Posen (Stadt)

Posen (poln. Poznań)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Stadt P., Hauptstadt der seit 1999 bestehenden Woiwodschaft Großpolen, liegt am Mittellauf der Warthe im Zentrum der „Großpolnischen Tiefebene“ (Nizina Wielkopolska).
Im Stadtgebiet münden aus östlicher Richtung die Flüsse Cybina und Główna in die Warthe. Das auf einer Höhe zwischen 49 und 154 m ü. d. M. gelegene Stadtgebiet umfasst eine Fläche von 261,3 km², davon sind rd. 20 % Grünfläche. Ende 2006 betrug die Einwohnerzahl 564.951.
Die mittlere Temperatur beträgt im Januar –1,2 °C, im Juli 18,1 °C. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge beträgt 478 mm pro Jahr.

Links der Warthe befindet sich die historische Altstadt, das Geschäfts- und Bankenviertel sowie der überwiegende Teil der Wohnbebauung aus dem 19. Jh., rechts der Warthe sind Wohnsiedlungen aus dem 20. Jh. vorherrschend, errichtet überwiegend seit 1966. Eingegrenzt von den Flüssen Warthe im Westen und Cybina im Osten liegt die Dominsel (Ostrów Tumski) mit dem Sitz des Erzbischofs von P.

Zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen zählen Metallverarbeitung und Maschinenbau mit der 1846 gegründeten, heutzutage v. a. Motoren produzierenden „H. Cegielski-Werke AG“ (H. Cegielski Poznań SA), das Bankwesen, die Nahrungsmittelindustrie sowie der Handel, repräsentiert von der 1921 gegründeten Messe, seit 1925 mit internationalem Status.
Die Universität wurde 1919 eingerichtet, zunächst unter dem Namen „Piasten-Universität“ (Wszechnica Piastowska, bis 1920), dann als „P.er Universität“ (Uniwersytet Poznański) und seit 1955 als „Adam-Mickiewicz-Universität“ (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza), daneben existieren 20 weitere staatliche und private Hochschulen. P. besitzt ein Opernhaus und ein Dutzend weitere Theater.
Auf dem 1952 angelegten 64 ha großen Maltasee (Jezioro Maltańskie) südöstlich der Dominsel finden regelmäßig Wettkämpfe statt, so die Kanu-Europameisterschaften im Juli 2005.
1874 wurde in P. der erste innerstädtische Zoologische Garten auf polnischem Territorium eröffnet. Der 1974 eröffnete, östlich des Maltasees gelegene „Großpolnische Zoologische Park“ (Wielkopolski Park Zoologiczny) zählt mit 113 ha zu den größten Einrichtungen seiner Art in Polen. Auf dem im Westen der Stadt gelegenen Flughafen P.-Ławica nahm 1921 die erste kommerzielle Fluglinie Polens ihren Betrieb auf. Über einen wirtschaftlich bedeutsamen Binnenhafen verfügt P. nicht.

2 Kulturgeschichte

Auf der Dominsel befand sich im 9. Jh. n. Chr. eine befestigte Siedlung der in Großpolen ansässigen „Polanen“. Unter Mieszko I., der die Piasten-Dynastie begründete, entwickelte sich P. neben Gnesen zum wichtigsten Herrschaftssitz des „Polanenstaates“. Nach der Annahme des Christentums durch Mieszko I. 966 wurde in P. 968 ein Missionsbistum eingerichtet, das unmittelbar dem „Heiligen Stuhl“ unterstellt war, und auf der Dominsel die erste Kathedrale Polens errichtet, die nach mehreren Zerstörungen und Umbauten heute als P.s bedeutendste Sehenswürdigkeit den Zustand zu Beginn des 16. Jh. zeigt. Zugleich etablierte sich der Name der Stadt in der zeitgenössischen Chronistik. Zwar verlor P. einen Teil seiner geistlichen und politischen Macht an Gnesen, als dort 1000 durch Papst Silvester II. ein Erzbistum gegründet wurde. Die Bestattungen Mieszkos I. und seiner piastischen Nachfolger bis zum Ende des 13. Jh. in P. belegen jedoch die ungebrochene Bedeutung der Stadt.

1038 wurden P. und weitere großpolnische Städte von böhmischen Truppen unter Břetislav I. zerstört. In der darauffolgenden Zeit der Teilfürstentümer bildete P. den Sitz der großpolnischen Linie der Piasten. Nachdem die Umgebung P.s von schlesischen Truppen, die sich vor den Mongolen zurückzogen, erneut zerstört worden war, gründete Herzog Przemysł I. 1253 auf dem linken Wartheufer eine neue Siedlung unter dem Namen P. nach Magdeburger Recht und errichtete dort neben dem Marktplatz eine Residenz für die großpolnischen Herzöge. Die angesiedelten Neubürger stammten überwiegend aus dem mittleren Odergebiet, so auch der mit der Lokation beauftragte Thomas von Guben (poln. Tomasz z Gubina), in den beiden folgenden Jahrhunderten auch aus weiteren Gebieten Schlesiens, der Lausitz und Großpolens.
Ab der Mitte des 14. Jh. entwickelte sich P., begünstigt durch seine westliche Lage innerhalb des expandierenden polnischen Staates, zu einem Fernhandelszentrum, insbesondere zu einem Umschlagplatz des Getreideexportes über den Stettiner und Danziger Hafen, und zur bedeutendsten Stadt Großpolens. Die Judenprivilegien des großpolnischen Herzogs Bolesław Pobożny („der Fromme“) von 1264 bewirkten, dass die P.er jüdische Gemeinde im 16. Jh. zu den größten in Europa zählte.
Zur selben Zeit erlebte P. seine kulturelle Blüte mit der Gründung einer hochschulähnlichen Akademie (›Academia Lubransciana‹ [latein.]) durch den Bischof Jan Lubrański 1519 sowie des Jesuitenkollegiums 1573. Bebauung und Straßenverlauf in der Altstadt erhielten ihre heutige Form. Die Reformation fand nur vorübergehend Mitte des 16. Jh. eine größere Anhängerschaft in der Stadt, die Gegenreformation war von antisemitischen Ausschreitungen begleitet.

Im ausgehenden 16. Jh. wohnten in P. und seinen Nebenstädten fast 20.000 Personen. Zwischen 1719 und 1753 wurden letztmalig gezielt knapp 500 aus Bamberg stammende Katholiken (Bamberger, poln. Bambrzy) angesiedelt. Im 17. und 18. Jh. mehrfach Kriegsgebiet, verlor P. ein Drittel seiner Bevölkerung, die 1789 noch rd. 11.000 Personen zählte. Nachdem P. 1793 durch die Zweite Teilung Polens (als Teil der Provinz Südpreußen) an Preußen gefallen war, stieg die Einwohnerzahl rapide an und betrug 1816, nach der vorübergehenden Zugehörigkeit zum Herzogtum Warschau 1807–15, etwa 24.000, davon ca. 60 % Katholiken und je 20 % Protestanten und Juden.
Unter preußischer Herrschaft erhielt P., Hauptstadt des 1815 eingerichteten Großherzogtums P., ab 1830 der Provinz P., den Charakter einer Militär- und Verwaltungsmetropole. Aus Ungewissheit über die Entwicklung der nationalen Beziehungen in der Stadt und in Hinblick auf die nahe russische Grenze wurde 1828–69 ein durchgehender Befestigungsring von rd. 2 km Durchmesser um die Innenstadt errichtet (mit u. a. dem ›Fort Winiary‹, der heutigen Zitadelle), ein zweiter, äußerer Ring einzelner Forts folgte 1872–83. In der P.er Garnison waren bis zum Ersten Weltkrieg mehrere preußische Regimenter mit insgesamt bis zu 10.000 Soldaten stationiert.

Bis 1830 genoss die polnische Bevölkerung eine weitgehende sprachliche und kulturelle Autonomie, die u. a. in der 1829 von dem Aristokraten Edward Raczyński errichteten und nach ihm benannten Bibliothek Ausdruck fand und das Stadtbild fortan mitbestimmte. Nach dem Aufstand von 1830/31 im Königreich Polen ergriff der P.er Oberpräsident Heinrich Eduard von Flottwell gezielte Maßnahmen gegen die polnische Bevölkerung, ohne deren kulturellen Aufschwung behindern zu können. In P. waren der „Verein für Unterrichtshilfe“ (Towarzystwo Naukowej Pomocy) und das mit einem Hotel verbundene Geschäftszentrum ›Bazar‹, die beide 1841 ihre Arbeit aufnahmen, herausragende Beispiele für die von dem Arzt Karol Marcinkowski initiierte „Organische Arbeit“ (Praca organiczna). Diesen Initiativen wie auch dem 1857 gegründeten „P.er Verein der Freunde der Wissenschaften“ (Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk), der als Ersatz für eine Universität diente, standen von deutscher Seite keine vergleichbaren Aktivitäten gegenüber. P. avancierte zum organisatorischen Hauptzentrum der polnischen Nationalbewegung in Preußen bzw. im Deutschen Reich, was nicht nur in den kulturellen Aktivitäten, sondern auch in dem Aufstand der P.er Polen 1848 zum Ausdruck kam. Die deutsche Öffentlichkeit beschwor hingegen P.s Rolle als „Hauptstadt des deutschen Ostens“ bzw. der „Ostmark“.
1848 wurde die Eisenbahnlinie nach Stargard (poln. Stargard Szczeciński) eröffnet, 1856 nach Breslau und 1870 eine direkte Verbindung nach Berlin über Frankfurt/Oder. Dennoch galt P. aus Sicht der deutschen Bevökerung als wenig attraktive Stadt, wozu neben den hohen Lebenshaltungskosten und der extrem dichten Besiedelung des Gebiets innerhalb des inneren Festungsrings auch der hohe polnische Bevölkerungsanteil beitrug.

Ein kulturell-wirtschaftliches Programm zur „Hebung des Deutschtums“ – u. a. Abriss der Festungsanlagen und Eingemeindung von Vororten (1902), die Errichtung der ›Kaiser-Wilhelm-Bibliothek‹ (1902), der als wissenschaftliche Volkshochschule arbeitenden ›Königlichen Akademie‹ (ab 1903 zunächst in angemieteten Räumlichkeiten; in dem ab 1909 genutzten Neubau befinden sich seit 1919 die Aula und das Rektorat der P.er Universität), des ›Kaiser-Friedrich-Museums‹ (1904, das heutige Nationalmuseum) sowie des ›Königlichen Residenzschlosses‹ (1910) – sollte die stetige Abwanderung der deutschen Bevölkerung verhindern. Die „Hebungs“-Maßnahmen prägten zwar das Stadtbild, bewirkten aber keine demographische Trendwende zu Gunsten der Deutschen: Laut der Sprachenstatistik sank der deutsche Bevölkerungsanteil zwischen 1890 und 1910 von 49 auf 41,8 %, der polnische stieg von 50,8 auf 57,1 %. Der Anteil der (überwiegend polnischen) katholischen Bevölkerung stieg in demselben Zeitraum von 57,7 auf 64,1 %, zugleich sank der Anteil der (ganz überwiegend deutschen) evangelischen Bevölkerung von 33,5 auf 32,3 % und der jüdischen Bevölkerung von 8,8 auf 3,6 %.

Im Ergebnis des sog. Großpolnischen Aufstandes nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde P. Teil der Zweiten Polnischen Republik. Der Großteil der deutschen Bevölkerung verließ daraufhin P., 1921 befanden sich unter den 169.400 Einwohnern noch 5,5 % Deutsche. Die deutsche Bevölkerung blieb in allen sozialen Schichten vertreten, Kontakte zur polnischen Bevölkerung bestanden aber kaum. 1931 betrug der Anteil der nicht-polnischen Bevölkerung nur noch 3,4 %, davon rd. 75 % Deutsche, und war damit der niedrigste aller polnischer Großstädte.
Die Zwischenkriegszeit war für P. eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, der sich insbesondere in der mit erheblichen Baumaßnahmen verbundenen „Allgemeinen Landesausstellung“ (Powszechna Wystawa Krajowa) von 1929 manifestierte.

Bereits kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges besetzten deutsche Truppen die Stadt. Bis zur Einnahme durch sowjetische Truppen am 23.2.1945, der zwei Monate andauernde, die Stadt stark zerstörende Kampfhandlungen voraus gingen, starben rd. 8600 Einwohner P.s eines gewaltsamen Todes aufgrund der Kriegsereignisse, nicht eingerechnet die rd. 1500 jüdischen Einwohner P.s, die im Dezember 1939 in das ›Generalgouvernement‹ deportiert und später ermordet wurden. Weitere 38.256 Polen wurden zwischen 1939 und 1944 ebenfalls in das ›Generalgouvernement‹ deportiert und über 60.000 Personen innerhalb der Stadt umgesiedelt. Rd. 20.000 deutsche Umsiedler aus dem Baltikum wurden 1939–1941 in P. (das administrativ zum ›Reichsgau Wartheland‹ – von September 1939 bis Januar 1940 ›Reichsgau Posen‹ – gehörte) angesiedelt, darunter eine Reihe von Dozenten der 1941 gegründeten Reichsuniversität. Im Frühjahr 1944 waren von den 323.747 Einwohnern 28,3 % Deutsche und 71,1 % Polen. Durch den Zuzug weiterer Deutscher aus anderen Gebieten des Reiches und des besetzten Europas stieg die Zahl der in Posen lebenden Deutschen bis 1944 auf rd. 90.000.
Die Stadt war zu dieser Zeit ein wichtiger Standort der deutschen Rüstungsproduktion. Nach Kriegsende waren 55 % aller Gebäude beschädigt sowie 360 Industrieanlagen beschädigt bzw. zerstört und 40 % der Wohnfläche nicht mehr benutzbar. Die deutschsprachige Bevölkerung wurde fast vollständig vertrieben. P. zählte zu den am stärksten zerstörten Städten Polens und wurde in den ersten Nachkriegsjahrzehnten wiederaufgebaut und erweitert.
Gegen die kommunistische Herrschaft entwickelte sich am 28. Juni 1956 aus einem Arbeiterstreik in den 1949–56 Josef-Stalin-Betriebe genannten Cegielski-Werken ein gewaltsamer politischer Protest mit stark antisowjetischer Ausrichtung, der erst durch massiven militärischen Einsatz beendet werden konnte und Dutzende Tote und Hunderte Verletzte forderte. Diese sog. Juni-Ereignisse trugen dazu bei, dass im Oktober 1956 Władysław Gomułka rehabilitiert wurde und an die Spitze der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“ (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza) zurückkehrte.
P. behauptete auch unter den Bedingungen der Planwirtschaft seine Position als eine der führenden polnischen Wirtschaftsmetropolen. Zwischen 1990 und 2001 wurden in P. Investitionen in Höhe von 2,3 Mrd. US-$ getätigt, womit P. im polenweiten Vergleich den zweiten Rang hinter Warschau einnahm.

Jaffé M 1909: Die Stadt Posen unter preußischer Herrschaft. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Ostens. Leipzig. Rhode G. 1953: Geschichte der Stadt Posen. Neuendettelsau. Topolski J. (Hg.) 1988–1998: Dzieje Poznania. 2 Bde. Warszawa.

(Christoph Schutte)


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