Musik (Russland)
Musik (Russland) M. war im Alten Russland Teil von Theater-, Tanz- und literarischen Traditionen (›byliny‹), die an bestimmten – meist heidnischen - Festtagen praktiziert wurden. Ihre Träger waren v. a. die Teilnehmenden selbst und die berühmten Spielmänner (›skomorochi‹), die meist neben ihrer musikalischen Tätigkeit einen anderen Nährberuf ausübten und als Teil der heidnischen Kultur der Verfolgung durch die kirchlichen und staatlichen Institutionen ausgesetzt waren. Trotzdem waren sie auch noch unter Ivan IV. (1533–84) an den Höfen der russischen Fürsten als Teil der heidnischen Festkultur präsent.
Die kirchliche M. nach der Christianisierung Russlands 988 geht Chroniken zufolge auf drei aus Byzanz nach Kiew Zugereiste (Sänger) zurück. Der vorwiegend monodische Gesang basiert auf den acht Kirchentonarten und wurde in der Neumenschrift niedergelegt. Besonders seit dem 16. Jh. entwickelten sich eine Reihe von regionalen, lokalen (v. a. in Novgorod) und sogar individuellen Varianten des Gesangs. In Novgorod und Moskau entwickelten sich große Chöre an den Höfen des Metropoliten, Patriarchen und Zaren, die die ausschließlich vokale M. zu repräsentativen Zwecken praktizierten.
Westliche M.formen wurden zunächst verdeckt am Hofe des Zaren rezipiert. Schon unter Ivan III. (1462–1505) ist ein italienischer Organist Giovanni Salvatore bekannt. Seit Ivan IV. ist die Existenz einer Orgel und von Orgelmeistern im Kreml durch Rechnungen dokumentiert, ohne dass diese aber in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Lediglich einige hohe Adelige konnten an ihren Höfen westliche Instrumente und Kapellen auch gegen den Protest der Kirche einführen. Erst mit der Aufführung eines Theaterstückes unter Begleitung von M. für wichtige Persönlichkeiten des Hofes fanden 1672 westliche kulturelle Formen eine begrenzte Öffentlichkeit. Die aktive Rezeption von westeuropäischen musikalischen Formen begann in der Mitte des 17. Jh. mit der Anwerbung von Meistern und Sängern des polyphonen Partes-Gesanges aus Kiew. Im Zuge einer scharfen Polemik in den 1660er Jahren formulierte Mykola P. Dylecʹkyj, dessen neue musikalische Ästhetik in seiner ›Musikijskaja Grammatika‹. Russische Komponisten eigneten sich die hier ausgelegten Kompositionstechniken und Notenschrift äußerst schnell an – gegen Ende des 17. Jh. gab es ein reiches Repertoire an ›kanty‹, Psalmen und geistlichen Konzerten, die teilweise auch für den häuslichen Gebrauch bestimmt waren.
Gardner J. v. 1983–87: Gesang der russisch orthodoxen Kirche. 2 Bde. Wiesbaden.Schneck S. 2002: Musik in Russland im 17. Jahrhundert. Soziale Distinktion und die Entstehung einer intellektuellen Disziplin. Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 10/4, 519–536.