Debrecen
Debrecen (ungar., dt. hist. Debreczin, Debrezin, rumän. Dobreţin).
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1 Geographie
Die Stadt D. liegt rund 230 km von Budapest und 50 km von der rumänischen Grenze entfernt im äußersten Osten der Großen Ungarischen Tiefebene im Komitat Hajdú-Bihar, dessen Verwaltungssitz D. auch ist. 2002 zählte die 121 m ü. d. M. liegende Stadt 207.308 Einwohner und war damit die zweitgrößte Stadt Ungarns, im Großraum D. leben zusätzlich noch rund 150.000 Menschen.
Das an der Grenze der Regionen Nyírség und Hajdúság gelegene D., dessen Stadtgebiet sich über 461,6 km² erstreckt, ist das wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zentrum Ostungarns. Über die Hauptverkehrsstraße Nr. 4 und seit 2006 über die Autobahnen M3 und M35 mit Budapest verbunden, ist D. auch ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und besitzt seit 1991 einen eigenen regionalen Flughafen.
Ursprünglich war die Stadt v. a. ein Zentrum der Lebensmittelverarbeitung, heute werden u. a. landwirtschaftliche Maschinen, Kugellager, medizinische Geräte und Baustoffe gefertigt. D. ist weiters ein Zentrum der pharmazeutischen Industrie, der Konserven-, Molkerei- und Fleischindustrie, der ungarischen Tabakindustrie und verfügt über mehrere Textil- und Möbelherstellungsbetriebe. Im unmittelbaren Stadtbereich befinden sich 216 Industriebetriebe mit ca. 26.000 Beschäftigten (2004). <div align="Debrecen#top|Anfang]]</div>
2 Kulturgeschichte
Der Raum von D. war seit dem frühen Neolithikum laufend besiedelt: vor der Landnahme der Ungarn von Vandalen, Goten, Sarmaten, Gepiden, slawisierten Awaren und Slawen. D. wurde erstmals 1235 als Debreczun urkundlich erwähnt, doch gibt es Spuren früherer fester Besiedlung. Der Name der Stadt leitet sich vermutlich vom slawischen Begriff ›dobre zljiem‹ („gute Erde“) ab, möglicherweise aber auch vom türkischen Wort ›debresin‹. Zuerst im Besitz der Familie Debreceni, wurde D. im Laufe des 14. Jh. zum Verwaltungs- und Gerichtszentrum der Region. Es wurden die Vorläuferin der heutigen Großen Stadtkirche, die St. Andreas-Kirche und einige andere Kirchen errichtet. 1322 wurde ein Franziskanerkloster gegründet. In der ersten Hälfte des 14. Jh. erhielt D. das Marktrecht und wird 1361 unter Lajos I. in den Rang eines ›oppidum‹ (ungar. mezőváros) erhoben. Ab 1404 befindet sich D. in königlichem Besitz, unter Sigismund von Luxemburg erhält es dieselben Privilegien wie Buda. Er erteilt das Recht auf die Abhaltung von landesweiten Messen und verfügt die Zollfreiheit (1411). Danach befindet sich die Stadt einige Zeit im Lehensbesitz der Familie Hunyadi (1450–1507), 1477 erhält D. von Matthias I. Corvinus das Stapelrecht, womit der Handel eine größere Bedeutung für die Entwicklung der Stadt erhält. Unter der osmanischen Besetzung Ungarns, an der Grenze zwischen dem besetzten und dem königlichen Ungarn bzw. dem tributpflichtigen Siebenbürgen gelegen, konnte D. gegen die Entrichtung von Steuern und Tributen an den türkischen Sultan und den Fürsten von Siebenbürgen bzw. bis 1604 auch an die kaiserliche Schatzkammer eine gewisse Sonderstellung bewahren und wird so zu einem aufblühenden und bedeutenden Viehumschlagplatz. Gerade dieser besonderen historischen Entwicklung wird die traditionelle Offenheit, Kompromiss- und Innovationsfähigkeit der Bürger von D. zugeschrieben, die sich stolz bis heute als ›cives‹ bezeichnen.
1536 traten die Bürger der Stadt geschlossen zum kalvinistischen Glauben über. Damit wurde D. zum Zentrum der ungarischen Reformation, was sich bis heute in der Bezeichnung „Kalvinistisches Rom“ für D. niederschlägt. 1552–1716 war die katholische Kirche in der Stadt nicht vertreten. 1538 wurde das reformierte Kolleg („Református Kollégium“) gegründet, weiters begann D. ein weit verzweigtes Schul- und Bildungsnetz aufzubauen. 1561 wurde eine Druckerei gegründet: Mit der ›Alföldi Nyomda‹ ist D. bis heute das Druckereizentrum Ostungarns. 1693 verlieh König Leopold I. der Stadt den Titel einer freien Königsstadt.
Im Laufe des Rákóczi-Aufstandes mehrmals belagert, erobert und geplündert und nach dem Frieden von Szatmár (1711) im Brennpunkt der habsburgischen Gegenreformation stehend, erlitten Handel und Zunftwesen der Stadt einen schweren Rückschlag. Die Rückkehr der katholischen Geistlichkeit wurde in der Folge etwa durch den Bau des Münsters St. Anna durch die Piaristen verdeutlicht. Nach den Feuersbrünsten von 1803 und 1811 begann der Aufbau einer urbanen Infrastruktur, zahlreiche Aus- und Umbauten (Große Stadtkirche, Kolleg, Rathaus) wurden durchgeführt.
Im Jänner 1849 wurde D. zum Sitz der revolutionären Regierung, des Landesverteidigungsrates (Országos Honvédelmi Bizottmány) und der Nationalversammlung (Országgyűlés), und damit zur provisorischen Hauptstadt Ungarns. Am 14.04.1849 erfolgten in der Großen Stadtkirche die Unabhängigkeitserklärung Ungarns, die Absetzung der Habsburger und die Wahl Lajos Kossuths zum Reichsverweser Ungarns. Eine der letzten großen Schlachten des ungarischen Freiheitskampfes 1848/49 fand ebenfalls im Raum D. statt. Nach der Niederschlagung der Revolution folgte der Beginn der Industrialisierung, es kam zur Einrichtung einer landwirtschaftlichen Hochschule, zum Aufbau von Mühlen, der Gas- und Zuckerfabrik, der Ziegeleien und der Eisenbahnwerkstätten. 1865 erfolgte die Fertigstellung des Stadttheaters (Csokonai Színház). 1876 wurde D. zur Hauptstadt des Komitats Hajdú. 1884 wurde eine Dampfstraßenbahn in Betrieb genommen, die 1911 elektrifiziert wurde.
1919 wurde D. vorübergehend von rumänischen Truppen besetzt. 1941 lebten im Sinne der ungarischen „Judengesetze“ 9142 Juden in D., im Mai 1944 wurden sie – gemeinsam mit den Juden der umliegenden Siedlungen – gettoisiert, deportiert und der Großteil ermordet. In den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges kurzfristig Kriegsschauplatz, wurde die Stadt am 19.10.1944 befreit und zur provisorischen Hauptstadt der befreiten Teile Ungarns erklärt. Am 21.12.1944 wurde hier die provisorische Nationalversammlung zusammengerufen, die einen Tag darauf eine provisorische Regierung wählte. 1954 erhielt die Stadt das Komitatsrecht.
Die wichtigsten Wahrzeichen der Stadt sind die klassizistische reformierte Große Stadtkirche (1805–23), das katholische St. Annenmünster (1721–46), die reformierte kleine Stadtkirche (1719–25) das klassizistische Rathaus (1842/43), das Komitatshaus (1911/12) sowie das älteste noch heute in Betrieb befindliche Hotel Ungarns, ›Arany Bika‹, dessen Jugendstilgebäude 1915 errichtet wurde.
D. ist eines der wichtigsten Ausbildungszentren Ungarns und verfügt über mehrere Hochschulen und acht Gymnasien sowie zahlreiche Fachmittelschulen. Die drei traditionsreichen D.er Universitäten, ›Kossuth Lajos Tudományegyetem‹ (1912) für Philosophie und Recht, „Debreceni Orvostudományi Egyetem‹ (1912) für Medizin und ›Debreceni Agrártudományi Egyetem‹ für Agrarwissenschaften (1868) wurden im Jahr 2000 unter der Bezeichnung ›Debreceni Egyetem‹ zusammengefasst. Diese Universität hat insgesamt ca. 26.000 Hörer und 13 Fakultäten sowie zwei Studienzentren. Wichtigstes Naherholungsgebiet der Stadt ist der sog. „Große Wald“ (Nagyerdő) mit Zoo, Vergnügungspark, Strand- und Heilbad und Botanischem Garten.
Hapák J., Módy Gy., Takács B. 1994 (Hg.): Debrecen. Die Civeswelt 1693–1993. Debrecen. Takács B. 1991: Debrecen. Calvinist Great Church. Budapest.