Ladogasee

Ladogasee (karel. Luodogu, russ. Ladožskoe ozero), im Nordwesten des europäischen Teils Russlands (Karelien) gelegen.

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Der L. ist der größte Süßwassersee des europäischen Kontinents. Er umfasst eine Fläche von 17.678 km² (mit Inseln 18.135 km²), hat eine Länge von 219 km, eine mittlere Breite von 83 km und eine mittlere Tiefe von 51 m, die größte Tiefe von 230 m wird westlich der Insel Valaam (russ., karel. Valamonsaaret), erreicht. Das Einzugsgebiet des Sees beträgt 258.600 km². Das Becken des L.s ist tektonischer Herkunft. Seine heutige Gestalt erhielt es nach der letzten Eiszeit durch die Fließbewegung von vier Gletschern, durch deren Schmelzwasser auch der L. entstand.

Die Ufer im nördlichen Teil des L.s sind größten Teils hoch, felsig, mit tiefen zerklüfteten, fjordartigen Buchten und bewaldet. Zahlreiche Inseln bilden hier Schären. Die südlichen Ufer sind flach und bilden mit Weiden und Erlen bewachsene Sandstrände und Landzungen. Auf den stellenweise vorhandenen Uferdeichen wachsen Kiefern. Vielerorts weisen die Ufer Anhäufungen von Findlingen auf. Das Relief des nördlichen Seegrunds ist uneinheitlich. Es herrschen sowohl sehr flache Stellen als auch Tiefen von mehr als 100 m vor. Der Grund im südlichen Teil des L.s ist eher eben, es werden Tiefen von 10 m und weniger erreicht, unterbrochen von Untiefen. Im nördlichen und mittleren Teil des Sees ist der Seeboden schlammig, im südlichen Teil dagegen sandig.

Im L. gibt es ca. 660 über einen Hektar große Inseln mit einer Gesamtfläche von 456,6 km². Ungefähr 500 Inseln liegen am nordwestlichen Ufer und 65 im mittleren Teil des Sees (z. B. die Valaam-Insel und der westliche Archipel). Zu den größten Inseln gehören Riekkalansari (russ., karel. Riekkalansaari, 55,3 km²), Mantsinsari (karel. Mantsinsaari, 39,4 km²), Kilʹpola (russ., karel. Kilpola, 32,1 km²) und Tulolansari (russ., karel. Tulolansaari, 30,3 km²).

Das Klima ist gemäßigt kalt. Die mittleren Temperaturen im Februar betragen um die – 9 °C, im Juli ca. 16 °C. Die mittlere Jahresniederschlagsmenge beläuft sich auf 500 mm. In den L. münden ca. 3500 Flüsse mit einer Länge von mehr als 10 km. Die größten Zuflüsse sind im Süden: Volchov, im Südosten: Svirʹ, im Westen: Vuoksa (russ., finn. Vuoksi). 85 % der Einspeisungen in den Wasserkreislauf des Sees (im Jahresmittel 67,8 km³) erfolgt durch diese Flüsse, 13 % durch Niederschläge und 2 % durch den Zufluss von Grundwasser. 92 % davon fließen in die Newa ab, 8 % verdunsten.

Die höchsten Wasserspiegel treten im Juni und Juli auf, die niedrigsten im Dezember und Januar. Die mittlere Jahresschwankungsweite beträgt 0,8 m, absolut ca. 3 m. Die größte Wellenhöhe erreicht ca 3,5 m, während der häufigen Stürme im Herbst sogar bis 5–6 m, in den südlichen Gebieten bis 2,5 m. Im August beträgt die Wassertemperatur an der Oberfläche ungefähr 16°C in den tiefen mittleren und bis 25 °C in den flachen südlichen Gebieten; in den untersten Wasserschichten etwa 2,5 °C im Winter und 5 °C im Sommer. Im Dezember beginnt der See gewöhnlich zuzufrieren. Die mittlere Eisdicke liegt bei 50–60 cm, kann jedoch bis zu 100 cm erreichen. Die zentralen Gebiete des Sees werden bis spätestens Anfang April wieder eisfrei, im Nordosten erst Anfang Mai. Die Farbe des stark mineralhaltigen Wassers ist gelbbraun. Die mittlere Durchsichtigkeit des Wassers im Zentrum des L.s beträgt 3,5 m, an den westlichen Ufern ca. 2,5 m, im Osten 1–2 m, in Flussmündungen nur 0,3–0,9 m; die größte – westlich der Insel Valaam – beläuft sich auf 3–5 m. Der Sauerstoffgehalt des Sees variiert zwischen 10–15 mg/l. Der See ist äußerst fischreich. Wirtschaftlich bedeutsam sind: Aal, Barsch, Brasse, Forelle, Hecht, Lachs, Plötze, Renke, Stint und Stör. Man trifft auch Robben an.

Der L. ist schiffbar und gehört zum System des Wolga-Ostsee-Wasserstraßen-Netzes. Von Svirʹ bis Newa verläuft am Südufer des Sees der Novaja-Ladoga-Kanals (russ. Novoladožskij kanal). Wichtige am L. gelegene Städte sind: Šlisselʹburg, Priozërsk, Novaja Ladoga und Sortavala.

2 Kulturgeschichte

Das Gebiet um den L. ist seit etwa 8000 Jahren besiedelt. Archäologische Zeugnisse aus dieser Zeit sind jedoch kaum überliefert. Die Karelier bzw. eine urkarelische Bevölkerung sind erst in die nachchristlichen Jahrhunderte zu datieren. Die erforschten karelischen Siedlungsplätze am L. stammen überwiegend aus dem 12.–15. Jh. Die erste aus dem 12. Jh. überlieferte Bezeichnung des Sees lautet ›Nevo‹. Sie stammt aus dem Karelischen und bedeutet „See“. Das seit dem 13. Jh. überlieferte Hydronym Ladoga ist vom Städtenamen Ladoga (heute: Staraja Ladoga) abgeleitet und zeugt von der wirtschaftlichen und politischen Rolle dieser Stadt. Im Mittelalter führte über den L. einer der wichtigsten Handels- und Verkehrswege im östlichen Europa, der sog. Weg der Waräger zu den Griechen, entweder über Volchov, Lovatʹ, Düna und Dnjepr oder über Svirʹ, Wolga und Don zum Schwarzen Meer.

Die ersten Niederlassungen der Waräger in der Rus stammen aus dem 9. Jh. und befanden sich am L. Seit dem 12. Jh. rangen das schwedische Königreich und die Stadtrepublik Novgorod um die Vormacht in Karelien, das 1323 durch den Vertrag von Nöteborg (heute russ. Šlisselʹburg) geteilt wurde. Das Gebiet des L.s fiel in den Novgoroder Einflussbereich.

Im sog. Livländischen Krieg 1558–83 geriet der L. in die Auseinandersetzung der Großmächte Schweden und Russland um den freien Zugang zur Ostsee. Am Beginn des 17. Jh. wurden die westlichen, südlichen und nördlichen Ufer des Sees von den Schweden besetzt (Friede von Stolbova 1617). Im russisch–schwedischen Krieg 1656–61 fanden auf dem See Kampfhandlungen statt, als die Russen Kexholm (heute russ. Priozërsk) belagerten. Erst im Nordischen Krieg (1700–21) gelang es den Russen unter Peter dem Großen, die Schweden von den Ufern des Sees zu verdrängen und damit wieder Zugang zur Ostsee zu erlangen, der durch die Gründung von St. Petersburg (1703) gesichert werden konnte. Im Frieden von Åbo (schwed., finn. Turku) 1743 musste Schweden seine karelischen Besitzungen an Russland abtreten. Mit der Unabhängigkeitserklärung Finnlands geriet nach 1918 die nördliche Hälfte des Sees unter finnische Oberhoheit. Nach dem Sowjetisch–Finnischen Krieg 1939/40 fiel ganz Karelien einschließlich des Sees an die Sowjetunion. Das im Zweiten Weltkrieg für 900 Tage belagerte Leningrad (heute St. Petersburg) wurde im Winter über den zugefrorenen L. durch die „Straße des Lebens“ (russ. doroga žizni) und eine 1942 auf dem Grund des Sees errichtete Unterwasserpipeline (russ. ladožskij truboprovod) versorgt.

Die ökologische Situation der Region um den L. ist angespannt. Die Hauptquellen der Verschmutzung bilden metallurgische, chemische und Bergbaubetriebe. Zelluloseindustrie und Landwirtschaft belasten außerdem die Wasserqualität. Trotz dieser Probleme stellt der L. und besonders die in ihm gelegene Insel Valaam mit ihrem Kloster eine touristische Attraktion dar. Von St. Petersburg aus finden regelmäßig Exkursionen per Schiff zu See und Insel statt.

Domanickij A. P., Dubrovina R. G., Isaeva A. I. 1971: Reki i ozera Sovetskogo Sojuza, Leningrad.
http://www.oval.ru/cgi-bin/enc.cgi/38971.html [Stand 5.11.2004]. http://www.laatokka.info/Text/text_ladoga/ecology.htm [Stand 5.11.2004].

(Olaf Haselhorst)


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