Griechen (Pontus)

Pontusgriechen (auch: Pontos-Griechen, Schwarzmeergriechen, Pontier, griech. Pontioi)

Der Begriff P. bezeichnet die griechischen Bewohner der südlichen Schwarzmeerküste (Pontus).

Die erste griechische Besiedlung des Pontus erfolgte im 8. Jh., v. a. von Milet aus. Die Küstenzone war bis zur Zeit Alexanders des Großen beliebtes Siedlungsgebiet der Griechen; ab dem Hellenismus verbreiteten sie sich auch im Inneren des Landes. Unter der Herrschaft der Mithradatiden entstanden elf Stadtstaaten: Amastris, Sinōpē, Amisos, Pompeiopolis, Neapolis, Magnopolis, Diospolis, Nikopolis, Zela, Megalopolis, Abonuteichos und Amaseia. Letztere Stadt war bis 183 v. Chr. Residenzort der Dynastie. Mithradates VI. war der Gründer des Pontischen Königreiches.

In byzantinischer Zeit folgte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte u. a. der Stadt Trapezunt. Bedeutende Klöster wurden gegründet: u. a. Panagia Soumela (aus dem 4. Jh.; mit Wandmalereien ausgestattet), Agiou Ioannes Vazelonos, Agiou Georgiou Peristeriotou, Agiou Ioannes Hountoura, Agiou Georgiou Halinara und Panagia Goumera. Diese konnten auch innerhalb des Osmanischen Reiches ihre Sonderstellung beibehalten.

Nach dem Vierten Kreuzzug und dem Fall Konstantinopels wurde der Prozess der Islamisierung (u. a. durch die Knabenlese – ›devsirme‹ –, der gezwungenen Umerziehung christlicher Kinder) und Türkisierung der nicht-islamischen Bevölkerung, der im 10. Jh. durch die Seldschuken begonnen worden war, weitergeführt. Eines der letzten christlichen Zentren, das Reich von Trapezunt, 1204 gegründet, fiel 1461 an die Seldschuken. Dieser Prozess verstärkte sich unter osmanischen Herrschaft und führte zur Auswanderung der pontischen Bevölkerung (v. a. nach Russland bzw. in die Moldau und Walachei) oder ihrer Flucht in die Berggebiete. Von den zurückgebliebenen Griechen traten viele zur islamischen Religion über.

Doch zu allen Zeiten wurden der christlichen Bevölkerung Privilegien erteilt, oft aus wirtschaftlichen Gründen, denn die Griechen erwiesen sich als fähige Händler und Seefahrer (z. B. Einwohner der Hafenstadt Sinop), im Bergbau). Unter Meḥmed II. (1451–81) wurden die andersgläubigen Minderheiten (Griechen, Juden) toleriert; Religionsgemeinschaften, sog. ›millet‹, wurden eingerichtet. Weitere religiöse und wirtschaftliche Privilegien erlangten die Griechen nach dem Frieden zwischen den Osmanen und Russland Küçük Kaynarca 1774).

Der Einmarsch der Russen im Kaukasusgebiet (1829) sowie ihr Abzug führte aus Angst vor einem türkischen Vergeltungsschlag zu einer neuen Emigrationswelle der Orthodoxen (besonders bedroht fühlen sich Kryptochristen, d. h. Christen, die ihre Zugehörigkeit zum Islam vorgegeben hatten). In den folgenden Jahren wurde die griechische Sprache verboten. Neue Maßnahmen wie der Erlass ›Hatt-ı Şerif‹ (1839) versprachen den Untertanen Sicherheit; Allerdings blieb die ungleiche Besteuerung der Moslems und Griechen (Kopfsteuer) bis 1854 erhalten. Nach einem weiteren Erlass 1856 war die Gleichberechtigung der Bürger und religiöse Freiheit theoretisch sichergestellt, wenngleich sie noch nicht praktisch umgesetzt wurde.

Ein neuer ökonomischer Aufschwung von pontischen Städten wie Samsun und Trabzon erfolgte Ende des 19./ Anfang des 20. Jh.: Der Handel blühte, es wurden Schulen gegründet und pontische Zeitungen herausgegeben.

Als Folge eines Traumes von einem „Großgriechenland“ marschierten griechische Truppen des 1833 neu gegründeten griechischen Staates gegen Ankara, sie wurden jedoch von türkischen Verbänden unter Muṣṭafā Paşa Kemāl (Mustafa Kemal Atatürk) vernichtend geschlagen (1921/22). Der folgende Frieden von Lausanne 1923) führte zum Verlust Ostthrakiens und Smyrnas; es erfolgte der „Tausch der Population“, der Zwangsaustausch der auf türkischem Gebiet lebenden griechischen Bevölkerung (ca. 1,6 Mio.) mit den auf griechischem Boden lebenden Türken. Dabei wurden die griechisch sprechenden Muslime als Türken qualifiziert und konnten in ihrer Heimat bleiben; Ziel der Flüchtlinge war v. a. Nordgriechenland und Westthrakien. Über die Inseln der Ägäis gelangten ca. 350.000 Flüchtlinge, v. a. von der kleinasiatischen Küste nach Attika. Sie wurden in rasch errichteten Siedlungen an den großen Ausfallstrassen der Hauptstadt untergebracht. .). Die P. flüchteten nach Russland, Armenien, Ägypten. Viele von ihnen emigrierten später (bis in die 80er Jahre) nach Mitteleuropa, Australien oder Nordamerika.

Der „Pontische Dialekt“ (griech. pontiaka) war einer der bedeutendsten neugriechischen Dialekte, der in rund 800 Siedlungen in Gebrauch stand. Er unterteilt sich weiter in drei nach Regionen (im westlichen und nordöstlichen Pontusgebiet sowie das Gebiet um Trabzon) unterschiedene Gruppen. Heute wird er von den in der Türkei verbliebenen Griechen, den P. Griechenlands und Russlands und von einigen griechisch sprechenden Türken gesprochen.

Die pontischen Tänze werden von einem Kreis von Männern und Frauen getanzt, die sich – entweder mit erhobenen oder heruntergelassenen Armen – an der Hand halten und werden durch die Musik der pontischen Lyra (›kementze‹) und einem Lied begleitet. Der Tanz ›sera‹ oder ›lazikos‹ ist ein männlicher Kriegstanz. Die Tänzer sind Männer in schwarzer Kleindung und mit einem Tuch auf dem Kopf. Während dieses Tanzes wird aufgesprungen und ein rhythmischer Schrei ausgerufen.

Bryer A. 1988: Peoples and Settlements in Anatolia and the Caucasus 800–1900. London. Bryer A., Winfield D. 1985: The Byzantine Monuments and Topography of the Pontus, 2 Bde. Washington, D.C. (= Dumbarton Oaks Research Library and Collection). Mackridge P. 1987: Greek-Speaking Moslems in North-East Turkey: Prolegomena to a Study of Ophitic Sub-Dialect of Pontic, Byzantine and Modern Greek Studies 11, 115–137. Marek Ch. 1993: Stadt, Ära und Territorium in Pontus-Bithynia und Nord-Galatia, Tübingen (= Istanbuler Forschungen 39).

Myrtia Hellner

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