ʿAbbāsiden

ʿAbbāsiden (Abbasiden)

Die A. waren die zweite islamische Kalifendynastie und herrschten von 750–1258. Sie benannten sich nach dem Prophetenonkel al-ʿAbbās und kamen nach dem dritten Bürgerkrieg der islamischen Geschichte (747 – 49/50) an die Macht. Die A. zogen ihre Legitimation zunächst aus der Verwandtschaft mit der Sippe des Propheten (Banū Hāšim); ihren Aufstieg verdankten sie jedoch auch der Unzufriedenheit der Bevölkerung Irans und Mesopotamiens mit der Herrschaft der ʿUmayyaden (arab. Banū ʿUmayya). Unter den ʿUmayyaden waren Nichtaraber als Bürger zweiter Klasse angesehen worden und blieben daher von Staatsämtern weitestgehend ausgeschlossen, außer wenn sie sich als „mawālī (Schutzbefohlene)“ von einem arabischen Stamm gewissermaßen adoptieren ließen. Ungleiche Behandlung hinsichtlich der Steuern und Abgaben tat ein Übriges, die ʿUmayyaden der Bevölkerung zu entfremden.

Nach einer intensiven Propagandakampgage im Nordosten der islamischen Welt und einem Massaker (749), bei dem bis auf einen überlebenden Prinzen, dem die Flucht ins muslimische Spanien (arab. Al-Andalus) gelang, sämtliche Mitglieder der ʿUmayyadendynastie ausgerottet wurden, wurde der Abbaside Abū-l-ʿAbbās (749–54) im November 749 zum Kalifen proklamiert.

Sein Bruder und Nachfolger Abū Ǧaʾfar al-Manṣūr (754–75) verlegte die Hauptstadt von Damaskus in das 762 neu gegründete Bagdad. Dieser Umzug verlegte das Zentrum der islamischen Welt nach Osten und war gewissermaßen symbolisch für die Einbeziehung neuer, nichtarabischer Gruppen, in die Eliten. Wegen der starken Bevorzugung der arabischen Bevölkerungselemente wird das ʿumayyadische Reich auch das „arabische“ Reich genannt und mit dem „islamischen“, also weitaus integrativer vorgehenden, A.reich kontrastiert. Beamte iranischer Herkunft begannen bald eine vorherrschende Rolle zu spielen, während das Militär zunehmend von Türken dominiert wurde.

Exemplarisch für den rapiden Aufstieg iranischer Beamter waren die Barmakiden (arab. al-Barāmika, pers. Barmakiyān), eine vom Buddhismus zum Islam konvertierte iranische Aristokratenfamilie, die zwischen 775 und 803 stets das Amt des Großwesirs besetzte. Unter ihrem Einfluss fanden iranische Traditionen und Anschauungen Verbreitung. Dies war nicht nur zum Vorteil der A.: getreu iranischer Vorstellungen vom Wesen der Monarchie zogen sich die Kalifen mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück, ein Symbolismus, der ihren Machtverfall vorwegzunehmen schien. Die Herrschaftszeit Hārūn al-Rašīds (786–809) gilt als die Glanzzeit der abbasidischen Epoche, besonders was arabische Gelehrsamkeit und Philosophie angeht. Militärisch setzte ging die Macht der A. bald darauf zurück; so konnten Mitte des 9. Jh. die Grenzen im Osten und gegenüber Byzanz nur noch mit Mühe gehalten werden. Die A. waren gezwungen, sich mehr und mehr auf türkische Truppen zu stützen. Spannungen zwischen diesen Truppen und der Bevölkerung Bagdads zwangen die A., im Jahre 835 die Hauptstadt von Bagdad in das neu erbaute Sāmarrā am Tigris zu verlegen, wo sie bis 892 verblieb. Auch nach der Rückkehr nach Bagdad vermochten die A. nicht, ihre vormalige weltliche Machtstellung wieder zu gewinnen.

So ging im 9. Jh. auch die direkte Kontrolle über Ägypten und Nordafrika an faktisch unabhängige Dynastien verloren. Es beginnt sich eine Zweiteilung der Funktionen des Kalifen herauszubilden: während die frühen Kalifen sowohl die religiösen als auch die weltliche Führung der Gemeinde beansprucht hatten, verlor der Kalif nun einen Großteil seiner weltlichen Macht. Beispiele für faktisch unabhängige islamische Herrscherdynastien, die sich demzufolge etablieren konnten, waren die Aġlabiden in Ägypten (800 – 904), die Ṭāhiriden in Ḫurāsān ( 820 – 873), die Samaniden in Transoxanien (892–999) und die schiitischen Būyiden im westlichen Iran und Mesopotamien (945–1055). Während diese Dynastien den geistlichen Führungsanspruch der A. nicht in Frage stellten, kam es während der abbasidischen Periode jedoch auch zur Herausbildung von „Konkurrenzkalifaten“, wie dem der ʿUmayyaden von Cordoba, die ab 929 den Kalifentitel beanspruchten, und der schiitischen Fāṭimidenkalifen von Ägypten (969–1171).

Die machtpolitisch negative Zersplitterung der islamischen Welt hatte kulturell eher positive Folgen: jede Dynastie entwickelte ein glanzvolles Hofleben und förderte Kunst und Wissenschaft. Besonders hervorzuheben sind die Übersetzungen klassisch antiker Werke philosophischer, naturwissenschaftlicher und medizinischer Natur ins Arabische. Diese wurden später an den Schnittstellen islamischer und europäischer Kultur wie Sizilien und Spanien ins Lateinische übertragen und bildeten eine wichtige Keimzelle für die Renaissance und sicherten so das Überleben des hellenistischen Erbes. Das hohe kulturelle Niveau der A. spiegelte sich jedoch nicht in ihrer Staatskunst wider. Insbesondere die ärmeren ländlichen Schichten der Bevölkerung sahen sich oft rücksichtsloser Ausbeutung ausgesetzt; dies hatte häufig Revolten zur Folge. Von 868–83 entzog eine Revolte schwarzer, in der Salzgewinnung eingesetzter Sklaven (arab. zanǧ), der sich auch andere ausgebeutete Gruppen anschlossen, den Süden des Irak der ῾abbāsidischen Kontrolle. Diese inneren Spannungen schwächten die A. ebenso wie Bedrohung von außen.

1055 eroberten die Seldschuken Bagdad und erklärten sich zu Beschützern des Kalifats, das dadurch de facto seinen weltlichen Machtanspruch aufgeben musste. Im Gegenzug erhielt Tuğril Beg, der seldschukische Anführer, den Titel „Sulṭān“ verliehen. Unter seldschukischer Protektion überlebte das A.kalifat noch bis zur Mitte des 13. Jh.

Der Todesstoß wurde dem schon weitestgehend entmachteten A.kalifat durch die Mongolen unter Ḫān Hülägü versetzt, die 1258 Bagdad eroberten, den Kalifen al-Musta’ṣim hinrichteten und die Stadt fast bis auf die Grundmauern zerstörten. Einige A. konnten nach Ägypten flüchten. 1261 setzte der mamlukische Sultan Baybars einen Angehörigen der Dynastie in Kairo als Kalifen ein; dieses Kalifat hatte jedoch ausschließlich spirituelle Funktion und wird daher auch als „Schattenkalifat“ bezeichnet; bei der Eroberung Ägyptens durch die Osmanen 1516/17 übertrug der letzte Schattenkalif das Kalifat auf den osmanischen Sultan Selim I. Die Kalifenwürde verblieb von da an in der osmanischen Dynastie, bis Mustafa Kemal (Atatürk) das Kalifat 1924 abschaffte.

Abbasiden. Gibb H. A. R. (1960–2001): The encyclopedia of Islam. Leiden. Nagel T. 1972: Untersuchungen zur Entstehung des abbasidischen Kalifates. Bonn. Grunebaum G. v. 1966: Der Islam in seiner klassischen Epoche (622–658). Zürich. Rosenthal F. 1965: Das Fortleben der Antike im Islam. Zürich. Mez A. 1968: Die Renaissance des Islams. Hildesheim. Haarmann U. 1987: Geschichte der arabischen Welt. München.

(Tilman Lüdke)


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