Rolicz-Lieder, Wacław

Rolicz-Lieder, Wacław (eigentl. Wacław Damian Lieder); *27.9.1866 Warschau †25.4.1912 Warschau, Sohn eines Bankbeamten und einer Adligen (Familienwappen Rola). R.-L. besuchte das Gymnasiums in Warschau (im russischen Kongresspolen) bis er aufgrund eines Konfliktes mit einem Lehrer der Schule verwiesen wurde, was seine antirussische Haltung zeitlebens bestimmte. 1887 schloss er seine Ausbildung mit dem Abitur in Krakau ab und begann das Jurastudium an der Jagellonen-Universität. 1888–1892 studierte R.-L. an der Ecole des Langues Orientales in Paris Türkisch, Arabisch und Persisch, danach bis 1894 in Wien Jura und Diplomatie, beides setzte er bis 1897 in Paris fort. R.-L. versuchte zweimal (1891, 1894) sich zu verloben, was von seinem Vater unterbunden wurde. Als er 1896 das erbliche Adelsprädikat erhielt, unterschrieb er fortan seine Werke mit dem Doppelnamen und benutzte auf Briefköpfen das von ihm entworfene Wappen Rolicz. Seit 1897 wurde Warschau sein ständiger Aufenthaltsort. Er arbeitete dort als Büroangestellter in einer Metallfabrik und lehrte französische Handelskorrespondenz. Nach 1903 widmete er sich linguistischen Studien. R.-L. war mit den polnischen Lyrikern Zenon Przesmycki und Wiktor Gomulicki befreundet. In Paris schloss er Bekanntschaft mit dem tschechischen Dichter Julius Zeyer, verkehrte mit Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine und lernte 1897 seinen wichtigsten Freund kennen – Stefan George.

1887 debütierte R.-L. als Poet mit Zeitschriftenveröffentlichungen in Warschau, Lemberg, Krakau, Posen und St. Petersburg. Der erste Gedichtband ›Poezje I‹ (1889) verkaufte sich kaum und wurde negativ von der Kritik aufgenommen. Wütend verlegte R.-L. seine weiteren Bände ›Poezje II‹ (1891), „Gedichte III“ (poln. Wiersze III, 1895), „Meine Muse. Vierter Gedichtzyklus“ (poln. Moja muza. Wierszów ciag czwarty, 1896), „Gedichte V“ (poln. Wiersze V, 1897) und „Neue Gedichte“ (poln. Nowe wiersze, 1903) außerhalb des Buchhandels in Auflagen von 20–60 Exemplaren, mit dem Verbot, sie zu besprechen oder zu zitieren. Die sorgfältig gebundenen und reich verzierten Ausgaben sind heute bibliophile Unikate. Das Werk von R.-L. steht beispielhaft für die Rückkehr zur Autonomie der poetischen Sprache, zur ursprünglichen Bedeutung der Worte, ihrer musikalischen Struktur, für den vers libre und das Prosapoem. R.-L. war Vorreiter einer Strömung, die erst nach einigen Jahren in der polnischen Dichtung Niederschlag fand. Als erster beschrieb er „innere Landschaften“, verwandte abstrakte und sachliche Lexik und griff auf die Traditionen altpolnischer und orientalischer Dichtung zurück. Daneben übersetzte er Werke von u. a. Charles Baudelaire, Jaroslav Vrchlický, Heinrich Heine, Stefan George. Die deutschen Übertragungen der Gedichte von R.-L. in der Übersetzung von George erschienen oft vor den polnischen Erstdrucken. George publizierte sie 1894–1901 in den „Blättern für die Kunst“ und 1905 als „Übertragungen aus den Werken von Waclaw Rolicz-Lieder“ in einer separaten Ausgabe. Dank dieser und zahlreicher Nachdrucke ist die Poesie R.-L.s bis heute in Deutschland weit besser bekannt als das Werk anderer polnischer Lyriker.

Podraza Kwiatkowska M. 1966: Wacław Rolicz-Lieder. Warszawa.

(Wojtek Klemm)


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