Serbisches Reich

Serbien (Serbisches Reich)

Die erste urkundliche Erwähnung der Serben stammt aus dem Jahr 822: In den Fränkischen Reichsannalen werden die Sorabi (latein.) als ein Volk bezeichnet, das einen Großteil Dalmatiens besiedelt. Die Herrschaftsbildung der serbischen Stämme erfolgte verhältnismäßig spät mit einem küstenländischen (serb. Duklja/Zeta; heute südliches Montenegro und nördliches Albanien) und einem binnenländischen Zentrum (serb. Raška). In seiner berühmten, De administrando imperio genannten Schrift erwähnt der byzantinische Kaiser Kōnstantinos VII. Porphyrogennētos u. a. Višeslav, den ältesten namentlich bekannten Herrscher von Raška aus der zweiten Hälfte des 8. Jh. Nach wechselnder Abhängigkeit von Byzanz, Bulgarien und Kroatien gelang es Fürst Stefan Vojislav Mitte des 11. Jh., Zeta und die benachbarten serbischen Stämme unter seiner Herrschaft zu einen.

Sein Sohn und Nachfolger Mihailo knüpfte Kontakte zur römischen Kurie und dürfte um 1077 von Papst Gregor VII. die Königskrone erhalten haben. Anfang des 12. Jh. zerfiel das von Zeta ausgehende Einigungswerk aufgrund dynastischer Streitigkeiten wieder. Der zweite und schließlich erfolgreiche Versuch der Schaffung eines serbischen Reiches ging von Raška aus. Groß-Župan (serb. veliki župan) Stefan Nemanja kündigte 1166/67 dem byzantinischen Kaiser Manouēl I. Komnēnos den Gehorsam auf. Diesem gelang es allerdings 1172, das Abhängigkeitsverhältnis wiederherzustellen.

Erst der nach dem Tod des Kaisers 1180 einsetzende Niedergang des Byzantinischen Reichs, der 1204 in die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer mündete, gab den serbischen Herrschern genug Spielraum, sich dem byzantinischen Einfluss zu entziehen. Stefan Nemanja stieg zur dominierenden Persönlichkeit auf, bis er sich 1196 von den Regierungsgeschäften zurückzog und Mönch wurde. Sein Sohn Stefan Prvovenčani folgte ihm als Groß-Župan von Raška nach; 1217 erhielt er von Papst Honorius III. die Königskrone.

Der als hl. Sava bekannte jüngere Sohn Nemanjas, ein orthodoxer Mönch, missbilligte diese – mit Zugeständnissen an die römisch-katholische Kirche verbundene – Krönung. Später einigten sich die Brüder darauf, sich weiteren kirchenrechtlichen Forderungen Roms zu verweigern. 1219 erreichte Sava nach Verhandlungen mit dem griechischen Patriarchen von Byzanz die Abtrennung der serbisch-orthodoxen Kirche vom Erzbistum Ochrid und deren Anerkennung als autokephale Kirche. Sava wurde zum ersten serbischen Erzbischof geweiht. Dieser Akt war in mehrfacher Hinsicht bedeutend.

S. gewann die kirchliche Unabhängigkeit, womit es endgültig zu einer den Nachbarstaaten ebenbürtigen Macht aufstieg. Darüber hinaus verhalf die enge Verflechtung von weltlicher und geistlicher Autorität – personifiziert durch das Brüderpaar Stefan und Sava – dem jungen „Staat“ auch zu politischer Stabilität.

Die Dynastie der Nemanjiden (serb. Nemanjići) stiftete zahlreiche Sakralbauten, die – wie die Klöster von Studenica, Peć (serb., alban. Pejë), Mileševo, Sopoćani, Visoki Dečani (serb., alban. Deçan) und Gračanica (serb., alban. Graçanicë) – zu den bedeutendsten Stätten orthodoxer Kunst zählen.

Die Erhebung des Kirchenslawischen zur Liturgiesprache wiederum begründete eine reiche serbisch-kirchenslawische literarische Tradition, zu deren Höhepunkten die von Sava verfasste Vita Stefan Nemanjas gehört.

Der endgültige Aufstieg zur regionalen Großmacht gelang S. unter Stefan Uroš III. Dečanski nach dem Sieg über die Bulgaren bei Velbuzd (bulg. Velbăžd, heute Kjustendil) 1330 und der darauf folgenden Annexion Bulgariens. Unter Uroš’ Sohn Stefan IV. Dušan entstand in mehreren Eroberungszügen, die S. die dalmatinische Küste, den Großteil Albaniens, Epirus, Makedonien, Teile Mittelgriechenlands und den Norden bis Belgrad einbrachten, das sog. Großserbische Reich. Am 16.4.1346 ließ sich Dušan in Skopje zum „Zaren der Serben und Griechen“ krönen. Zu seinen bedeutendsten innenpolitischen Leistungen zählt die Erstellung einer umfassenden Gesetzessammlung (serb. Zakonik). Das „Großserbische Reich“ überdauerte seinen Begründer allerdings nicht; nach Dušans Tod 1355 führten die Partikularinteressen des serbischen Hochadels zum Zerfall des Staates und zur Entstehung lokaler Herrschaften auf dem gesamten früheren Reichsgebiet.

Mit dem Tod von Zar Stefan Uroš V. 1371 erlosch die Dynastie der Nemanjiden. Die zweite Hälfte des 14. Jh. stand im Zeichen der Eroberung weiter Teile der Balkanhalbinsel durch die Osmanen. Von einschneidender Bedeutung war der osmanische Sieg in der Schlacht am Fluß Marica 1371 und nicht – wie es die serbischen Legenden überliefern – der Ausgang der Schlacht auf dem Amselfeld (serb. Kosovo polje) 1389. Im Gegensatz zu den Osmanen schaffte es der zerstrittene serbische Adel danach nicht, wieder ein starkes Heer aufzubauen. Stefan Lazarević konnte sich ein eigenes Herrschaftsgebiet (Despotat) unter osmanischer Oberherrschaft sichern. Mit dem Fall von Smederevo am 20.6.1459 an die Osmanen verschwand auch dieses letzte mittelalterliche serbische Fürstentum.

Bataković D., Fotić A., Protić M. St., Samardžić N. 2000: Nova istorija srpskog naroda. Beograd. Ćorović V. 2000: Istorija Srba, Niš. Srejović D. 1994: Istorija srpskog naroda 1. Beograd.

(Martin Prochazka)

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