Meskheten

Meskheten (russ. Meschety) Unter M. bzw. Ahiska-Türken sind die Nachfahren von im 16.–18. Jh. zum Islam konvertierten georgischsprachigen Gruppen im Süden der historischen georgischen Siedlungslandschaften zu verstehen. Als spezifische ethnische Gruppe mit einem auch modernen Nationswerdungsprozess formierten sie sich partiell erst im Verlauf des 20. Jh.

Nach der deutlichen Schwächung des georgischen Bagratiden-Reiches im Zuge der mongolischen Eroberungen gewann eines der mächtigsten Lehensfürstentümer der Krone – das Atabegat von Samƈxe (georg., russ. Samcche) zunehmend an Selbstständigkeit.

Zentren waren die heute innerhalb der Türkei liegenden Orte Çıldır und Çoruh, sowie die innerhalb Georgiens gelegenen Städte Aḫalciḫe (georg., russ. Achalciche) und Aḫalkhalakhi (georg., russ. Achalkalaki). Der größere Teil des historischen südlichen Georgiens liegt somit heute in der Türkei. Halbwüstenartige Regionen, subtropische waldreiche Tallandschaften und alpine Gebirge prägen diesen Raum.

Neben den drei von Angehörigen der Bagratiden regierten Königreichen Karthlien, Kachetien (georg. Kaḫeti, russ. Kachetija) und Imeretien (georg. Imerethi, russ. Imeretija), sowie den kleineren Herrschaften Mingrelien und Guria war das von der Dynastie der Djakvelis regierte Samƈxe das wichtigste georgische Teilfürstentum zwischen dem späten 13. Jh. und 1829 (russische Eroberung). Bereits im 14. und 15. Jh. war Samƈxe gegenüber dem Ilkhanat, den frühen Timuriden, sowie türkischen Konföderationen tributpflichtig gewesen, die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen Osmanen und Safawiden, sowie Auseinandersetzungen zwischen den georgischen Teilfürstentümern führten zu weiteren Zerstörungen von Samƈxe Im Verlauf des 16. Jh. wurde Samƈxe der Hohen Pforte gegenüber tributpflichtig (endgültig 1578). Die nachhaltige Zerstörung eines großen Teiles der mittelalterlichen Klosterlandschaft in S. führte u. a. zu einem Verlust an tradiertem Wissen im Rahmen der georgisch-orthodoxen Geisteswelt. Hinzu kamen langzeitige kirchenrechtliche Konflikte. Um ihre Landesherrschaft zu wahren und ihre lokalen Privilegien vor einer möglichen Verprovinzialisierung zu bewahren schien einem wachsenden Teil der Elite Samƈxes der Übertritt zum Islam als möglicher Ausweg. So kam es im späten 16. und im Verlauf des 17. Jh. zunächst zur Konversion weiter Teile des Adels und der Atabege seit 1625.

Ein weiterer Teil der Bevölkerung trat der armenisch-gregorianischen Kirche bei und armenisierte sich im Verlauf von 2 Jahrhunderten. Viele synkretische armenisch-georgisch-türkisch-muslimische Lebensformen zahlreichen lokalen Varianten dominierten diesen Raum bis ins 19. ja regional bis ins 20. Jh. Das Atabegat Samƈxe mutierte nach 1625 zu einem erblichen Paschalik – ein Unikat innerhalb der osmanischen Geschichte. Zudem ist eine Migration von georgisch-orthodoxen Gruppen nach 1625 in andere georgische Territorien zu belegen. Im Grunde vollzog sich in Samƈxe ein Prozess am weitesten der auch in den anderen georgischen Teilherrschaften unter osmanischer und persischer Oberhoheit im 17. und 18. Jh. stattfand. Auch hier konvertierte ein Teil des Adels und der Fürsten mehr oder weniger gezwungenermaßen zum Islam. Viele Konvertiten erhielten höchste Ämter und Würden an den Höfen in Isfahan und Istanbul. Im Zuge der türkischen Landnahmen seit dem späten 11. Jh. und besonders seit den Verheerungen des 15. und 16. Jh. kann von einer allmählichen Verlagerung der georgischen Sprachgrenze schrittweise nach Norden im gesamten pontischen und subkaukasischen Raum ausgegangen werden. Das Paschalik von Samƈxe/Çıldır war wie sein christlicher Vorläufer dominiert von einer Adelsgesellschaft. Urbane Zentren waren wenig entwickelt und kaum vorhanden. In ihnen dominierten armenische Handwerker und Händler.

Die im 17. und 18. Jh. noch mehrheitlich georgischsprachigen Muslime von Samƈxe/Çıldır wurden in den modernen georgischen Nationswerdungsprozess im 19. Jh. nur ansatzweise einbezogen – im Unterschied zu den Adsharen nach 1878. Die nach 1829/1856/1878/1921 innerhalb des osmanischen Reiches beziehungsweise der modernen Türkei verbliebenen Bewohner des ehemaligen Samƈxe/Çıldır = die M. wurden hingegen seit der jungtürkischen Zeit als ethnische Türken verstanden und nahezu vollständig in die moderne türkische Nation assimiliert. Georgischsprachige Bildungsmöglichkeiten sind dort ebenso verboten, wie der Gebrauch der georgischen Sprache im Alltag lange Jahrzehnte unter Strafe gestellt war. Zudem wurde die gesamte altgeorgische Bausubstanz – in erster Linie die Klöster zerstört. In den von Russland 1812/1829/1878 annektierten Landschaften des ehemaligen Samƈxe verlief hingegen ein umgekehrter Prozess einer Verdrängung der vormaligen adeligen Elite der M. Dies war verbunden mit einer Fluchtbewegung von Teilen vieler M. aus dem ländlichen Raum ins osmanische Reich und der umgekehrten Ansiedlung vieler von dort verdrängter Armenier in ehemals meskhetischen Siedlungslandschaften, wo sie heute zum Teil nahezu die gesamte Bevölkerung stellen. Neben den M. und Armeniern lebten auch Bergtataren, kleinere türkische Gruppen, sowie russischsprachige Altgläubige um 1914 im russischen Teil des ehemaligen Atabegats. Innerhalb der georgischen Elite existiert seit dem 19. Jh. eine heftige bis heute nicht abgeschlossene Debatte um die Zugehörigkeit der M. zur modernen georgischen Nation.

Zwischen 1917 und 1921 versuchte die damals existente kurzlebige georgische Republik gegenüber der Türkei ihren Anspruch auf die meisten der mittelalterlichen georgischen Siedlungslandschaften vergeblich durchzusetzen.

Eine Reihe von blutigen Säuberungswellen traf auch die M. bereits zwischen 1941 und 1944. 1944 wurden sie wegen angeblicher Kollaboration mit dem deutschen Kriegsgegner wie andere Völker im Kaukasus auch kollektiv nach Zentralasien (Usbekistan etc.) deportiert, wobei eine große Zahl ums Leben kam. Eine Fluchtwelle von M. aus diesen Regionen nach Pogromen setzte in den späten 1980er Jahren ein. Ziele waren und sind vor allem die großen russischen Metropolen, die Region um Krasnodar, die Türkei sowie seit einigen Jahren die USA. Die völlige Vernichtung der meskhetischen Siedlungslandschaft und gewachsenen in erster Linie ruralen Sozialordnung durch Sowjetisierung, Terror und Deportation, und die neuerlichen Flucht- und Migrationbewegungen der letzten zwei Jahrzehnte haben die M. als spezifische Größe de facto ausgelöscht. Zwar existieren verschiedene kulturelle und politische Gruppierungen von insgesamt allerdings wenigen zerstrittenen Aktiven, doch schreitet die Assimilation der M. an ihr jeweiliges andersnationales Umfeld nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte insgesamt rasch voran.

Zwar wird eine Repatriierung der M. in ihre einen Teil des heutigen Georgien bildenden Regionen immer wieder ins Gespräch gebracht doch verhindern die Weigerung der georgischen Seite sich darauf einzulassen (Angst vor einer Vergrößerung der Zahl von Muslimen und potentiell sich als Türken verstehende Personen) und die dichte und kompakte Besiedelung weiter Teile dieser Gebiete mit Nachfahren jener Armenier die im 19. und frühen 20. Jh. Pogrome und Völkermord im osmanischen Reich/Türkei überlebt haben eine reale Chance für ein derartiges Vorhaben.

Die Zahl der sich als M./Ahiska-Türken, muslimische Georgier/Türken definierende Gruppen im heutigen Russland und den zentralasiatischen Republiken ist schwer anzugeben. Es kann von etwa 200.000–250.000 Personen ausgegangen werden. Rund 160.000 M. waren 1944 deportiert worden. Im 19. Jh. betrug die Zahl der muslimischen nunmehr bereits überwiegend turksprachigen Bevölkerung mit lokalen Identitätsformen aus S. innerhalb des Zarenreiches einige Zehntausend Personen. Wenige hundert leben heute in Georgien, Zahlen aus der heutigen Türkei gibt es nicht, wobei von einer nahezu kompletten Assimilation bzw. Akkulturation dieser dort nunmehr ehemaligen spezifischen ethnischen Gruppe an die Staatsnation auszugehen ist.

ahiska (http://ahiska.da.ru/) (Stand 1.10.7). Feurstein W.2000: Die Eroberung und Islamisierung Südgeorgiens. Motika R., Ursinus M.: Caucasia between the Ottoman Empire and Iran 1555–1914. Wiesbaden, 21–29. Sumbadze N.:The problem of Muslim population of southern Georgia: prospects of deportation and the local resistance. (http://www.policy.hu/sumbadze/Nana--Meskhetians5.html) (Stand 1.10.2007). Ursinus M. 2000: The role of the Vali of Cildir in Ottoman-Caucasian relations during the late 18.th. century. Motika R., Ursinus M.: Caucasia between the Ottoman Empire and Iran 1555–1914. Wiesbaden, 41–48. Toumanoff C. 1963: Studies in Christian Caucasian History. Georgetown.

(Meinolf Arens)

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