Kumanen
Kumanen (auch: Kiptschaken, Polovcer)
Die K. (in den Quellen: chines. Kʹin-ča, griech. Koumanoi, mittelhochdt. Valwen, Falben, pers. Kifjaq, russ. polovcy, türk. Qipčaq, ungar. Kún) waren ein nomadischer Turkstamm zentralasiatischer Herkunft. Über ihre Sprache existieren nur wenige Quellen. Zu diesen zählt als bedeutendste der sog. Codex Cumanicus, von italienischen und deutschen Missionaren Ende des 13. Jh. verfasst, der ein lateinisch-persisch-kumanisches Glossar und verschiedene religiöse Texte in kumanischer Übersetzung enthält. Ihre auf Viehzucht ausgerichtete Lebensweise zwang die K. zu ständigen Wanderungen auf der Suche nach Weideland. Aus diesem Grund verfügten sie nur äußerst selten über feste Wohnstätten. In den Territorien, über die sich ihre Herrschaft erstreckte, gab es einige urbane „Zentren“, z. B. Sudak (Krim) und Saksin an der Wolga, die aber vermutlich von anderen Völkern gegründet worden waren. Über diese „Städte“ unterhielten sie Handelsbeziehungen bis nach Zentralasien und Westeuropa. Dem riesigen von den K. beherrschtem Territorium fehlte es – geteilt in mehrere Stammeskonföderationen – an realer politischer Einheit.
Das Inventar der K.-gräber zeugt von der handwerklichen Begabung der K. und gleichzeitig von beträchtlichen Vermögensunterschieden und damit von der Existenz sozialer Hierarchien. Unter diesen Fundstätten zeichnet sich das fürstliche Grab von Zamožnoe am Fluß Čingul (Ukraine) besonders aus, das Gewand, Waffen und teure Schmuckgegenstände orientalischer, ostslawischer und abendländischer Herkunft enthält. Die K. bestatteten ihre Toten in der Regel in tumuli. Neben dem Leichnam lagerten sie private Gegenstände und Waffen sowie das Pferd (gänzlich oder nur Teile seines Leibes) des Verstorbenen. Abendländische und byzantinische Chronisten (wie Jean de Joinville, Nikētas Chōniatēs) berichten, dass beim Tode des Stammeshäuptlings auch menschliche Opfer gebracht wurden. Nahe der Grabstätten wurden riesige antropomorph gestaltete Statuen (türk. balbal) errichtet, die wahrscheinlich in Zusammenhang mit Ahnenkulten stehen. Wie auch andere Stämme aus Eurasien, praktizierten die K. schamanische Kulte und verehrten den Himmelsgott Tängri.
Die erste zuverlässige Erwähnung der K. ist in einer Inschrift aus dem Gebiet des Flusses Selenga (Mongolei), dem Reich der Uiguren, aus der Mitte des 8. Jh. überliefert. Nach dessen Zerfall (um ca. 850) wanderten die K. westwärts nach Sibirien, wo sie unter die Herrschaft der turkstämmigen ›Kimäk‹ gerieten. Von anderen Nomaden bedrängt, setzten sie ihre Wanderung nach Westen fort. Etwa Mitte des 11. Jh. ließen sie sich im pontokaspischen Raum nieder, der seither den Namen ›Dašt-i-Qipčaq‹ (arab./pers./türk., „Steppe der Kiptschaken“) trägt. 1055 erschienen sie im Dnjepr-Gebiet. 1061 fand ein erster Angriff auf die Fürstentümer der Rus statt, dem viele andere folgten, die z. T. von den brudermörderischen Zwistigkeiten in den Fürstentümern selbst verursacht wurden. Besonders aktiv zeigten sich dabei die Stämme des Dnjepr-Gebiets.
Ab 1078 berichten Michaēl Attaleiatēs und Iōannēs Skylitsēs (Continuatus) von der Beteiligung der K. an verschiedenen Expeditionen in das Byzantinische Reich. 1091 unterstützten sie Alexios I. Komnēnos bei der Niederschlagung der Petschenegen. Zur gleichen Zeit fanden Übergriffe auf Ungarn und Siebenbürgen statt. In der Abwehr gegen die Seldschuken, gewann der georgische König David II. 1118 die Unterstützung von ca. 40.000 K., die in das Königreich übersiedelten. Mitte des 12. Jh. unternahmen die links der unteren Donau siedelnden K. weitere verheerende Angriffe auf Byzanz. 1185 unterstützten sie den Aufstand der Walachen und Bulgaren. Dem bulgarisch-kumanischen Heer unterlagen 1205 die Kreuzfahrer bei Adrianopel.
Zu Beginn des 13. Jh. griffen die K. wiederholt das Fürstentum Galizien-Wolynien und Siebenbürgen an. Um den Einfällen standzuhalten rief 1211 der ungarische König András II. die Ritter des Deutschen Ordens zu Hilfe. Zur gleichen Zeit trugen die K. am äußersten östlichen Rand der ›Dašt-i-Qipčaq‹ militärische Konflikte mit Muhammed II., dem Herrscher von Xorazm, aus. Im Verlauf des Mongolensturms wurden sie dann zusammen mit den Fürsten der Rus 1223 an der Kalka, 1238 an der Wolga geschlagen.
Einem Teil der K. gelang es, sich in Ungarn und auf der Balkanhalbinsel anzusiedeln und dort zu assimilieren. Angehörige der Oberschicht stiegen in die herrschenden Klassen Bulgariens und der Walachei auf. Als Hilfsvölker für die ungarischen Könige von Bedeutung, behielten die K. des Pannonischen Tieflandes ihre ethnische Identität bis nach 1500. Die der Goldenen Horde unterstehenden K. und andere Turkvölker trugen zur „Türkisierung“ der Mongolen in der Rus und Zentralasien im 14. Jh. bei. Die von den Mongolen als Sklaven nach Ägypten verkauften K. hatten dort Anteil an der Begründung der Dynastie der Mamelucken.
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