Transnistrien
Transnistrien (rumän. Transnistria, russ. Pridnestrovʹe)
Unter der Bezeichnung T. sind zwei politische Einheiten bekannt, die geographisch nur zum Teil deckungsgleich sind: einerseits das Gebiet, das zwischen 1941 und 1944 unter rumänischer Besatzung stand und andererseits jene völkerrechtlich nicht anerkannte Republik russophoner Separatisten auf dem Gebiet der Republik Moldau, die seit 1991 besteht.
Aufgrund der Beteiligung am Überfall auf die Sowjetunion erhielt Rumänien im August 1941 das Gebiet im Süden der Ukraine zwischen den Flüssen Dnjestr und dem Südlichen Bug. Durch einen rumänisch-deutschen Vertrag wurde das ›Transnistria‹ genannte Gebiet der rumänischen Verwaltung unterstellt. Der rumänische Staatsführer General Ion Antonescu setzte den Juristen Gheorghe Alexianu als Gouverneur ein. Die größtenteils aus Ukrainern und Russen bestehende Bauernbevölkerung bekam das Kolchosland nicht zurück, sondern musste Zwangsarbeit für die Besatzer leisten, damit Getreide nach Rumänien exportiert werden konnte. Zwischen 1941 und 1944 wurde T. zu einem Massengrab vieler dorthin deportierter Juden und Roma. Die Politik der „ethnischen Säuberungen“ des rumänischen Staates lässt sich in drei Phasen unterteilen.
Die 1. Phase umfasst die Zeit von Sommer 1941 bis Anfang 1942, sie ist gekennzeichnet von Brutalität gegenüber den Juden besonders aus Bessarabien und der Nordbukowina, jener Gebiete, die Rumänien aufgrund eines Ultimatums im Juni 1940 an die Sowjetunion abtreten musste. Die Massenmorde nach der Rückeroberung wurden damit legitimiert, dass viele Juden angeblich 1940/41 die sowjetische Verwaltung unterstützt hätten. Zwischen Sommer und Herbst 1941 führte die rumänische Gendarmerie in Bessarabien und der Bukowina die so genannte „Säuberung des Terrains“ durch: Das waren Massenmorde an Juden und die Deportation der Überlebenden in Richtung T. Vor der Deportation konfiszierte die Rumänische Nationalbank die Wertgegenstände der Juden. Bei den Erschießungen wirkten auch die deutschen Einsatzgruppen D und C der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes mit. Die deutschen Erschießungskommandos, die nördlich des Dnjestr Juden vernichteten, waren Anfang August 1941 überfordert durch die vielen dort ansässigen Juden. Daher unterbanden sie zwei Wochen lang die Abschiebung von Juden aus Rumänien über die Übergänge am Dnjestr. Die rumänische Gendarmerie setzte dennoch die Vertreibung fort: Sie hielt Zehntausende Juden im Grenzbereich in provisorischen Sammellagern ohne Verpflegung fest, wo viele von ihnen durch Hunger und Mangelkrankheiten umkamen. Nachdem im September 1941 die rumänische Verwaltung in T. eingesetzt worden war, wurden die Juden dorthin gebracht. Die meisten erwartete ein neuer Leidensweg: Viele starben bereits im ersten Winter an Hunger und Typhus, weil es kaum Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten gab.
Besonders aussichtslos war die Lage der etwa 100.000 Juden aus T. Hier soll ihr Schicksal nur am Beispiel der Juden von Odessa skizziert werden. Nach einer sechswöchigen Belagerung nahm die rumänische Armee Odessa ein. Wegen der hohen Verluste von etwa 17.000 Gefallenen regte sich bereits in der rumänischen Öffentlichkeit Unmut. Daher reagierte die rumänische Militärverwaltung mit besonderer Härte, als in Odessa über 60 Militärangehörige durch ein Bombenattentat auf das Hauptquartier umkamen. Als Vergeltung ließ sie im Oktober 1941 etwa 18.000 Bürger von Odessa als Geiseln erschießen. Von den im Dezember 1941 von den rumänischen Behörden registrierten 44.417 Odessaer Juden lebten im November dort nur noch 60. Die Überlebenden der Racheaktion hatte die Gendarmerie in den Süden von T. deportiert, wo die meisten an Epidemien starben oder ermordet wurden. An diesen Morden haben sich auch die deutsche ›Einsatzgruppe D‹ und der sog. Selbstschutz der deutschen Minderheit in T. beteiligt.
Die 2. Phase der rumänischen Vernichtungspolitik von Frühjahr bis Ende 1942 ist gekennzeichnet durch weitere Deportationen von Juden nach T., besonders aus der Bukowina und einige aus dem Süden Rumäniens. Auch etwa 25.000 Roma wurden im August/September 1942 aus Rumänien deportiert, ein großer Teil verhungerte in T. Geplant war die Vertreibung aller Nichtrumänen: Der Leiter des Zentralen Statistischen Amtes Sabin Manuilă unterbreitete Antonescu im Oktober 1941 einen Plan, wie ein homogenes Rumänien zu erreichen sei. Noch während des Krieges sollten 3,5 Mio. Nichtrumänen das Land verlassen. Manuila schlug vor, Ungarn, Ukrainer, Serben und andere mit Rumänen aus den Nachbarländern auszutauschen. Nicht nur das gesamte Gebiet Rumäniens, sondern auch T. sollte ethnisch homogenisiert werden. Daher schoben Anfang 1942 die rumänischen Behörden mehrere Tausend Juden in das deutsche Besatzungsgebiet jenseits des Südlichen Bugs ab. Die Deutschen wollten jedoch vorerst keine Juden mehr aufnehmen, sie hatten zuvor viele Juden aus T. als Arbeitskräfte für ein Straßenbauprojekt übernommen. Sie boten den rumänischen Militärbehörden auch eine Umsiedlung der verstreuten rumänischen Bevölkerung aus dem deutschen Besatzungsgebiet nach T. an. Mitarbeiter des rumänischen Statistischen Instituts erfassten zu diesem Zweck versprengte Rumänen. Die Volksdeutsche Mittelstelle plante die Umsiedlung der deutschen Minderheit von etwa 130.000 Personen aus T. auf die Krim. Aufgrund der schwierigen Situation an der Ostfront wurden diese Pläne nicht mehr umgesetzt.
Die letzte Phase umfasst die Zeit von Ende 1942 bis März 1944: Je aussichtsloser die militärische Lage der deutschen und rumänischen Armee an der Ostfront wurde, um so mehr Berater von Antonescu rieten zu Signalen an die Westalliierten, dass Rumänien zu einem Sonderfrieden bereit wäre. Als Zeichen des guten Willens boten rumänische Ministerialbeamte über das Rote Kreuz jüdischen Organisationen aus dem Ausland Verhandlungen über die Ausreise der Deportierten aus T. gegen große Geldsummen an. Tatsächlich kehrten ab Herbst 1943 einige deportierte Juden nach Rumänien zurück: Es handelte sich um Veteranen des Ersten Weltkrieges sowie die angeblich aus Versehen deportierten Juden aus dem Dorohoi-Gebiet. Auch eine größere Anzahl von Waisenkindern konnte T. verlassen und gelangte nach Palästina. Der Mehrheit der Überlebenden verweigerte Antonescu jedoch bis März 1944 die Rückkehr nach Rumänien, selbst als die Gefahr bestand, dass sie von deutschen Einheiten beim Rückzug ermordet würden. Die Gesamtzahl der jüdischen Opfer in Rumänien und T. wird sehr unterschiedlich beziffert: Die Schätzungen ausländischer Historiker liegen zwischen 250.000 und 410.000, die von Rumänen weit darunter. Die genaue Anzahl ist schwer zu ermitteln, weil die rumänischen Behörden erst im Herbst 1943 eine Zählung in den Gettos von T. zuließen, als viele Deportierte nicht mehr am Leben waren. Als die sowjetische Armee im März 1944 bis in den Norden Rumäniens vorrückte, konnten einige Deportierte nach Bessarabien und in die Bukowina gelangen. Doch viele mussten 1944/45 zum Armeedienst oder zur Zwangsarbeit ins Donezbecken, so dass ihre zahlenmäßige Erfassung nicht möglich war. Die sowjetische Verwaltung, die im März 1944 ihre Herrschaft etablierte, teilte T. und Bessarabien zwischen der Ukraine und der Moldauischen SSR auf.
In Rumänien wurden die Verbrechen in T. nur unmittelbar nach Kriegsende öffentlich thematisiert, als Marschall Antonescu und einige andere vor Gericht standen. Die Verbrechen an Juden, Roma und Ukrainern spielten jedoch bei den Prozessen 1945/16 eine untergeordnete Rolle: Antonescu und seine engsten Mitarbeiter wurden v. a. wegen des Verrates „rumänischer Interessen“ durch die Anbindung an die deutsche Kriegsindustrie angeklagt. Im Juni 1946 wurden Ion Antonescu und Gheorghe Alexianu sowie zwei weitere Verantwortliche der Vertreibungspolitik hingerichtet.
Zwischen 1946 und 1948 erschienen die drei Bände des „Schwarzbuches“ mit Zeugenaussagen und Dokumenten über die Verbrechen an Juden, die Matatias Carp von der „Föderation jüdischer Gemeinden“ gesammelt hatte. Durch Stalins antisemitische Politik seit Ende der 40er Jahre war die Vernichtung der Juden auch in Rumänien kein Thema mehr. Im Zuge der nationalkommunistischen Umdeutung der rumänischen Geschichte in den 70er Jahren begann eine vorsichtige positive Bewertung der Rolle Antonescus. Dieser Trend verstärkte sich nach 1991. Heute diskutieren Historiker und Politiker in Rumänien darüber, ob die rumänische Armee oder nur einzelne Befehlshaber die Verantwortung für das Massensterben der Juden in T. tragen. Dass der Begriff T. nach 1990 wieder bekannt wurde, ist nicht der Aufarbeitung der rumänischen Geschichte zuzuschreiben, sondern der Ausrufung der „Moldauischen Republik Transnistrien“ (russ. Pridnestrovskaja Moldavskaja Republika) und der blutigen Kämpfe, die es dort v. a. im Sommer 1992 gab.
Östlich des Dnjestr wurde im Oktober 1924 auf den Gebiet der Ukrainischen SSR eine Moldauische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (MASSR) gegründet, die den sowjetischen Anspruch auf ganz Bessarabien unterstreichen sollte. Mit Hinweis auf die Zugehörigkeit Bessarabiens zwischen 1812 und 1918 zu Russland und einem starken slavischen Bevölkerungsanteil, hatte die Moskauer Regierung den Anschluss des Gebietes an Großrumänien nicht anerkannt. In der MSSR wurde in den 30er Jahre die Landwirtschaft kollektiviert und Industriebetriebe angesiedelt. Durch die betrieblichen Anwerbungen zogen in diesen Gebietsstreifen entlang des östlichen Dnjestrufers viele Slawen aus allen Gegenden der Sowjetunion. Während der rumänischen Besatzungszeit wurde diese Bevölkerung besonders drangsaliert.
1989 bildete sich in der seit 1944 bestehenden Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik (MSSR) die Bewegung „Moldauische Volksfront“ (mold. Frontul Popular al Moldovei), welche die Einführung des Moldauischen (erst ab 1991 nannten es viele Rumänisch) als Amtssprache gegen das Russische durchsetzen wollte. Da die Moldauer mit 64,5 % (1989) die Mehrheit der Republik stellten, konnte diese Forderung durchgesetzt werden. Doch es gab Widerstand unter der russophonen Bevölkerung, zu der nicht nur die 13 % Russen, sondern auch die 1,5 % Juden und der 3,5 % Gagausen zu zählen sind. Ansonsten lebten in der MSSR 1989 13,8 % Ukrainer, 2 % Bulgaren und viele kleinere Volksgruppen. Besonders gut organisiert war der Widerstand gegen das zunehmende Bestreben vieler Moldauer zu einem Anschluss an Rumänien innerhalb des transnistrischen Gebietsstreifens. Nachdem 1990 russische Kindergärten und Schulen geschlossen worden waren sowie viele Russophone ihre Leitungspositionen an Moldauer abtreten mussten, wuchs die Unterstützung für die Gruppe „Einheit“ (russ. Edinstvo). Diese hochtrabend „Internationalistische Bewegung für die Einheit“ genannte Organisation war hauptsächlich von Betriebsdirektoren begründet worden, die um ihre Posten zitterten. Sie wandten sich besonders gegen die Forderung der Bewegung „Moldauische Volksfront“ (mold. Frontul Popular) nach Unterstellung der Großbetriebe unter die Kontrolle der Republik anstelle der Moskauer Unionsministerien. Doch auch viele slawische Industriearbeiter fühlten sich bedroht durch jene Radikalen aus der „Moldauischen Volksfront“, die forderten, dass die „Fremdstämmigen“ oder „Migranten“ die Republik verlassen sollten. Außer den Slawen bildeten auch die turkstämmigen Gagausen im Süden die „Bewegung des gagauzischen Volkes“ und wandten sich gegen die „Moldauisierung“. Sie wollten ihre Kinder weiter in russische Schulen schicken und langfristig das Gagausische zu einer Unterrichtssprache entwickeln. Beide Bewegungen bildeten bewaffnete Einheiten und im November 1990 gab es die ersten Toten. Im Juli 1990 hatte ein Kongress der „Moldauischen Volksfront“ die Souveränität der Republik erklärt. Der Premierminister Druc verbot einige Organisationen der Nichtmoldauer. In T. wurde nun auch die Souveränität erklärt und Wahlen organisiert. Eine Gruppe bewaffneter Freiwilliger war von Druc mobilisiert worden, um die Wahlen zu verhindern. Bei ihrem Übertritt auf transnistrisches Gebiet kam es zu den ersten Schießereien. Der Vorstoß von moldauischen Freiwilligen nach Gagausien wurde nur verhindert, weil Michail Gorbatschow eine Truppe des Innenministeriums per Flugzeug eingesetzt hatte. Gorbatschow versuchte, den Zerfall der Republik zu verhindern und Kompromisse zwischen den Interessengruppen auszuhandeln. Doch keine Seite war bereit nachzugeben. Während des Putsches im August 1991 sahen die moldauischen Politiker ihre Chance, die Unabhängigkeit der Republik zu erklären, wie dies zuvor in der Ukraine geschehen war. Bei den Feiern der Unabhängigkeit am 27. August verlangten die Demonstranten den Abzug der 14. sowjetischen Armee, die v. a. im transnistrischen Tiraspol stationiert war und ist. Einige Führer der transnistrischen und gagauzischen Separatisten wurden nach der Unabhängigkeitserklärung für ihre Gebiete verhaftet. Weil die Trikolore Rumäniens und das Lied: „Erwache Rumäne!“ Staatshymne wurden, interpretierten viele Nichtmoldauer dies als ersten Schritt eines Anschlusses an Rumänien. Im Frühjahr 1992 entbrannten bewaffnete Kämpfe, als die neu aufgestellten moldavischen Einheiten des Innenministeriums in transnistrischen Ortschaften ihr Gewaltmonopol durchsetzen wollten. Die Garden der Separatisten leisteten Widerstand und beschafften sich Waffen aus dem Arsenal der 14. Armee. Im Juni 1992 lieferten sich in Bendery die bewaffneten Kräfte über eine Woche lang Gefechte in einem Wohngebiet. Es gab mehrere Hundert Tote und Zehntausende flohen aus dem Kampfgebiet. Der russische Präsident Boris Jelzin schickte General Lebedʼ nach T., um zumindest den Einsatz der Panzer der 14. Armee auf Seiten der Separatisten zu verhindern. Während der Kämpfe fand in Istanbul ein Gipfeltreffen zwischen Jelzin, dem moldauischen Präsidenten Mircea Snegur und den Präsidenten der Ukraine und Rumäniens statt. Snegur wurde zugesichert, dass die drei Staatsvertreter die „Integrität“ der Republik anerkennen würden. Im Juli 1992 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der eine 10 km breite Sicherheitszone entlang des Dnjestr festlegte. In dieser Zone sorgten dann sechs Bataillone aus Moskau sowie moldauische und transnistrische Einheiten gemeinsam für Ordnung. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu keinem Schusswechsel mehr, aber auch nicht zur Entwaffnung der transnistrischen Garden. Russland stimmte der Einrichtung der KSZE- (später OSZE) Mission in der Moldaurepublik zu, die sich seitdem um eine vertragliche Lösung mit den Separatisten bemüht. Von Moskau aus wurde Druck auf die transnistrischen Führer ausgeübt, als sie Ende 1993 den Moldauer Ilie Ilaşcu nach einem Schauprozess hinrichten wollten. Er war zusammen mit fünf weiteren Personen des Mordes an transnistrischen Führern angeklagt worden. In der Moldaurepublik und auch in Rumänien wurde Ilaşcu von einigen als Held und Märtyrer gefeiert. Nach langen internationalen Interventionen wurde er 2001 freigelassen. Er sitzt als Vertreter der chauvinistischen „Partei Großrumäniens“ (rumän. Partidul România Mare) im Senat Rumäniens. T. ist nun besonders deswegen ein europäisches Problem, weil über die nicht gesicherte Grenze am Dnjestr Rauschgift, Prostituierte und Waffen geschmuggelt werden.
Achim V. 2001: The Romanian Population Exchange Project. Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento XXVII, 593–617. Ancel J. 1998: Transnistria. Vol. I–III. Bucureşti. Dailey E. 1993: Human Rights in Moldova: The Turbulent Dniester. Helsinki Watch. New York. Grimm F.-D. 1997: Transnistrien – ein postsowjetisches Relikt mit ungewissen Perspektiven. Europa Regional 5/2, 23–34. Hausleitner M 1995: Nationalitätenprobleme in der Moldaurepublik und die Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Hatschikjan M., Weilemann P. R. (Hg.): Nationalismus im Umbruch. Ethnizität, Staat und Politik im neuen Osteuropa. Köln, 105–121. Ofer D. 1996: Life in the Ghettos of Transnistria. Yad Vashem Studies XXV, 229–274. Neukirch C. 1996: Die Republik Moldau. Nations- und Staatsbildung in Osteuropa. Münster. Völkl E. 1996: Transnistrien und Odessa (1941–1944). Regensburg.