Liepāja

Liepāja (lett., dt. hist. Libau, jidd. Libave, 1609–1795 auch poln. Lipawa, bis 1917 auch russ. Libava).


Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

L. ist eine 85.915 (2005) Einwohner zählende Hafenstadt im äußersten Westen Lettlands (historische Region Kurland), mit fast ganzjährig eisfreiem Zugang zur Ostsee. Sie bildet eine eigenständige Verwaltungseinheit und ist gleichzeitig Hauptstadt des gleichnamigen Landkreises und heute die drittgrößte Stadt des Landes. L. erstreckt sich über 60 km² und liegt auf einer Höhe von 7 m ü. d. M. In der Stadt überwiegt knapp die lettische Bevölkerung (51,4 %). Die größten Minderheitsgruppen bilden Russen (33,4 %), Ukrainer (5,4 %), Weißrussen (3,7 %), Litauer (3,1 %) und Polen mit 1,2 % (2004). Im 3593 km² großen Landkreis L. liegt der Anteil der Letten deutlich höher (87,8 %) daneben wird er v. a. von Litauern (5,8 %), Russen (3,4 %) und Ukrainern (1,3 %) bewohnt. Lediglich 31,3 % der Bevölkerung des Kreises wohnt in Städten, von denen nur Aizpute über 5000 Einwohner zählt. Die mittlere Temperatur im Januar beträgt -3 °C, im Juli 16,4 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt durchschnittlich 690 mm.

L. besitzt einen internationalen Flughafen, ist Sitz einer pädagogischen Hochschule und der derzeit zweitwichtigsten Kunstschule Lettlands (Liepājas Lietišķās mākslas koledža), eines Symphonieorchesters und eines Theaters. L. ist Austragungsort des jährlich stattfindenden bekanntesten lettischen Rockfestivals „Lettischer Bernstein“ (Liepājas dzintars) und des klassischen ›International Piano Stars Festival‹ (Pianisma zvaigžņu festivāls).

2 Kulturgeschichte

L. entstand auf einer Nehrung zwischen der Ostsee und dem Libauer See (Liepājas ezers) und geht auf ein livisches Fischerdorf zurück, das erstmals 1253 als ›Liiva dorp‹ („Sand-Dorf“) in einer Besitzurkunde des kurländischen Bistums genannt wird. Um diese Zeit zogen die ersten deutschen Siedler zu. Ab ca. 1300 gehörte L. zum Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens. Sandanschwemmungen vor der Küste bildeten einen natürlichen Hafen, der allerdings allmählich versandete.

1560 gelangte der ›Libawe‹ genannte Ort an Preußen, 1609 an das unter polnischer Lehnsherrschaft stehende Herzogtum Kurland. In dieser Zeit entstanden auch eine Kaufmanns- und eine Handwerksgilde. 1625 erhielt L. Rigisches Stadtrecht und damit weitreichende Selbstverwaltungsrechte, die jedoch – ebenso wie das Handelsprivileg – nur für das deutsche Stadtbürgertum galten. Ausgeführt wurden v. a. landwirtschaftliche Güter aus dem Umland L.s, eingeführt wurden Kolonialwaren, insbesondere Luxusgüter für den herzoglichen Hof.

Mit dem Bau eines neuen Hafens 1697–1703 wurde L. zur wichtigsten kurländischen Handelsstadt, nur kurzzeitig beeinträchtigt durch die schwedische Besatzung während des Nordischen Krieges 1700–21. Der Bevölkerungsverlust infolge der Pest von 1710 wurde durch die Einwanderung deutscher Siedler, v. a. aus Norddeutschland und Ostpreußen, ausgeglichen. Juden war die Ansiedlung noch bis 1799 verboten. Der Wohlstand L.s wird insbesondere in einer das Stadtbild bis heute prägenden Bautätigkeit deutlich. 1697 entstand der künstlerisch bemerkenswerte Holzaltar (Nikolaus Söffrens) in der barocken St. Annenkirche und im 18. Jh. die Hl.-Dreifaltigkeitskirche mit der damals größten Orgel Europas. Neben den Kirchen sind das Speicherviertel und zahlreiche sehenswerte Wohnhäuser aus dieser Zeit erhalten geblieben.

1795 wurde das Herzogtum aufgelöst und Kurland eine Provinz Russlands, 1877 wurde die russische Städteordnung eingeführt, die das deutsche Stadtbürgertum weiterhin begünstigte. Mit der Industrialisierung der russischen Ostseeprovinzen im letzten Drittel des 19. Jh. – einschließlich der Hafenerweiterung ab 1861 und des Anschlusses an das russische Eisenbahnnetz 1876 – erlebte L. eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte, die mit einem starkem Bevölkerungswachstum und territorialer Erweiterung einherging und v. a. von dem nach wie vor bedeutenden – wenngleich durch den Zuzug jüdischer, lettischer, litauischer und polnischer Bevölkerung abnehmenden – deutschen Bevölkerungsanteil (1897 ca. 16.000 Deutsche von insgesamt 64.489 Einwohnern) ausging. L. wurde zum industriellen Zentrum Kurlands (insbesondere im Bereich der Metallverarbeitung) und war der wichtigste Getreideexporthafen des Russischen Reiches, daneben auch dessen größter Auswanderungshafen mit direkter Schiffsverbindung in die USA. Gleichzeitig wurde L., von seinen breiten Sandstränden profitierend, Ende des 19. Jh. Kurstadt. Zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. wurde nördlich der Stadt ein russischer Militärhafen (Karosta) errichtet, dessen Befestigungen, Bunker und orthodoxe Kathedrale heute auch besichtigt werden können.

Im Ersten Weltkrieg besetzten deutsche Truppen die Stadt. 1918/19 war L. kurzzeitig Sitz der lettischen Interimsregierung. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt schwer zerstört, in der deutschen Besatzungszeit (1941–45) fiel nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung (ca. 7000) dem Holocaust zum Opfer. Der militärisch wichtige Hafen diente ab Januar 1945 auch der Evakuierung der baltendeutschen Bevölkerung.

Nach 1945 war L. Industriestadt und seit 1967 nur noch Militärhafen (ca. 26.000 der Einwohner waren Militärangehörige), eine auch für Inländer „geschlossene Stadt“. Seit der Unabhängigkeit Lettlands 1991 und dem Abzug der russischen Truppen 1994 entwickelte sich L. zu einer modernen Hafenstadt. 1997 wurde L. für 20 Jahre zu einer ›Sonderwirtschaftszone‹ erklärt. Der Warenumschlag des 1991 wiedereröffneten Handelshafens beträgt gegenwärtig 4500 t im Jahr. Die modernen Teile des Militärhafens sind heute Stützpunkt der lettischen Flotte und der NATO.

Enciklopēdija Latvijas Pilsetas. Rīga 1999, 256-79. http://www.libau-kurland-baltikum.de/Libau_Geschichte/libau_geschichte.html [Stand 12.9.2005]. http://www.liepaja.lv/en/liepaja/ [Stand 12.9.2005]. http://www.liepaja.org/index.cfm [Stand 12.9.2005]. http://www.rumbula.org/liepaja_holocaust_jewish.htm [12.9.2005].

(Indira Dupuis)

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