Braclav

Braclav (russ./ ukrain.; poln. hist. Bracław, jidd. Broslew).

Der 6033 Einwohner (2005) zählende Ort B. liegt südwestlich von Kiev in der westukrainischen Region Nemyriv (Bezirk Vinnycja) und umfasst eine Fläche von 19,2 km².

B. wurde erstmalig im 12. Jh. erwähnt. Nach der Vertreibung der Tataren beherrschten diesen Teil Podoliens seit 1362 die Koriatoviči, eine Nebenlinie der litauischen Dynastie. 1395 eroberte der litauische Grossfürst Vytautas B., um Fedor Koriatovič, der zeitweise in einer Lehnabhängigkeit zu Ungarn stand, zu unterwerfen. 1463 wurde B. von Freiwilligen auf dem Weg zur Verteidigung von Kaffa, 1479 und mehrmals 1498 –1503 von den Tataren zerstört. Um 1500 erhielt B. das Magdeburger Stadtrecht (1518–64 ausgesetzt). 1506 findet sich der erste Beleg für jüdische Bewohner von B. Die 1497 erbaute Holzburg, die laut Inspektion von 1545 teils verfallen war, zerstörten die Tataren 1551. 1552 befanden sich in B. sieben orth. Kirchen und eine kath. Kirche. 1566 wurde B. zur Hauptstadt einer selbständigen Woiwodschaft, die 1569 Polen einverleibt wurde. Der Woiwode von B. und der Kastellan von B. repräsentierten Woiwodschaft und Stadt B. im Senat.

Das in einer Steppen- und Urwaldlandschaft gelegene Gebiet B. gehörte zu den Unruheherden in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Konstitutionen von 1578 und 1638 erwähnen zahlreiche geflüchtete Bauern in der Woiwodschaft B. 1588 wurde B. erneut wegen Waffen- und Lebensmittellieferungen das Magdeburger Stadtrecht entzogen. Das Bürgertum von B. verpflichtete man zum Scharwerk (Burg, Befestigung). 1598 wurde das Archiv der Woiwodschaft nach Vinnycja verlagert. 1625, 1630 und 1637/38 wurde die Region von Kosaken- und Bauernaufständen erschüttert. B. war Zentrum einer Region mit starker Dominanz der Magnaten. Laut dem Steuerregister von 1629 besaßen 15 Magnaten (11,9 % des Adels) 85,9 % aller registrierten Rauchfänge. Seit Juli 1648 befand sich die Woiwodschaft B. unter Kontrolle der (radikalen) Aufständischen (Vertrag von Zboriv 1649). Wegen der Zerstörung B.s übernahm Vinnycja die Funktion der Woiwodschaftshauptstadt (Landtag, Gericht, Stadt- und Landakten). 1654 fand bei B. eine Schlacht zwischen Kronarmee und Aufständischen statt. Die Eroberung durch die russische Armee 1664 und die türkische Besatzung 1672–75 trugen zum Verfall der Stadt B. bei. 1702 wurde die polnische Garnison von Kosaken vernichtet. Zwischen 1730 und 1760 litt B. stark unter der Hajdamaken-Bewegung. Nach der zweiten Teilung Polens 1793 fiel B. Russland zu, zeitweise residierte in B. der russische Statthalter. Das kleine Städtchen B. mit zuerst nur wenigen Juden entwickelte sich zum Zentrum des Chassidismus (im 19. Jh. Wirkungsstätte von Rabbi Nachman und Nathan Sternharz). 1861 zählte B. 2139 Einwohner und es befanden sich 1856 bereits vier Synagogen in der Stadt. Vor 1891 zählte das durch die Nichtanbindung an das Eisenbahnnetz benachteiligte B. 6277 Einwohner, wovon 41,5% Orthodoxe, 39,2% Juden, 12 % Altorthodoxe (russ. Raskolniki), 7 % Katholiken und 0,3 % Lutheraner waren. B. fungierte als Zentrum einer Agrarregion mit Verarbeitungsindustrie (Zuckerwerke, Brauereien, Zeidlereien, Viehzucht). 1897 zählte B. 7863 Einwohner, davon 3.290 Juden (41,8% der Gesamtbevölkerung). Nach dem Ersten Weltkrieg halbierte sich die Einwohnerzahl, 1926 zählte das Dorf (seit 1924) B. wieder 7791 Einwohner. Etwa 50 % der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig.

Von 1941 bis Anfang 1944 war B. von dt. und rumän. Truppen besetzt. Nach Bevölkerungsverlusten im Krieg wuchs die Bevölkerung B.s von 3900 (1959) auf 6100 Einwohner (1988). Von den zahlreichen religiösen Bauten der Stadt sind nur die kath. Kirche aus dem 16./18. Jh. sowie die unierte/orthodoxe Kirche von 1736.

Anusik Z. 1985: Struktura społeczna szlachty bracławskiej w świetle taryfy podymnego z 1629 roku. Przegląd Historyczny 76, 233–251. Horodezky S. A. 1910: Rabbi Nachman von Brazlaw. Beitrag zur Geschichte der juedischen Mystik. Berlin. Sulimierskiego F., Chlebowskiego B., Krzywickiego J., Walewskiego W. (Hg.) 1986: Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich 1880–1902 1. Warszawa, 345–348.

(Robert Friedl)

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