlechter und den Lebenden war gegeben. Dass sich diese nicht originalgetreu in das 19. oder 20. Jh. übertrugen, ist einleuchtend, zumal durch die Christianisierung eine wesentliche Überformung des Ahnenkults eingeleitet worden war. Wir müssen davon ausgehen, dass im Bereich der Ahnenkultvorstellung, abgesehen von den küstennahen Gebieten, eine tiefgreifende Christianisierung erst relativ spät eingeleitet worden ist. Die Informationen über die Erfolge der Christianisierung auf dem Balkan sind jedoch sehr spärlich.

Am besten sind wir über die Situation im mittelalterlichen Serbien vom Ende des 12. bis Mitte des 15. Jh. informiert. Aus den historischen Dokumenten können wir schließen, dass zur Zeit der Errichtung der selbständigen serbischen Kirche zu Beginn des 13. Jh. die Feier eines Hausheiligen bereits allgemeiner Brauch war; die christliche Überformung des Ahnenkults war noch sehr oberflächlich. Das Gastmahl zu Ehren des Heiligen und der verstorbenen Verwandten fand im Beisein des Priesters nicht im Haus, sondern in und vor der Kirche statt. Zu dieser Zeit wurden neben christlichen Opfern auch noch vorchristliche Blutopfer dargebracht: Rinder, Hammel, Lämmer und Tauben. Die Priester schafften geschlachtete Tauben und andere Vögel in die Kirche und opferten sie sogar auf dem Opferstein nahe dem Altar. Die damals noch junge serbische Kirche griff energisch durch und verbot sowohl das Schlachten der Tiere als auch das Gastmahl vor der Kirche. Es musste ins Haus verlegt werden, und zur kirchlichen Feier durften nur mehr die christlichen Opferrequisiten Brot, Koljivo (gekochter Weizen), Kerze, Öl, Weihrauch und Wein mitgebracht werden. Wir müssen davon ausgehen, dass auch in den angrenzenden Gebieten eine intensivierte Missionstätigkeit erst seit dem 13. Jh. erfolgte. Damit dürfte etwa seit dem 13. Jh. die Grundstruktur des Hauspatronsfestes, wie wir es im Detail aus dem 19. und 20. Jh. kennen, festgestanden haben.

5.1 Verbreitungsgebiet

Es ist wichtig festzuhalten, dass dieser verchristlichte Ahnenkult nicht von einer bestimmten ethnischen Gruppe praktiziert wird, sondern dass sich sein Verbreitungsgebiet über ein Territorium erstreckt, auf dem Angehörige mehrerer Völker und Nationen leben. Die Meinung, die von der serbischen Ethnographie um die Wende vom 19. zum 20. Jh. vertreten wurde, dass das Hauspatronsfest einzig und allein für die serbische Bevölkerung signifikant sei, ist unhaltbar.

Serbien liegt allerdings geographisch gesehen im Zentrum des Verbreitungsgebiets. Darüber hinaus wird das Fest auch in den übrigen von Serben bewohnten Gebieten, v. a. in jenen in Bosnien-Herzegowina und Kroatien, begangen. Auch viele katholische bzw. kroatische Familien Bosniens verehrten bis etwa zur Mitte des 19. Jh. Hauspatrone. Erst seit dieser Zeit waren die Franziskaner in ihren Bestrebungen erfolgreich, das Fest zu unterbinden. Das Bestilj-Fest (Bestilj-Fest), das von der muslimischen Bevölkerung des Landes anlässlich der Zwetschgenernte begangen wird, soll angeblich seine Wurzel in der Hauspatronsfeier haben und erst nach der osmanischen Eroberung des Landes (1463) entstanden sein.

Auch herzegowinische Katholiken bzw. Kroaten, insbesondere jene im Konavlje-Gebiet (Hinterland von Dubrovnik), begingen das Hauspatronsfest. Weiterhin war es auch in den katholischen Dörfern des Mündungsgebiets der Neretva bzw. des Küstenlands von Makarska in Dalmatien üblich. Die katholischen Lieblingsheiligen waren Martin, Johannes, Lukas, Matthäus, Stephan, Nikolaus und Thomas.

In der heute zu Montenegro gehörenden Bucht von Kotor wurden sowohl von der orthodoxen als auch von der katholischen Bevölkerung Hauspatrone verehrt. Je nach Sozialstruktur feierten Stämme, Abstammungsgruppen oder Dörfer einen gemeinsamen Heiligen. In Montenegro war das Fest allgemein verbreitet. Auch hier hing es völlig von der jeweiligen sozialen Organisationsstruktur ab, ob ganze Stämme oder die jeweiligen Abstammungsgruppen einen gemeinsamen Patron verehrten. Üblicherweise war letzteres der Fall. Im Stamm der Kuči verehrte beispielsweise die Abstammungsgruppe der Drekalovići den hl. Nikolaus, der der Mrnjavčići den hl. Demetrius; die Gruppen der Berovljani und Perići feierten den hl. Johannes usw. Im Gebiet der Riječka Nahija verehrten um das Jahr 1900 42 % der Häuser den hl. Nikolaus, 19 % den hl. Georg, 14 % den Erzengel Michael, 8 % den hl. Johannes usw.

Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich auch über die Stämme Nord- und Zentralalbaniens, und zwar sowohl über die katholischen als auch über die muslimischen. Generell kann festgehalten werden, dass hier jeder Stamm zwei Schutzpatrone verehrt. Der eine, der hl. Nikolaus (6. Dezember), fungiert als Patron aller Stämme. Zu seinem Gedenken werden noch heute jährlich zweitägige Feste veranstaltet. Ursprünglich wurde nur dieser Heilige verehrt. Um den Nikolaustag gab es in früheren Zeiten jedes Jahr ein riesiges Volksfest, das gewöhnlich sieben Tage dauerte. Später - wann genau, ist nicht bekannt - wurden aus der großen Feier drei Tage zugunsten der Feier eines speziellen Stammesheiligen herausgelöst. So erhielt also jeder Stamm noch einen zusätzlichen Schutzheiligen: die Hoti den hl. Johannes, die Kastrati den hl. Markus, die katholischen Gruda die hl. Jungfrau, die muslimischen Gruda den hl. Georg, die katholischen Selçani die hl. Petka, die Shkreli den hl. Nikolaus (9. Mai), die Shala den hl. Johannes, die Krasniqi den hl. Sebastian usw.

Interessant ist die Tatsache, dass hier Muslime einen christlichen Heiligen verehrten. Das Phänomen findet sich auch anderweitig. Nicht nur die muslimischen Gruda, sondern auch die übrigen muslimischen Stämme verehrten den hl. Georg als Schutzpatron.

Die Stämme des nordalbanischen katholischen Mirdita-Stammesverbandes verfügten in der Gestalt des hl. Alexander (19. Mai) über einen gemeinsamen Schutzpatron. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde er noch jedes Jahr gefeiert. An den Festen nahmen stets auch die Bewohner der muslimischen Gemeinden aus der Umgebung teil. Die einzelnen Teilstämme verehrten zusätzlich spezielle Schutzpatrone. Es scheint ein Spezifikum der Mirditenstämme gewesen zu sein, dass die Hochzeiten eines Jahres immer am Tag des jeweiligen Stammesheiligen stattfanden.

Auch die wenigen albanisch-katholischen Abstammungsgruppen des Kosovo verehren den hl. Nikolaus als gemeinsamen Schutzpatron. Das Fest zu dessen Ehren dauert gewöhnlich drei Tage. Aus diesem Anlass werden in jedem Haus Hammel geschlachtet und Kerzen entzündet. Man empfängt jedoch keine Gäste, weil alle Familien gleichzeitig feiern. Die Bedeutung des Nikolaustages tritt heute zugunsten der jeweiligen Stammespatrone in den Hintergrund. Der Tag des Stammespatrons ist der höchste Festtag im Jahr. Die Toplana feiern beispielsweise den hl. Georg, die Thaçi den hl. Johannes, die Krasniqi den hl. Sebastian etc. Auch für den Kosovo gilt, dass die muslimischen Albaner gemeinsam den hl. Georg als ihren Schutzpatron in einem großen Fest verehren. Wie die Katholiken schlachten sie aus diesem Anlass einen Hammel. Anstatt jedoch eine Kerze zu entzünden, werfen sie Wachs in das Feuer.

Obwohl viele katholische Albaner und orthodoxe Serben des Kosovo in konfessionell gemischten Dörfern leben, sind die Art und Weise, wie sie das Fest des Hauspatrons begehen, nach wie vor unterschiedlich. Das Fest der Serben ist von christlicher Symbolik durchsetzt, das der Albaner auch von nichtchristlichen Elementen wie etwa dem Hammel als Blutopfer charakterisiert. Im Ritual der albanischen Bevölkerung spielt der Vorabend des Patronstages eine weitaus größere Rolle als in der serbischen.

In Makedonien ist die Hauspatronsfeier sowohl für städtische als auch für ländliche Gegenden bezeugt, wenngleich sie hier zu Beginn des 20. Jh. anscheinend keine allgemeine Erscheinung mehr war. Sehr verbreitet kommt die Hauspatronsfeier in den Gebirgen um Skopje vor. Sie nahm allerdings hier keinen herausragenden Rang ein, sondern war lediglich eines der wichtigsten religiösen Feste des Jahres. Interessant ist, dass hier am Vorabend die Frauen zu den Gräbern der verstorbenen Vorfahren gingen, um den Toten Speisen zu bringen. In den 20er Jahren des 20. Jh. wird aus der Gegend um Gewgelija im mazedonisch-griechischen Grenzbereich berichtet, dass sowohl im Gebirge als auch in der Ebene Hauspatronsfeste stattfanden. Früher sollen sie hier stärker verbreitet gewesen sein.

Die Nomadengruppen sowohl der Vlachen- als auch Sarakatsanenfamilien verehrten Hauspatrone. Am Vorabend wurde das Haus bzw. die Hütte gereinigt, Matten und Teppiche wurden ausgestaubt. Während des Festaktes wurden die verstorbenen Vorfahren mit ihrem Namen angerufen und eingeladen, am Essen teilzunehmen. Zu diesem Zweck wurden Stühle freigelassen und spezielle Gedecke mit allen Speisen vorbereitet.

Auch im westlichen Bulgarien spielte und spielt das Hauspatronsfest eine wichtige Rolle. Es fiel auch hier hauptsächlich in die Winterjahreshälfte, das Ritual lief ebenfalls vergleichbar ab und die symbolischen Elemente waren auch repräsentiert. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde in zahlreichen Dörfern der kurban, das Schlachtopfer eingeführt. Es handelt sich hierbei also nicht um eine von manchen vermutete archaische Tradition.

Sogar die rumänische Bevölkerung im nordöstlichen Serbien verehrt Hauspatrone. Das Fest wird hier Praznik (Feiertag, Festtag) genannt und verläuft ähnlich wie das ihrer serbischen Mitbewohner.

Das Verbreitungsgebiet der Hauspatronsfeiern reicht also von Nordgriechenland im Süden bis in die von Serben besiedelten Gebiete Kroatiens im Norden, von der adriatischen Küste bis nach Slawonien und den rumänischen Siedlungsgebieten im Osten Serbiens. Das dichteste Verbreitungsgebiet war zweifellos ein zusammenhängender Territorialkomplex bestehend aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordalbanien und Nordwestmazedonien und deckt sich ungefähr mit dem Verbreitungsgebiet patrilinearer Abstammungsgruppen. Serben, Kroaten, Montenegriner, Albaner, Vlachen, Sarakatsanen, Mazedonier und Rumänen, Katholiken, Orthodoxe und Muslime feierten Hauspatrone. An den Rändern dieser Kerngebiete wurden Hauspatrone im 20. Jh. nur mehr sporadisch verehrt. In den Kerngebieten ist dieses Fest noch heute lebendig.

Die Patrone werden zwar in den einzelnen Häusern verehrt, und sie werden auch als Beschützer der im Haus lebenden Personen betrachtet; ihr Schutz gilt allerdings einer ganzen Gruppe von Haushalten, deren Angehörige in patrilinearer Abstammung miteinander verbunden sind. Dies kann der Stamm oder allgemein die patrilineare Abstammungsgruppe sein. Daraus wurde in früheren Zeiten die Überzeugung abgeleitet, dass Haushalte, die denselben Patron verehrten, miteinander verwandt seien, wenn sie auch weit voneinander lebten.

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5.2 Ahnenverzeichnis

Im Zentrum der Hauspatronsfeier standen bestimmte rituelle Handlungen. Für ihren Vollzug waren im christlich-orthodoxen Verbreitungsbereich sieben Elemente unabdingbar: eine Kerze, das Festbrot (Kolač), der Festkuchen (Pogača), Wein, Weihrauch, Öl und eine Schüssel gekochten Weizens (Koljivo). Diese Elemente begegnen uns allerdings ebenso in christlich-orthodoxen Totengedenkfeiern.

Im gesamten Verbreitungsgebiet des Hauspatronsfestes, aber auch darüber hinaus, ist es in der Orthodoxie insbesondere für die männlichen Nachkommen eine heilige Pflicht, der Verstorbenen zu gedenken. Bei den Serben etwa werden neben der Totenfeier am Tag des Begräbnisses innerhalb des ersten Jahres nach dem Tod zumindest vier individuelle Totenfeiern durchgeführt: nach dem siebenten Tag (in Bosnien auch bereits nach dem dritten Tag), am 40. Tag, nach einem halben Jahr und schließlich nach einem vollen Jahr. Aufgabe dieser Gedenktage ist es, die Seelen der Toten zu stärken und ihnen Lichter, die sie erwärmen sollen, anzuzünden. Anlässlich solcher Gedenktage werden ein männliches oder weibliches Schaf - entsprechend dem Geschlecht des bzw. der Verstorbenen - geschlachtet sowie Pogačen, Kolačen und Koljivo für das Totenmahl zubereitet. Die Seele des oder der Toten wird bei diesem Mahl als anwesend gedacht; es werden ihr ein Platz am Tisch freigehalten und auf diesem Platz Portionen von allen Speisen serviert. Weiterhin wird das Grab beräuchert, mit Wein und Wasser besprengt, Kerzen werden entzündet sowie Speisen und Getränke für das Seelenheil der Toten aufs Grab gelegt. Im katholischen Nordalbanien gehen noch heute einmal im Jahr (Ende November) alle Dorfbewohner auf den Friedhof. Sie bringen den Verstorbenen Raki, Fleisch, Zigaretten, Brot und Käse mit und sprechen mit den Ahnen. Dahinter steht die Vorstellung, dass zwischen den Toten und den Lebenden Beziehungen bestehen; die Seelen der Toten benötigen zum Überleben Essen und Getränke. Sie nicht damit zu versorgen, gefährdet nach diesen Vorstellungen die Beziehungen zwischen Toten und Lebenden.

Das stärkste Element, das das Hauspatronsfest mit Totengedenkfeiern verbindet, ist wohl der Koljivo. Es handelt sich dabei um ein traditionelles Totengericht der orthodoxen Kirche: gekochter Weizen, der mit Zucker, Nüssen und Mandeln abgemischt wird. Das Festbrot, der Kolač, nimmt eine zentrale Rolle im Verlauf einer Hauspatronsfeier ein. Bevor die Teilnehmer des Festes feierlich „sich in die Slava erheben“, um auf den Hauspatron zu trinken, wird vom Hausvater oder seinem Ehrengast (zumeist dem ältesten anwesenden Mann) der Kolač gebrochen und auf die Anwesenden verteilt. Die Pogača, ebenfalls ein wichtiges Element des Totengedenkens, ist lediglich der ungebackene Kolačteig. Kerzen sind ein unverzichtbares Element des christlichen Hauspatronsfestes. Sie werden vor der Hauptfeier vom Priester geweiht. Eine Kerze brennt bis in die Nacht und wird mit Wein oder Brot, das man zuvor in Wein getaucht hat, gelöscht. Sie darf nicht ausgeblasen werden, da nach gängiger Auffassung die Kerze die Toten repräsentiert, deren Seelen durch das Ausblasen als gefährdet gedacht wurden.

Weizenspeisen und Wein sind die charakteristischen christlichen Opfer an die Verstorbenen. Der Wein - ebenfalls wichtiges Element des Totengedenkens - wurde auch für die rituelle Verehrung des Hauspatrons benötigt. Man löschte mit seiner Hilfe die Festkerze aus und schüttete ihn über Koljivo und Kolač; während des Hauptfestaktes mussten alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen Schluck Wein trinken.

Im Verlauf des Festes wird der Hauspatron rituell verehrt und gleichzeitig eine Totengedenkfeier durchgeführt. Alle wesentlichen Elemente des Hauspatronsfestes sind auch Elemente des Totengedenkens. Das stimmt nachdenklich, denn es gibt neben dem Patronsfest im Verlauf des Jahres einige Totengedenkfeiern. Warum eine zusätzliche Totengedenkfeier, erweitert durch die Hauspatronsverehrung?

Von entscheidender Bedeutung scheint hier das in den meisten Beschreibungen übergangenene rituelle Ahnengedenken durch das Verlesen der čitula, das heißt des häuslichen Ahnenverzeichnisses (Ahnenverzeichnis), zu sein. Dieses geschieht an den allgemeinen Totengedenktagen und eben auch im Rahmen der Hauspatronsfeier. Die Eintragung des bzw. der Toten erfolgt nach dem letzten Gedächtnismahl, also nach einem Jahr. Eingetragen werden alle männlichen Mitglieder des Hauses und die wenigen Frauen, die im Haus geboren wurden und noch vor der Heirat verstarben. In den publizierten Totenverzeichnissen des herzegowinischen Dorfes Samobor etwa - die Aufzeichnungen erstrecken sich auf den Zeitraum zwischen etwa 1650 und 1900 - ist keine einzige Frau eingetragen. Eingeheiratete Frauen wurden nicht vermerkt. Nach der Teilung eines komplex strukturierten, vielköpfigen Haushalts in kleinere selbständige Haushalte verblieben das Ahnenverzeichnis, die Ikone und der Kesselhaken im Stammhaus. Wenn die abgeteilten Häuser keine engen Beziehungen zum Stammhaus aufrechterhalten wollten, legten sie eigene Ahnenverzeichnisse an. Wollten sie die Verbindung zum Stammhaus nicht abbrechen lassen, ließen sie ihre Toten weiterhin in das Verzeichnis des Stammhauses eintragen. Im allgemeinen reichen die Eintragungen nicht weiter als bis in die Mitte des 17. Jh. zurück. Im erwähnten Dorf Samobor beispielsweise sind einige alte Verzeichnisse erhalten geblieben, die die Namen aller männlichen Vorfahren bis zur 13. Generation, also bis etwa 1650, enthalten.

Das Verzeichnis wurde entweder vom Haushaltsvorstand in Verwahrung genommen, zur Ikone des Hauspatrons gelegt oder dem Dorfpfarrer zur Aufbewahrung übergeben. Die Eintragung in das Ahnenverzeichnis erfolgte durch den schreibkundigen Pfarrer. Auch das feierliche Verlesen der Ahnenreihe im Rahmen des Hauspatronsfestes geschah durch ihn. Dies wurde entweder im Haus oder in der Kirche, je nachdem wo die Segnung des Kolač, der Pogačen, der Kerze usw. stattfand, vollzogen.

Obwohl es kaum Gegenstand von Beschreibungen ist, muss dieses Ahnenverzeichnis in früherer Zeit eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Führung der Verzeichnisse wurde von den Pfarrern kontrolliert. Die Eintragung erfolgte ebenso durch sie wie das Verlesen im Rahmen der Hauspatronsfeier; in einigen Regionen wurden sie sogar von ihnen aufbewahrt. Es ist zu fragen, weshalb diese Verzeichnisse überhaupt angelegt wurden, zumal die Männer die Namen der Ahnen auswendig wussten. Wahrscheinlich war es die Kirche, die ein Interesse an der Anlegung solcher Verzeichnisse hatte. Es verfügten nur die Geistlichen über ausreichende Schreib- und Lesekenntnisse, um solche Verzeichnisse führen zu können. Es könnte sein, dass sich die Kirche dadurch die Möglichkeit einer symbolischen Kontrolle über die Ahnen sichern wollte.

Wie es also scheint, stellt die Hauspatronsfeier eine Art des Totengedenkens, das stark im vorchristlichen Ahnenkult verwurzelt ist, dar. Es ist nicht die Hauspatronsfeier, die Elemente des Totengedenkens und Ahnenkults um sich gruppiert, sondern der vorchristliche Ahnenkult stand am Beginn der Entwicklung. Aus ihm entstand die Hauspatronsfeier, in der Elemente des Totengedenkens erhalten blieben.
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5.3 Totems

In den montenegrinischen und albanischen Stammesgebieten - dort also, wo Ahnenreihen und Abstammung besonders wichtig waren - war das Bedürfnis nach dem Schutz der Ahnen und nach deren Verehrung auch außerhalb des jährlichen Hauspatronsfestes sehr stark. Gleichzeitig bestand, wie das folgende Beispiel zeigt, eine Verbindung zwischen christlicher Kirche und Ahnenkult. Die Stämme oder Teilstämme verfügten gewöhnlich über eine einzige gemeinsame Kirche, die meist auf isolierter Höhe und in weiter Entfernung von den Dörfern errichtet worden war. Dieser Ort war jedoch zugleich auch Sitz von Totems aus vorchristlicher Zeit. Jeder Stammesbewohner hatte ein schützendes ore, ein Totem, in der gedachten Gestalt eines mythischen Gesichts. Auch jede soziale Gruppe stellte sich unter den Schutz einer solchen Gestalt. Dieses Totem wurde für die sozialen Gruppen, die sich über Blutsverbindungen konstituierten, als schicksalsbestimmend gedacht. Das Gesicht des Stammesurahnen wurde durch das Stammestotem symbolisiert, wie etwa das Totem des Shala-Stammes: Es war „lang wie eine Kiefer, schön wie das Licht, bitter wie eine Schlange“; das Totem des Nikaj-Stammes hatte „ein gerötetes Gesicht, zu einem Grad verärgert, dass kein Lächeln über seine Lippen mehr kam“; das Totem des Stammes der Krasniqi machte „stets einen unruhigen Eindruck“ usw. Es ist wichtig festzuhalten, dass das Stammestotem seinen Platz stets auf dem höchsten Punkt des Stammesterritoriums hatte - auf einer Stelle also, von dem aus es sein gesamtes Stammesterritorium überblicken konnte. Und dies war zugleich die Stelle, auf der später Kirchen errichtet worden sind. Dieses Beispiel zeigt, wie nahe sich Ahnenkult und christliche Religion kommen konnten bzw. wie verschwommen die Grenzen zwischen beiden verliefen. Parallel zur Kontrolle über die Ahnenverzeichnisse besetzte die Kirche den Ort des Ahnenkults und wollte ihn dadurch verdrängen.
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5.4 Hauskult

Der Hauspatron nahm in der Vorstellung der Menschen Anteil am Geschehen des Hauses. Die Ikone des Patrons, also dessen bildliche Darstellung, die in beinahe jedem orthodoxen Haushalt aufgestellt war und den Ehrenplatz im Haus einnahm, war dessen Verkörperung. Zusammen mit einem Weihrauchkessel, einer Kerze und eventuell dem Ahnenverzeichnis wurde ein kleiner Hausaltar errichtet. Lediglich in sehr armen Häusern fehlte ein solcher. In der Vorstellung der Menschen verfolgte der Patron alle Geschehnisse rund um das Haus. Anlässlich des Patronsfestes dachte man sich ihn unsichtbar teilnehmend, etwa auf der rechten Schulter des Hausvaters stehend. Verschiedene Beobachtungen über seinen gedachten Sitz könnten den Schluss zulassen, er sei ein Patron des Hauses und nicht einer über die männliche Abstammungslinie. Sein Sitz war nämlich offensichtlich sehr stark an das Haus gebunden. Das konnte beispielsweise zur Folge haben, dass jemand, der in das Haus eintrat oder einen Teil von dessen Besitzungen erwarb, auch den Patron des Hauses verehren musste. Ein Erbe war verpflichtet, auch die Verehrung des Hauspatrons zu übernehmen. Verließen Söhne ohne formelle Trennung den Haushalt, um sich etwa als Händler oder als Handwerker anderweitig niederzulassen, so war es ihnen zwar möglich, unabhängig von ihren Herkunftshäusern ihre Patrone zu feiern und Gäste dazu einzuladen; den Kolač durften sie jedoch genauso wenig selbst backen wie sie den Koljivo kochen durften, da sie nicht formell von ihren Herkunftshäusern getrennt waren. Koljivo und Kolač wurden daher noch im Herkunftshaus für sie hergestellt.

War also der Patron eher an ein bestimmtes Haus oder an eine bestimmte Ahnenreihe gebunden? Nehmen wir ein Beispiel, das Klärung bringen könnte. Wenn eine Familie an einen anderen Ort und in ein anderes Haus übersiedelte, musste sie den dortigen Patron übernehmen. Der alte Hauspatron wurde zum Nebenpatron, der in einer kleineren Feier gewürdigt wurde. Dies führte zur Institutionalisierung einer Nebenpatronsfeier. Sie wurde preslava, prisluživanje, prisluga, poslužbica oder ähnlich genannt. In manchen Gegenden war die Nebenfeier beinahe gleichrangig, in anderen Regionen wiederum war sie nicht viel mehr als ein Gedenken an den Nebenpatron. Beinahe jede Familie verehrte einen Nebenpatron. Wir sehen also, dass der Patron einerseits an das Haus gebunden war, aber andererseits mit der Haushaltsgruppe mitwanderte, wenn sie das Haus wechselte. Die Institution der Hauspatronsverehrung wies also auch deutliche Elemente eines Hauskults auf, sodass in ihr Ahnen- und Hauskult zusammenliefen.
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5.5 Soziale Bedeutung

Die Kultgemeinschaft war nicht nur eine Bluts- und Eigentumsgemeinschaft, sie war auch eine Gruppe, die Exogamie praktizierte. Alle jene, die einen gemeinsamen Patron verehrten, gingen davon aus, dass sie von einem gemeinsamen Urahnen abstammten und daher untereinander verwandt waren, unabhängig davon, wie weit die gemeinsamen Ursprünge zurücklagen. Dementsprechend galt es bis zum vorigen Jahrhundert als unangebracht, jemanden zu heiraten, der bzw. die denselben Patron verehrte, auch wenn die beiden nachweislich nicht miteinander verwandt waren. Für Frauen und Männer, die einen sehr beliebten Heiligen zum Hauspatron hatten, musste sich damit der Kreis der in Frage kommenden Ehepartner beträchtlich reduzieren. Die Sanktionen gegen die Missachtung dieses Heiratsverbots konnten gravierend sein: öffentliche Verfluchung oder Exkommunikation.

Das Prinzip der Patrilinearität kommt auch im Status, welcher der Frau zugewiesen wird, zum Ausdruck. Es war neben der männerrechtlichen Ordnung und der Patrilokalität das stärkste Element des balkanischen Patriarchalismus und verwies die junge Ehefrau in eine inferiore soziale Stellung. In vielen Gegenden war die Rolle der zugeheirateten Frauen bei den Kulthandlungen derjenigen von zufällig teilnehmenden Fremden gleichgestellt. Sie durften das häusliche Mysterium nicht sehen und mussten mit einem Platz hinter der Tür vorliebnehmen. Anderswo waren es die Frauen, die den Raum verlassen mussten, wenn so viele Gäste erschienen, dass der Kultraum zu klein wurde, um alle Teilnehmenden zu fassen. Dies betraf insbesondere die zugeheirateten Frauen. Sie mussten zwar den Hauspatron ihres Mannes übernehmen, wurden aber nicht gleichberechtigte Mitglieder der agnatischen Familiengruppe (Verwandtschaftsgruppe), sondern verblieben - zumindest bis sie männliche Kinder zur Welt brachten - im Status von Fremden. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die eingeheirateten Frauen, wie bereits erwähnt, nicht in die Ahnenverzeichnisse eingetragen wurden. Selbstverständlich konnte eine Frau die kultischen Handlungen nicht übernehmen.

Den eingeheirateten Frauen war es nicht einmal erlaubt, die Festtagskerze auszulöschen. Sie waren Fremde im Haus, die vor der Heirat einen anderen Hauspatron verehrt hatten. Sie durften daher nicht in die Beziehungen zwischen den Lebenden und Toten des Hauses eingreifen, und das Ausblasen der Kerze wäre ein starker Eingriff gewesen, wärmte doch die Kerze die Seelen der Verstorbenen.

Die Kultordnung diente also nicht nur zur Stärkung der Patrilinie, sondern regelte auch gleichzeitig insofern die Machtverhältnisse in der Geschlechterbeziehung, als sie eine klare Linie zwischen der herrschenden Gruppe von Agnaten und jener der zugeheirateten Frauen zog. Eine wichtige Funktion der Ahnenverehrung war es, dass sie den dominierenden sozialen Verband, dem ein Haushalt angehörte – nämlich die patrilineare Abstammungsgruppe – auf eine sakrale Ebene hob. Die Gruppe, die einen gemeinsamen Heiligen verehrte, konnte auf einen gemeinsamen – wirklichen oder fiktiven – männlichen Urahnen zurückblicken. Deutlicher kann der Zusammenhang zwischen Heiligenverehrung und Ahnenverehrung kaum noch zum Ausdruck kommen. Viele der Stammesbewohner Nord- und Zentralalbaniens konnten ihre Abstammung tatsächlich – wenn die mündlich tradierte Stammessage richtig ist – von einem gemeinsamen Urahnen ableiten, bei manchen hatte die Abstammungsrechnung jedoch fiktiven Charakter. Jedenfalls feierten die Bewohner des Stammes immer wieder, Jahr für Jahr, gemeinsam ihren Hauspatron, der indirekt zugleich auch ihr wirklicher oder fiktiver Stammespatron war. Jahr für Jahr wurde damit in feierlicher Weise der Zusammenhalt des Stammes dokumentiert und erneuert. Aber es waren nicht nur die Blutsbande, die auf diese Weise gepflegt wurden. Die Weidegebiete waren gewöhnlich kollektives Stammeseigentum. Die Kultgemeinschaft war dadurch gleichzeitig auch Besitzgemeinschaft. Für jeden, der in diese eintreten wollte, war der Eintritt in die Kultgemeinschaft eine unerlässliche Voraussetzung, das heißt der Stammespatron musste als Hauspatron akzeptiert werden. Damit wurde auch die Solidarität eines neueintretenden Haushalts gegenüber den etablierten Stammesangehörigen sichergestellt. Dasselbe gilt etwa auch für die Teilstämme der montenegrinischen Stämme. Hier ging es um die rituelle Festigung der Teilstammesbande. Ähnliches trifft auch für die Gebiete zu, in denen vergleichbar große soziale Verbände bereits auseinandergebrochen waren, wie etwa in Serbien im 19. Jh. Auch dort galt: Alle, die einen gemeinsamen Hauspatron verehrten, stammten von einen gemeinsamen männlichen Urahnen ab.

Eine söhne- oder kinderlose Ehe bzw. der frühe Tod des Ehegatten stellte die Fortführung des Ahnenkults infrage. Gegen eine söhnelose Ehe gab es im Bereich der Hauspatronsfeier unübliche, aber der Situation durchaus angepasste Mittel, etwa die Erklärung eines weiblichen Kindes zum Mann (Mannfrau) oder aber das Hereinholen eines Schwiegersohns, der im slawischen Sprachgebrauch domazet genannt wurde. Ihm konnte man jedoch nicht so einfach den Hauspatron rauben, wie dies bei einer einheiratenden Frau der Fall war. Der übliche Ausweg war der, dass der Schwiegersohn neben dem eingesessenen Hauspatron auch seinen in das fremde Haus mitgebrachten Nebenpatron weiterhin verehrte. Er behielt den übernommenen Patron auch nach dem Tod des Schwiegervaters bei und übertrug ihn auf seine Söhne. Die Übertragung erfolgte parallel mit der Weitergabe des Erbes. Bei einer kinderlosen Ehe konnte nur eine Adoption die Fortsetzung des Ahnenkults retten.

Auch das von der christlichen Kirche heftig bekämpfte Levirat wurde als legitimes Mittel zur Aufrechterhaltung des Ahnenkults betrachtet. Oft war diese Eheform mit dem ausdrücklichen Auftrag verbunden, dem söhnelos verstorbenen Bruder stellvertretende männliche Nachkommen zu zeugen: Der verstorbene Bruder erhielt auf diese Weise „Söhne“ und fand Eingang in den Ahnenkult. Das Levirat war seit der Spätantike in den christlichen Kirchen nicht mehr erlaubt. Im montenegrinischen Stammesgebiet wurde es trotzdem noch im 19., im albanischen sogar noch im 20. Jh. praktiziert. Die Männer fühlten sich – trotz aller Interventionen der Kirchenvertreter – verpflichtet, die Witwe nicht nur des Bruders, sondern auch jedes anderen verstorbenen männlichen Haushaltsmitgliedes (ausgenommen des Vaters) zu heiraten.
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5.6 Das Hauspatronsfest in der Moderne

Obwohl die Elemente des patriarchalen Kulturmusters auf dem Balkan noch stark präsent sind, haben sie in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer früheren Vitalität eingebüßt. Damit geht ein Bedeutungsverlust des Hauspatronsfestes Hand in Hand. In seinen traditionellen Formen und den ehemals unverzichtbaren Ritualen wird es selbst auf dem Land immer seltener durchgeführt; die früher obligate Verwendung einer Kerze ist beinahe völlig außer Gebrauch gekommen. Vielfach ist es, wie ein bosnisches Beispiel zeigt, zu einem Riesenspektakel geraten. Im bosnischen Dorf Peljavo, in dem viele Häuser denselben Hauspatron verehren, ging der Hauscharakter des Festes bereits in den 60er Jahren des 20. Jh. verloren. Die betreffenden Häuser veranstalteten in dieser Zeit am Panteleimonstag ein großes öffentliches Fest, das von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang dauert. Im Jahr 1967 gab es nicht weniger als 4000 Gäste, die von 20 professionellen Tanzgruppen unterhalten wurden.

Die starke Abwanderung in die Städte hatte ebenfalls Erosionserscheinungen für die Feier zur Folge. Zwar wird auch in der Stadt des Hauspatrons gedacht - aber es passt vieles nicht mehr zusammen: die Wohnung, die man bezieht, hat keinen eingesessenen Hauspatron, dessen Feier man übernehmen könnte, und keinen traditionellen Ahnensitz. So transferiert man eben den angestammten Hauspatron in die Stadt. Die engen Wohnungen sind allerdings für größere Feste ungeeignet. Das Hauspatronsfest dauert, wenn es überhaupt noch durchgeführt wird, nicht länger als einen Tag. Die Gäste kommen und gehen sukzessive und bleiben vielleicht auf ein Glas Raki, eine Tasse Kaffee und einige Süßigkeiten. So wurde aus dem ehemals wichtigsten Fest des Jahres ein Festtag unter mehreren.

Goehrke, C. 1992: Frühzeit des Ostslawentums. Darmstadt. Kaser K. 1995: Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan. Analyse einer untergehenden Kultur. Wien. Luven Y. 2001: Der Kult der Hausschlange. Eine Studie zur Religionsgeschichte der Letten und Litauer, Köln. Schneeweis E. 1935: Grundriss des Volksglaubens und Volksbrauchs bei den Serbokroaten. Celje. Stahl, P. 1986: Household, village and village confederation in Southeastern Europe. New York. Váňa Z. 1992: Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die geistigen Impulse Ost-Europas. Stuttgart. Wienecke E. 1940: Untersuchungen zur Religion der Westslawen. Leipzig.

(Karl Kaser)

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