Pozsgay, Imre
Pozsgay, Imre; *26.11.1933 Kóny bei Győr, Reformpolitiker, herausragender Akteur der sog. ausgehandelten Revolution der Jahre 1988/1989 in Ungarn.
Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs P. mit dem jüngeren Bruder Béla und der kleinen Schwester Terka in Bozsok bei der Bauernfamilie des Großvaters mütterlicherseits auf. 1950 trat P. 17jährig in die „Partei der Ungarischen Werktätigen“ (ungar. Magyar Dolgozók Pártja) ein und wurde ein Jahr später Ortsparteisekretär. 1957 schloss P. sein Studium am Budapester Lenin-Institut in den Fächern Geschichte und Marxismus-Leninismus ab, übernahm anschließend den Posten eines Lehrers sowie in den Jahren 1957–1965 die Leitung der Abenduniversität für Marxismus-Leninismus in Kecskemét und wurde 1957–1968 Mitarbeiter bzw. Abteilungsleiter, 1968/69 Sekretär des lokalen Komitatskomitees der seit der Revolution von 1956 umbenannten „Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei“ (ungar. Magyar Szocialista Munkáspárt). 1969 erhielt P. von der „Ungarische Akademie der Wissenschaften“ (ungar. Magyar Tudományos Akadémia) den Titel eines Kandidaten der Wissenschaften. 1970 wurde P. zum Leiter der Unterabteilung für Pressewesen des Zentralkomitees berufen. Von 1971 bis 1975 bekleidete P. den Posten des stellvertretenden Chefredakteurs der theoretischen Zeitschrift der Partei „Gesellschaftliche Rundschau“ (ungar. Társadalmi Szemle) und wurde auf Anraten des prominenten Politbüromitglieds György Aczél 1975-1976 stellvertretender Kulturminister, 1976–1982 Kultur- bzw. Bildungsminister.
Von 1980 bis 1989 war P. Mitglied im ZK der Partei. 1982 musste sich P. dem Willen des Parteichefs János Kádár beugen und das relativ unbedeutende Amt des Generalsekretärs der „Patriotischen Volksfront“ (ungar. Hazafias Népfront) übernehmen, wo er als parteiinterner Repräsentant politischer Reformen einen guten Namen erwarb. P. pflegte den Dialog mit der kritischen Intelligenz, nahm im September 1987 an der Konferenz der Opposition in Lakitelek teil. Nach dem Sturz Kádárs wurde P. 1988 ins Politbüro und kurz darauf zum Staatsminister im Amt des Regierungsvorsitzenden berufen. Im Januar 1989 erklärte P. im Radiosender ›Kossuth‹, die Ereignisse von 1956 seien keine „Konterrevolution“, sondern ein „Volksaufstand“ und sorgte damit für weltweites Aufsehen. Im Sommer 1989 war P. Anführer der Parteidelegation, welche die politischen Verhandlungen mit dem „Oppositionellen Runden Tisch“ (ungar. Ellenzéki Kerekasztal) führte. P. gehörte im Oktober 1989 der Gruppe der Gründer der neuen „Ungarische Sozialistischen Partei“ (ungar. Magyar Szocialista Párt) und deren Präsidium an. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität war P. sogar für das Amt des Staatspräsidenten nominiert. Doch eine von der Opposition erwirkte Volksabstimmung ließ die Präsidentschaftswahl auf den Zeitpunkt nach den Parlamentswahlen im März 1990 vertagen. Nach den Wahlen wurde P. bis zu seinem Parteiaustritt im November 1990 Fraktionsführer der Sozialistischen Partei, verblieb aber im Parlament als unabhängiger Abgeordneter. 1991 erhielt P. eine Professur an der Universität in Debrecen und gründete zugleich den „Nationaldemokratischen Bund“ (ungar. Nemzeti Demokrata Szövetség) und war dessen Vorsitzender bis zur Auflösung im Jahr 1996. 1995 wurde P. zum Rektor der „St. Ladislaus Akademie“ (ungar. Szent László Akadémia). 1997 übernahm P. die politische Beratung des „Ungarischen Demokratischen Forum“ (ungar. Magyar Demokrata Fórum).
Brunner G. (Hg.) 1993: Ungarn auf dem Weg der Demokratie. Von der Wende bis zur Gegenwart. Bonn. Altmann F.-L., Hösch E. (Hg.) 1994: Reformen und Reformer in Osteuropa. Regensburg.