Staats- und Amtssprachen

Staats- und Amtssprachen

Inhaltsverzeichnis

1 Definition

Mit dem politischen Wandel im östlichen Europa haben sich auch sprachpolitische Veränderungen ergeben: die Zahl der Sprachen mit amtlichem Status nahm von 14 im Jahre 1989 auf 33 (einschließlich der regionalen A.) im Jahre 2005 zu.
Terminologisch gilt es zwischen einer S. mit gesamtstaatlicher Reichweite und einer A. mit regional begrenztem Radius oder funktional-selektivem Geltungsbereich zu unterscheiden. Im östlichen Europa haben alle Staaten eine multiethnische Bevölkerung und ihre Gesellschaften sind multilingual. In allen Ländern sind sowohl A.n als auch S.n vertreten. Wie die amtliche Sprachregelung die reale Sprachenvielfalt widerspiegelt, ist bedingt durch die Geschichte des jeweiligen Landes. Im östlichen Europa sind folgende Ausprägungen auszumachen:

2 Varianten

2.1 Staatssprachen mit exklusivem Status

Die Sprachenregelungen in Nationalstaaten wie Griechenland, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien ähneln sich insofern, als dass hier die Nationalsprachen den Status von S.n besitzen, und es keine anderen Sprachen mit amtlichen Funktionen gibt. S.n mit exklusivem Status dominieren den Sprachgebrauch im öffentlichen Leben sowohl in mündlicher als auch schriftlicher Form, von Parlamentsdebatten bis hin zur Beschilderung von Straßen. Die S. ist exklusives Medium des Ausbildungssystems, der Gesetzgebung und des Gerichtswesens.

2.2 Staatssprachen im Verbund mit regionalen Amtssprachen

In der Ukraine, Slowenien, Österreich, Makedonien, Serbien und Montenegro (Kosovo mit albanischer und serbischer A. unter UN-Mandat mit Sonderstatus) sowie Russland existieren neben den jeweiligen S.n mit landesweiter Geltung lokale A.n. In der Ukraine fungiert landesweit das Ukrainische als S. Die Krim besitzt als autonome Region einen Sonderstatus. Hier werden drei A.n verwendet: Ukrainisch, Krimtatarisch und Russisch.
Faktisch überwiegt das Russische wegen seiner Funktion während der „Sowjetära“, als viele Russen im Dienst der sowjetischen Schwarzmeerflotte mit ihren Familien auf die Krim übersiedelten.
Ähnliche Verhältnisse gelten für Slowenien mit slowenischer S. und dem Italienischen sowie Ungarischen mit Funktionen in der Schulausbildung und als Arbeitssprachen der Gemeindeverwaltung. In Österreich fungieren das Kroatische (burgenlandkroatische Variante), Slowenische, Ungarische mit lokal begrenzten amtlichen Funktionen als A.n bei sonstiger landesweiter Geltung des Deutschen als S. In Makedonien mit der makedonischen S. besitzt das Albanische Sonderstatus als A. in dem von Albanern besiedelten westlichen und nordwestlichen Landesteil.

Während der Sowjetzeit wurde das Russische als „All-Unions-Sprache“ (russ. vsesojuznyj jazyk) bezeichnet und seine Egalität mit den anderen Sowjetsprachen hervorgehoben. Der Status des Russischen als S. wurde gegen Ende der Sowjetära (1990) verfassungsmäßig verankert. Innerhalb der Grenzen des modernen Russland leben mehr als 120 Völker, das Russische hat Geltung in allen Republiken und Autonomen Bezirken Russlands, wobei es dort oft noch eine weitere A. gibt. Im europäischen Teil gibt es den Autonomen Bezirk der Nenzen im äußersten Nordwesten und der Komi-Permaken im Gebiet Perm.
Der Amtsverkehr ist nominell und faktisch zweisprachig in den Republiken Tatarstan (Russisch, Tatarisch), Komi (Russisch, Syrjänisch), Kalmückien (Russisch, Kalmückisch), Baschkirien (Russisch, Baschkirisch), Mordowien (Russisch, Mordwinisch), Mari El (Russisch, Mari), Burjatien (Russisch, Burjatisch) u. a. Die terminologische Unterscheidung zwischen der S. Russisch und den A.n wird dadurch erschwert, dass sich › gosudarstvennyj jazyk ‹ (russ., dt. „staatliche“ Sprache) auf beide Begriffe bezieht. Eine Differenzierung wird durch das Attribut ›vtoroj‹ (russ., dt. „zweite“) möglich, das mit den regionalen A.n assoziiert wird (z. B. Mari als ›vtoroj gosudarstvennyj jazyk‹ –„zweite amtliche Sprache“. In vielen Regionen, die als Republiken innerhalb der Russischen Föderation nominell autonom sind, dominiert das Russische und wenig gesprochene Sprachen besitzen lediglich nominell amtlichen Status.

In fünf anderen Republiken ist die amtliche Zweisprachigkeit entweder nicht endgültig geregelt oder es ist zu lokalen sprachpolitischen Regelungen gekommen. So existiert z. B. bis heute (9/2005) in der Republik Udmurtien keine Einigkeit, wie eine amtliche Zweisprachigkeit geregelt werden soll. In der Republik Karelien ist seit März 2004 das Russische A.e und das Karelische eine anerkannte Minderheitensprache. Letzteres wird somit in der Schule und in den Medien, nicht aber in amtlichen Funktionen gefördert.

2.3 Staatlicher Bilingualismus mit der Verwendung zweier Amtssprachen

In Finnland wirken das Finnische und das Schwedische als nominell gleichrangige A.n des Landes, obwohl 94 % der Bevölkerung Finnen sind. Vom Mittelalter bis 1917 fungierte das Schwedische als A.e, das Finnische erlebte seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. seine sprachpolitische Emanzipation. Gemeinden sind entweder einsprachig finnisch (die große Mehrheit), einsprachig schwedisch (einige wenige an der Süd- und Westküste) oder zweisprachig. Im Zehn-Jahres-Rhythmus wird im Rahmen der Volkszählung die Sprachverteilung in den einzelnen Gemeinden festgestellt. Seit 1991 besitzt das Saamische (in drei Varianten) den Status einer fakultativen regionalen A.e in der finnischen Provinz Lappi (Lappland).
In Bosnien und Herzegowina haben drei Sprachen gleichrangigen Status als S., das Bosnische, Kroatische und Serbische. Diese fungieren als amtliche Medien jeweils in dem Landesteil, der administrativ für die betreffende lokale Bevölkerung mit bosnischer bzw. kroatischer bzw. serbischer Muttersprache eingerichtet worden ist. Es gibt keine übergreifende S. für alle Landesteile.

Die anderen Fälle staatlicher Zweisprachigkeit im östlichen Europa weisen auf Sonderentwicklungen hin. Seit 1995 ist Weißrussland amtlich zweisprachig. Durch das Referendum über den Status des Russischen im Land wurden sprachpolitische Verhältnisse geschaffen, die in keinem anderen Land eine Parallele finden. Nominell fungieren Weißrussisch und Russisch als A.n. Faktisch dominiert das Russische in allen Bereichen.

Die Situation in der Republik Moldau weicht aufgrund des ungelösten Transnistrien-Konflikts von den anderen Fällen staatlicher Zweisprachigkeit ab. Offiziell ist das Land einsprachig. Als S. ist in der Verfassung von 1993 das Moldauische ›limba moldoveneasca‹ genannt.
Transnistrien ist nominell ein Teil der Republik Moldau, es wird aber faktisch – unabhängig vom Rest der Moldau – von der russischen Lokalbevölkerung regiert.
Obwohl im amtlichen Sprachgebrauch Transnistriens drei Sprachen gestattet sind (Moldauisch, Russisch, Ukrainisch), ist dort faktisch Russisch die dominante A. Somit gibt es auf dem Territorium der Republik Moldau drei amtliche Medien mit territorial getrennter Geltung.

Die sprachpolitische Landschaft Osteuropas steht bis heute im permanenten Wandel. Die Unterschiede zwischen nominellem und faktischem Status regionaler A. in ihrem Verhältnis zu S. sind noch längst nicht in allen Regionen ausbalanciert. Hinzu kommen ungelöste Probleme wie die Rolle von Sprachen, die in bestimmten Ländern eine historische Bedeutung haben, allerdings keinen amtlichen Status besitzen, wie das Polnische in Weißrussland, das Weißrussische in der Ukraine oder das Ungarische in Rumänien. Die Erweiterung der Europäischen Union und die Aufnahme weiterer Staaten wird in den kommenden Jahren die sprachpolitische Entwicklung in Osteuropa entscheidend mitbestimmen.

Haarmann H. (2001): Babylonische Welt. Geschichte und Zukunft der Sprachen. Frankfurt a. M. Ders. (2002): Sprachen-Almanach. Zahlen und Fakten zu allen Sprachen der Welt. Frankfurt a. M.

(Harald Haarmann)


Views
bmu:kk